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Pflichteifrigen Bewunderern geräuschvoll belacht wurde.
Hierauf »ahm das altgemeine Gespräch wieder seinen
Fortgang, und Herr Stein begnügte sich, vor den
ihm zunächst Sitzendcn seine Weisheit leuchten zu
lassen. — — — '
Die Diener hatten die verschiedenen Obstschüsseln
von der Tafel genommen und das Dessert servirt. Der
Kammerdiener Valh machte geräuschlos die Runde,
jedem Gaste ein Gläschen vollfüllend und dabei mit
feierlicher Stimme ankündigend: „Tokayer." Als er
zur Nachbarin des „jungen Herrn" gelaugte, schob
dieser rasch ein großes Glas unter die Flasche.
„Nein, nein!" wehrte das junge Mädchen, dem der
Champagner schon etwas den Kopf zu verwirren begann.
„Ich kann unter keiner Bedingung —Dabei lachte
und kicherte sie unaufhörlich.
„Ei was, es wird schon gehen," versicherte Daniel,
dein es Spaß machte, die Schwester des zimperlichen
Hvfsekretärs zu einer Unschicklichkeit zu verleiten. „Run?"
mit einem ärgerlichen Blick nach Baltz, der würdevoll
die Augenbrauen in die Höhe gezogen hatte und zögerte,
„nun, wird's?"
Nachdem das Glas voll gegossen, ließ er das
seinige leicht daran klingen: „Was wir lieben, Fräu-
lein Agathe!"
Sie warf ihm einen weinerhitzten leuchtenden Blick
zu: „Was wir lieben!" Dann leerte sie das Glas bis
auf den letzten Tropfen.
Daniel hatte den Blick verstanden, er sagte nichts.
Wieder traf ihn ein heißer Blick, und „Agathe!"
flüsterte er mit erregter Stimme, „was gäbe ich jetzt
darum, wären wir
„Die gnädige Fran lassen sagen, daß eS fteit zum
Kotillon ist," meldete ihm der Kammerdiener in's Ohr.
„Was geht das mich an!" erwiederte er unwirsch
über die Storung. „Sagen Sie's dem Herrn Hof-
sekretür, der führt den Kotillon."
Nach wenigen Minuten drangen vom Tanzsaal die
Klänge eines fröhlichen Walzers herein. Das war das
Zeichen zum Aufbruch; die Stühle wurden gerückt,
schnell noch die letzten Tropfen aus den Tokayergläsern
geschlürft, rasch die Handschuhe angezogen, und Alles
drängte den offenen Flügelthüren zu, voran der lauge
dürre Hofsekretür, dein das wichtige Amt oblag, den
Kotillon anzugeben.
„Sie sind noch nicht engagirt i" wandte sich Graf
Ottokar Hagenbach an Sidonie. „Wollen Sie mir die
Ehre schenken?"
„Doch, doch, ich glaube, schon vergeben zu sein,
nur weiß ich für den Moment nicht an wen."
„Das gilt so gut wie nicht! Ihr Tänzer hätte
sich früher melden sollen, jetzt kommt er zu spät."
Er hatte Sidoniens Arm in den seinigen gezogen
und führte sie dem Saale zu, als hinter ihnen Je-
mand rief: „Sidonie, Sidonie» der Kotillon gehört
mir!"
„Ah, verzeihen Sie, Herr Graf, mein Tänzer meldet
sich noch rechtzeitig."
„Da muß ich sehr bitten," versetzte Ottokar, „der
Tanz ist jetzt mir zngesagt."
„Bitte, hier steht es eingeschrieben, von der Hand
des Fräuleins selbst." Der Sprecher hielt Ottokar ein
Büchlein vor, in welchem von allen Tänzen nur ein
einziger, der Kotillon, markirt war. „Sie sehen, mein
Herr, ich habe es schriftlich."
Ottokar maß den Anderen mit ziemlich hochmüthigem
Blick. Es war ein schlanker, dunkelhaariger Alarm,
der vor ihm stand. Der schwarze Schnurrbart fiel in
zwei dünnen Enden über die Mundwinkel herab und
gab dem auffallend blassen Gesichte einen melancholi-
schen Anstrich. „Bitte, mit wem habe ich eigentlich
die Ehre?" wandte sich Ottokar kühl an Sidonie.
„Ach, entschuldigen Sie, ich vergaß: Herr Franz
Schön, der Geschäftsleiter unseres Hauses." Dann zu
diesem: „Herr Graf Hagenbach."
Ottokar verbeugte sich leicht und schritt dann, ohne
Sidonie loszulassen, ruhig weiter, als sei mit der Vor-
stellung die Sache vollkommen geregelt.
„Aber das geht ja nicht," rief Sidonie, doch ohne
sich merklich zu sträuben. „Ich habe mein Versprechen
gegeben." Endlich mußte sie lachen, da ihr Eavälier
so total taube Ohren hatte. „Ich propvnire Ihnen
ein Kompromiß, Herr Graf," flüsterte sie endlich
stehen bleibend. „Da Sie keine andere Tänzerin
haben -"
„Ich brauche keine andere Tänzerin."
„Sv hören Sie doch: theilen Sie sich mit Schön
in den .Kotillon; ich —"
„Ich will niit Niemand theilen," versetzte er eigen-
sinnig, und ohne weiter zu hören, zog er sic in den
Tanzsaal.
Man hatte während des Soupers gelüftet und Par-
fümirt; eine duftende Atmosphäre strömte dem Paare
entgegen. „Ich lasse Sie nicht!" wehrte Ottokar, schlang
seinen Arm nm die Taille Sidoniens und wirbelte den
Anderen nach.
Dreimal hatten sie die Tour gemacht, das war
genug; Sidonie fehlte der Athem. Ottokar hielt vor

Das B u ch f ü r All e.

einem Fauteuil, in den seine Tänzerin keuchend hinein-
sank. „So," sagte er, „jetzt will ich die Sache mit dein
Herrn - wie heißt er doch — regeln. Ich habe Sie
nun rechtlich erworben, er wird sich mit diesem Faktum
Wohl zufrieden geben."
„Bleiben Sie," bat Sidonie, die eine unangenehme
Auseinandersetzung befürchten mochte. „Ich werde mit
Schön selbst sprechen und die Sache arrangiren."
Ottokar's Blick folgte der schlanken Gestalt, die auf
den bleichen Mann zuschritt, welcher unter der Thürc
lehnte. Sie sprach mit ihm ein Paar Minuten hin-
durch, er verbeugte sich resignirt und dann hielt sie
ihm die Hand hin, die er lächelnd ergriff.
„So, cs ist in Ordnung," sagte sie, sich an Otto-
kar's Seite wieder niederlassend, „aber bitte, ein
andermal seien Sie freundlicher mit Schön; er ist das
Faktotum des Hauses und mein persönlicher Freund."
„Wirklich?" sagte er etwas gedehnt und nachlässig.
„Auf das Letztere hin werde ich nur sein Wohlwollen
zu erwerben trachten."
„Die Damen, wenn ich bitten darf!" es war der
Hvfsekretär, welcher die Reihen in graziösem Tanzschritt
nblief. „llss cwmss su avant!" -
Nachdem es der Vortänzer endlich dahin gebracht,
die Damen in mehreren Reihen zu Vieren aufzustellen,
begnügte er sich, die Tänzer durch ein ermunterndes
Zeichen mit seinem Klapphut zusammen zu berufen.
Lieutenant v. Pottenheim und Ottokar kamen neben
einander zu stehen.
„Wie unterhältst Du Dich?" frng der Erstere.
„Nicht übel," war die Antwort.
„Ja, 's ist bester, als ich erwartet hatte!" Der
Lieutenant kniff sein Glas in's Ange. „Verteufelt
hübsche Mädchen; wäre "was zu machen; ein dank-
bareres Geschäft, als unsere klapperdürren Eomteßchen;
gehst scharf in's Zeug, Don Juan, haha!"
Der Vortänzer unterbrach diese halblaut geführte
Konversation, indem er den Lieutenant bei der Hand
packte: „Bitte, fest zu halten, meine Herren, so!" -
Und nun zog sich die Schlangenlinie der Fracks und
Uniformen zwischen den bunten Tüllreihen der Tän-
zerinnen hin.
Endlich war die letzte Figur des Kotillons ab-
getanzt. Der Hofsekretär schritt, mit Schleifen und
Orden bespickt, befriedigt durch den Saal und wehte
sich mit dem Taschentuch Luft zu, während die meisten
der Tänzer und Tänzerinnen das Nebengemach auf-
suchten, wo am Büffet Thee, Backwerk, Limonade und
Gefrorenes verabreicht wurden.
Als Marbach eine Stunde später mit seiner Schwester
am Arm die Treppe hinabschritt, ging dicht vor ihnen
Herr Stein, in einen kostbaren Pelz gehüllt. Nachdem
er sich majestätisch in sein Conps geworfen, rollte der
Wagen davon. Agathe aber betrat am Arm ihres
Bruders die schneebedeckte Straße; es hieß zu Fuß
nach Hause gelangen, sie hatte keine Equipage. Aber
sie träumte von dem Tage, wo es ihr vielleicht be-
schieden war, Frau Köhler zu sein, und wo auch sie
einen Zobelpclz, Pferde, Kutscher und Bediente zur
Verfügung haben würde.
Ottokar Hagenbach und Pottenheim schritten Arm
in Arm dahin.
„Im Allgemeinen recht ollio gewesen," versicherte
der Lieutenant zum dritten Mal, da er niemals über
einen besonderen Vorrath von Gedanken verfügte. „Aber
doch — Plebejer bleibt Plebejer!"
Der Graf hielt im Gehen inne, da er in die Nähe
eines Fiakers gekommen war. „He, Kutscher!"
„Kommst Du nicht mit in's Kaffeehaus?" frng der
Lieutenant erstaunt. „Noch ein Glas Pnnsch, he?"
„Nein, ich lasse mich direkt in's Bett fahren. Gute
Nacht."
Ottokar Hagenbach war kein Frühaufsteher. Was
sollte er auch zu einer Stunde machen, wo Niemand
von seinen Bekannten noch sichtbar war? Und da er
nie vor zwei oder drei Uhr Morgens, oft auch später
nach Hause kam, so war es natürlich, daß er einen
Theil des Tages zur Nacht machte.
Am Morgen nach dein Balle war es jedoch anders.
Er saß schon vor acht Uhr am Schreibtisch und kritzelte
mechanisch Zahlen auf ein Blatt Papier, während sein
Blick in's Leere starrte. Ueberhaupt hatte er heute
wenig geschlafen; allerlei Gedanken hatten ihm die
nöthige Ruhe benommen, er war die ganze Zeit hin-
durch in einer gelinden Aufregung gewesen.
Gestern hatte er zum ersten Mal mit Sidonie
gesprochen; er kannte sie schon seit einiger Zeit von
Ansehen aus dem Prater und der Oper, und man hatte
ihm viel von der Bedeutung des Hauses Köhler er-
zählt. Mit Daniel verkehrte er ziemlich häufig im
Elub, wo der junge Finanzmann eine gewisse Rolle
spielte, da er sich nm des Vergnügens willen, in Ge-
sellschaft von Aristokraten zu sein, willig rupfen ließ;
diese lobenswertste Eigenschaft hatte ihm auch den Spitz-
namen „die Eidergans" eingetragen. Uebrigens machte
es ihm Spaß, hie und da eine närrische Parthie, oder
eine im vornherein verlorene Wette einzngehen; er

Heft 17-
konnte da mit Muße stndiren, wie Hochmuth und
Adclsdünkel doch auch einen Höheren anerkannten
den „König Geld", vor denn sie sich mehr oder weniger
Alle beugten.
Als Ottokar von dem jungen Manne anfgefordert
worden war, den Ball mit seiner Grafenkrvne zu ver-
herrlichen, hatten ihm ein Paar Bemerkungen, welche
die Kameraden fallen ließen, die Plötzliche Idee ein-
gegeben, seine Angel nach einem Goldfisch auszuwerfen.
Unter seinen Standesgemässen spielte er schon seit
längerer Zeit keine hervorragende Rolle mehr. Als
er vor zwei Jahren nach Wien gekommen, war es in
der naiven Absicht geschehen, irgend eine Majvratserbin
als Gattin zu erhaschen, aber da hatte er sich doch ver-
rechnet. Auch der Adel taxirte sich nicht ausschließ-
lich nach dem Rang, sondern nach den Finanzen, die
ihm zu Gebote standen, und man hatte es bald heraus,
daß Hagenbach in dieser letzten Beziehung keine begeh-
renswerthe Allianz sei. Die Familie hingegen war,
wie es in der Kastensprache heißt, eine „ausgezeichnete.'
Der „Gothaer" verkündete es Jedem, der nachblättern
wollte, daß die Hagenbachs im 12. Jahrhundert ans
der Schweiz nach Deutschland eingewandert waren, und
daß Hagenbach's schon vor dieser Epoche in mehreren
Generationen existirt hatten.
Ottokar's Vermögensverhältnisse aber waren schon,
als er nach Wien gekommen, keine brillanten gewesen.
Er besaß mit seinem Vetter Ulrich gemeinsam das
Gut Grünau in Steiermark, ein Besitz, der größten-
theils ans Wald bestand, aber nur wenig eintrng, weil
der Transport des Holzes ein schwieriger und kost-
spieliger war. Jetzt war Ottokar's Antheil weit über
den Werth belastet, da er größerer Summen bedurft
hatte, nm in Wien als Hcirathskandidat anfzntreten
und zugleich in jener Sippe festen Fuß zu fassen, die
man gemeiniglich als die der „jungen Herren" be-
zeichnete.
Junge Herren! Es gab darunter Männchen von
siebenzcstn Jahren und Greise, die das Vierfache zähl-
ten. Erstere, zukünftige Besitzer von Titeln, Würden
und Majoraten, deren Lehrjahre darin bestanden, daß
sie sich die Kunst aneigneten, perfekte Jockeys, Spieler
und Sportsmen zu werden, während Letztere, die Sieben-
zigjährigcn, alles das bereits vom Grund auf durch-
gekostet hatten, Hagestolze geblieben waren und sich w
der Jugend der Anderen sonnten, hoffend, daß sie da-
durch verjüngt würden.
Auch Ottokar hatte sein Lehrgeld zahlen müssen,
bis man ihn endlich als festgcsessen anerkannte. Tst
hatte es nämlich einige Einflußreiche gegeben, die ans
Kosten der Grünlinge neben den Anderen fortvegetirten;
sie hatten weder eine Erbschaft zu erwarten, noch er-
hielten sie von ihren Angehörigen die nöthigen Mittel,
um das kostspielige Leben zu führen, wie sie es dcn-
noch thaten. Diese Herren waren eben angewiesen, sich
so gut es gehen wollte, im Schwimmen zu erhalten,
eine Eristenz von heute auf morgen. Abends Austern
mit Champagner, zum nächsten Mittag eine Krume
Brod, je nachdem ihnen der Zufall irgend eine Chance
in Spiel, Wette oder Pferdehandel in den Schoß
warf. Trotz dieses unsicheren und oft sehr unerquick-
lichen Daseins hatten sich mehrere unter ihnen doch
nach und nach zn einer gewissen Stellung stinauf-
geschwungen, die in den Angen ihrer Genossen für „fest"
galt.
So auch Ottokar. Der Zufall hatte es gewollt,
daß eines Abends ein ausländischer Nabob im Club ein-
geführt wurde, und daß Ottokar ihm eine runde Summe
von sechzigtausend Gülden abgewann. Er war nun
weise genug, dieses für ihn noch immer sehr bescheidene
Kapital sicher zu stellen und die Interessen als Lebens-
fonds zu bestimmen; Alles, was er außerdem bei Spiet
und Wetten gewann, betrachtete er als Extrataschen-
geld.
- Seine ursprünglichen Heirathsideen hatte er bald
fällen lassen, und der Gedanke, es einmal in nichtadeligen
Sphären zu versuchen, war ihm nicht früher gekommen,
als bis Daniel ihn in's Hans seiner Blutter entlud.
Am nächsten Morgen ging Hagenbach zu einein
ihm bekannten Geldverleiher: „Was würden Sie sagen,
wenn ich Fräulein Köhler heirathete?"
„Was ich sagen würde?" rief der Mann über-
rascht. „Nun, ich würde sagen: Herr Graf, brauchen
Sie bis zu Ihrer Hochzeit Geld, so finden Sie meine
Kassa offen."
„Gut, das ist auch das einzige Mittel, die Heirath
zu Stande zu bringen. Ich muß anftreten können;
mit meinen lumpigen paar tausend Gulden ist's un-
möglich."
„Gewiß; und deshalb sollen Sie unbeschränkten
Kredit haben, hören Sie, Herr Graf, unbeschränkten!
Nur müssen Sie mir schriftlich den ungefähren Termin
Ihrer Hochzeit festsetzen."
„Das kann ich erst beiläufig in einer Woche."
Um diese Zeit sollte er eben Sidonie auf dem Balle
kennen lernen.
Es Ivar also nach dem Vorhergegangenen gewiß
begreiflich, daß Ottokar Henle nnr wenig geschlafen,
 
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