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tsest §3.

Das Buch für Alle.

547

Aber Eugen war nicht geneigt, sich wie ein Kind
besänftigen zu lassen. „Zum Henker," sagte er in-
grimmig, „ich habe an dem Schädel Deines unver-
gleichlichen Charles ein Glas zerschlagen, das mir un-
sauber zu sein schien was ist dabei?"
„Was ,dabei' ist?" wiederholte Fran Lucie giftig,
„daß wir Deinetwegen die furchtbarsten Unannehmlich-
keiten hatten. Der Mensch wollte Dich verklagen!
Wir hatten alle Mühe, ihn zu beruhigen. Wenn es
nicht gelungen wäre, Du wärest in eine schöne Geschichte
gekommen."
„Du beweisest nur von Neuem, Lucie," sagte Eugen
ruhiger, „daß man mit Frauen nicht streiten kann."
Und mit kaltem Hochmuth fügte er hinzu: „Ich be-
trachte es als mein gutes Recht, einen Unverschämten
zu züchtigen."
„Sie irren, lieber Schwager," schob hier Wertner
ein, „dies Recht steht nur der Behörde zu. Außerdem
hatte sich Charles nicht einmal geirrt, das Glas war
sauber."
„Aber er machte ein unverschämtes Gesicht," schrie
Eugen. „Ueberhaupt, ihr hättet ihn fortschicken müssen,
das wäret ihr mir schuldig! Seine freche Visage
ärgert mich, so oft ich herkommc, ich werde ihm
noch einmal die Reitpeitsche zu kosten geben!"
„Ich bitte Dich, Eugen, bedenke, es ist ja mein
Diener!" rief Lucie empört. „Du bist wirklich un-
gezogen. Außerdem ist Charles für mich unentbehrlich,
er ist so erfahren, so verläßlich. Ucbrigens —
hatte nicht auch Professor Weinberg eine Beleidigungs-
klage gegen Dich cingereicht? Er zog sic nur zurück,
weil . . .'"
„Sage mir nur, Lucie, was Du eigentlich willst!
Professor Weinberg ist ein langweiliger Dummkopf, den
nicht zu beleidigen fast unmöglich ist. Wozu die ganze
Vorhaltung?"
„Weit Tn kein Recht hast, mir Moral zu predigen,"
sagte Lucie cinlenkend, denn sie erinnerte sich noch
rechtzeitig, daß Engen bei ihrer Gesellschaft unter
keiner Bedingung fehlen durfte. Solch' ein lediger,
junger, reicher Mann putzt die ganze Salonrnnde auf.
Außerdem die Meyersbergs kamen hauptsächlich
seinetwegen.
Auch Eugen hatte sich bcrnhicst; sein heißes Tem-
perament wällte eben schnell auf und dann war's
vorüber; er wußte nichts mehr davon.
„Nichts für ungut," schloß er, „ich komme und
werde darnach sehen, daß Fräulein Wallow nicht
zurückgcsetzt wird. Oder wollt ihr die Einladung an
mich zurücknehmen?"
„Bewahre, lieber Schwager," begütigte vollends
Wertner. „Das wird sich Alles machen!"
Eugen ging. Er schritt langsam dem Thiergarten
zu. Ein Gefühl des Ekels, der tödtlichen Mattigkeit
hatte ihn überkommen. Wie häßlich, wie kleinlich
waren alle diese Menschen, wie langweilten sie ihn!
llnd das waren seine nächsten Verwandten! Trotz seiner
schlecht verhehlten Geringschätzung hatte ihn der Vor
Wurf denn doch getroffen.
Wozu lebte er? Was war sein Ziel? Sein Schwager
vermehrte wenigstens sein Geld für seine Kinder. Er,
Eugen, hingegen, er hatte nicht einmal Kinder, er
sparte nicht einmal sein Geld! Er hatte nichts vor,
als sich zu amüsiren. Aber er amüsirtc sich längst
nicht mehr.
Etwas werden wollte er — ja, aber was? Und
war das nicht längst zu spät?
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Es klappte Alles, obgleich weder Herr noch Frau
Wertner sich bemüht hatten. Der bestellte Koch, die
„Stütze der Hausfrau", sowie der trefflich geschulte
Charles, ein Diener mit wahrhaft großen Manieren,
thaten ihre Schuldigkeit.
Die Geselligkeit war für Wertners eine Last, denn
sie amüsirten sich nicht; aber man konnte sich der
Sache nicht entziehen. Man m nßte eben Gesellschaften
geben.
Freilich, das Menn hatte ein gewisses, überliefertes
Gepräge; cs war Alles höchst anständig, reichlich und
korrekt, aber keine einzige Schüssel fiel auf und konnte
den Feinschmecker reizen; keine Weinsorte forderte auf,
ein Gläschen über den Durst zu trinken. Es war, wie
gesagt, durchaus.,aomm« il taut", aber ohne Liebe.
Und die Gesellschaft? Diese Mischung von litera-
rischen, künstlerischen und geschäftlichen Elementen ist
vielleicht niemals vorher möglich gewesen, als in einer
Zeit, da die Kunst merkantilisch betrieben wird und
das Geschäft - eine Kunst geworden ist. Neben dem
gesummten Gcschäftspersvnal waren auch einige Börsianer
erschienen, Leute, die für das Gedeihen des Unter-
nehmens nicht minder wichtig waren, als die vor-
nehmere Gruppe von Schriftstellern und Journalisten,
linker den Letzteren fiel besonders ein Herr Marx ans,
ein kleiner häßlicher Manu unbestimmte» Alters, mit
schwarzem Spitzbart und wüthendem Blick. Er erschien
stets iu mehr als nachlässiger Toilette, riß grundsätz-

lich Alles herunter, was zur Erörterung staud, und
sprach von seinem sozialen Drama „Das Volk" wie
von einer Offenbarung. Aber der „Stern" des heutigen
Abends war Irina Wallow, die junge Schriftstellerin
mit dem großen Erfolge.
Großes Geschick bei der Zusammenstellung seiner
Gäste konnte man Wertner überhaupt nicht absprechen.
Seine heutige Gesellschaft war eine gründliche Mischung
verschiedenster Elemente, es fehlte ihr thatsächlich keines
- auch nicht die heiratsfähige Millionärstochter.
Die Familie Meyersberg, Rittergutsbesitzer, führten
heute Abend ihre einzige Tochter iu die hauptstädtische
Gesellschaft ein. Freilich glaubte die Frau vom Hause,
daß ihren: Bruder Eugen hier keiner von den „Skribi-
faren" hinderlich werden könnte. Daß sich irgendwer
amüsirtc, hätte inan nicht behaupten können; das wurde
auch von Niemandem erwartet. Die verwandten In-
teressen fanden sich eben, das mar Alles.
Frau Lucie versäumte und unterließ nichts, sie war
aber zu indifferent, um zur Unterhaltung irgend etwas
beizutragen. Ihr genügte, daß Niemand von Belang
abgesagt hatte. Selbstredend war für Musik und
Deklamation durch Einladung von Bühnengrößen ge-
sorgt; wie üblich, hörte aber kaum Jemand recht hin,
wenn :uau auch leidenschaftlich applaudirtc.
Eine einzige Pcrsouwar ganz bei der Sache: Fräulein
Adolphine v. Meyersberg. Ein schönes, blondes, etwa sieb-
zehnjähriges Mädchen nut glänzenden blauen Angen, in
einfacher, aber doch sehr eleganter Toilette, die mit
ihrer sorglosen Miene und ihrem leuchtenden Blick
eine absonderliche Erscheinung war in dieser blasirten,
abgewelktcn Gesellschaft. Sie war unbeschreiblich neu-
gierig, die Schriftsteller zu sehen und zu hören, sie
fühlte sich beschämt, daß sic die Namen derselben nicht
kannte. Das jnngc Ding war noch ganz bescheiden,
die Geisteswelt, von der sie sich umgeben glaubte, in:-
pouirte ihr. Sie lechzte darnach, sich zu begeistern,
Jemand anznschwärmcn. Ucbrigens war sie auch nicht
abgeneigt, sich in Eugen zu verlieben. Man hatte von
ihm erzählt, oder was noch mehr gewirkt hatte, ge-
zischelt. Das war kein berühmter Schriftsteller, aber
der große Lebemann, den sie nur aus den Romanen
kannte. Er repräscntirte ihr die wunderbaren Ver-
lockungen und Bezauberungen der Großstadt.
Auch Eugen war ein wenig aufgerüttelt aus seiner
blasirten Gleichgiltigkeit. Dieses schöne, junge Mäd-
chen, wahrhaft unverdorben, bildungsfähig, vermögend
und von tadelloser Familie war sein, wenn er nur die
Hand ausstreckte! Was wollte er noch mehr?
„Bin ich nicht ein glücklicher Kerl!" sagte er sich,
als ihn: die blauen Äugen cntgegenlächeltcn. „Ich
kann Alles haben, was irgend Einen: bcgehrenswerth
erscheint!"
Seine Schwester, die den Zwischenfall von: Morgen
ganz vergessen zu haben schien, hatte ihn sofort mit
Adolphine zusammengebracht, und der Anblick des jungen,
schönen Wesens hatte ihn auf einen Augenblick Irina
Wallow vergessen lassen, deren Ritter er sein wollte.
Er Plauderte jetzt mit der kleinen Meyersberg, das heißt
er hörte freundlich zu, was sic erzählte. In: Grande
wußte er mit solchen Backfischen nichts anznfangen;
aber es war ein überaus hübsches Mädchen.
Sie rief jetzt: „O wie glücklich müssen Sie sein!
Immer in Berlin und sich immer amüsiren!"
„Ja, immer in Berlin und sich immer amüsiren,"
wiederholte er lächend. Vorhin schon hatte er selbst
sich gesagt, wie glücklich, wie beneidenswert!) er sei,
und das hübsche kleine Mädchen wiederholte cs jetzt.
Aber er selbst dachte sich eigentlich nicht viel bei den:
Worte glücklich, es war ein Wort wie jedes andere.
Er hörte es eine halbe Stunde später von Neuen:,
als er mit der schönen, geistreichen Frau eines Groß-
industriellen plauderte.
„Die kleine Meyersberg ist wirklich ein niedliches
Mädchen!" sagte sic. „Und Sie sind ein glücklicher
Mensch!"
„Warum?"
„Weil sie Ihre Braut ist, wenn Sie wollen."
Er lächelte, ging aber nicht weiter auf das Thema
ein. „Wer ist denn die Aschblonde dort?" fragte er.
Die blonde Dame fiel ihn: nur deshalb auf, weil
sie ganz denselben Typus hatte, wie Adolphine, nur
nicht die erste, jugendliche Frische, dafür aber Klugheit
und Klarheit.
„Es ist die Wallow?"
Jetzt erst erinnerte sich Engen, daß er sich
vorgenommen hatte, ihr Ritter zu sein. Er hätte sic
beinahe gar nicht bemerkt, unscheinbar und schlicht,
wie sie sich in ihrer einfachen Toilette gab. Offenbar
wurde sie etwas vernachlässigt; inan hätte unter an-
deren limständen gewiß Gelegenheit genommen, sie ihn:
vorzustellen; aber inan ließ'sie fallen , das war klar.
Mit jener Nonchalance, der er ein gut Theil seiner
Erfolge dankte, machte er sich von der Brünetten los
und suchte iu den: Gewühl vou Gruppen seinen Schwager,
damit dieser ihn mit Fräulein Wallow bekannt mache.
Sie war sichtlich erstaunt über die ihr erwiesene
Aufmerksamkeit und führte Engen zu ihrer Mutter,

eiuen: unbedeutende», kleinen, befangenen Frauchen.
Ihr Wesen war ruhig und selbstbewußt, sic schicu
nicht bedrückt durch die Zurücksetzuug, die sie erfuhr.
„Ich will aufrichtig sein," begann Eugen, neben
ihr Platz nehmend, „ich habe gehört, daß Sie einen
großen Erfolg hatten, aber ich habe Ihr Buch nicht
gelesen."
„Sic haben nichts verloren," sagte sic ohne eine
Spur von Absichtlichkeit, „gerade dieses Buch ist nicht
viel Werth, es hatte nur die Eigenschaft, aufzufallen.
Ich habe Besseres geschrieben."
„Leider kenne ich auch das nicht," mußte er ant-
worten; aber das Bedauern war schon nahezu auf-
richtig.
„Leider?! — Welch' ein Unglück!" lächelte sie.
Da war etwas in Ton und Art, was ihn: nen
erschien; er firirtc sie jetzt scharf und fast herausfordernd.
„Sic meinen Wohl, daß Sie an solchen: Leser nicht
Viel verlieren?"
„Unter Umständen — nein!"
„Warum nehmen Sie das von mir an?"
„Weil Sie mir als Lebemann geschildert wurden,
als Genußmensch."
Die Offenheit ihres Wesens begann ihn zu intcr-
essiren. Er richtete sich auf, wie eine welke Pflanze
unter den: erquickenden Wasserstrahl.
„Ein Lebemann vielleicht! Ein Genußmensch?
Ich bin kein Mensch, der genießt - ich genieße nicht,
oder doch ganz selten, nur in außerordentlichen Fällen."
„Und darf mau fragen, was Sie an: Genießen
hindert?"
„Dazu gehört natürliche Begabung, und auch
ganz andere persönliche Umstände. . . Sagen Sie nur
doch, mein Fräulein, aber aufrichtig: unterhalten Sic
sich hier - heute — in diesen: Kreise?"
Sie sah ihn voll an mit ihren blauen, klaren
Augen, er war der Bruder der Hausfrau; dennoch
entgegnete sic: „Nein, gar nicht! Aber ich kann mich
iu kleiner, mir befreundeter Gesellschaft sehr wohl
fühlen."
„Warum also sind Sie hier, Fräulein Wallow?"
„Weil ich Ihren: Herrn Schwager Dank schulde,
und dann" — sic blickte um sich, ihre Mutter plau-
derte mit einer anderen, alten, unbeachteten Dame —
„ich null Ihnen die Wahrheit sagen: meiner Mutter
zu Liebe. Die gute alte Frau ist überglücklich über
solche Einladungen."
„Merkwürdig! Amüsirt sie sich denn?"
„Ncin, aber sie fühlt sich geehrt das ist eine
ganze kleine Geschichte!"
„O bitte, erzählen Sie," rief er, ganz lebhaft
werdend.
Sie sagte schlicht: „Ich war ein Mädchen von
zwölf bis dreizehn Jahren, als mein Vater, ein ziem-
lich bemittelter Kaufmann, Bankerott machte. Das
Unglück kam nicht ganz ohne sein Verschulden. Er
hatte leichtsinnig spekulirt. Man machte ihn: den
Prozeß — er wurde wegen fahrlässiger Geschäftsführung
zu einer luehrwöchcntlicheu Gefängnißstrafe vernrlheilt.
Nach Verbüßung derselben ging er nach Rußland,
gründete sich dort eine neue bescheidene Existenz. Aber
er starb bald darauf. Wir lehrten in die Heimath
zurück, weil wir in der Fremde unser Fortkommen
gar nicht zu finden vermochten. Meine Mutter aber
wurde beinahe gcmüthskrank, weniger wcgcu unserer
bedrängten Lage, als wegen der Schande. Das Schick-
sal meines Vaters, oder vielmehr sein Vergehen, lastete
schwer ans uns. Damals beschloß ich, meiner Mutter
zu helfen. Und ich habe meinen Entschluß ansgeführt."
„In welcher Art?"
„Ich habe nur einen anderen Namen gegeben, den
Schriftstelleruamcu Wallow. Blau nennt'die Blutter
sieht Frau Wallow unseren wahren Namen kennt
nur die Polizei. Und mein letzter Erfolg hat uns
sogar eine gesellschaftliche Stellung gemacht, darum
freue ich mich, hier zu sein."
Er lauschte verwundert, ja überwältigt. Mit welcher
Einfachheit sie dieses Schicksal erzählte, das ihm un-
geheuerlich erschien. Vielleicht aber that sie es mit
Absicht.
„Sic sind ein bevorzugtes Wescn," sagte er, „nur
eine große Natur war iu: Stande, zu erreichen, was
Sie erreicht haben."
„Ein bevorzugtes Wesen?" wiederholte sie, „ich
glaube nicht. Ich habe ein bischen Talent, das ist
Alles. Aber Talent allein was ist das heute ? Mir
scheinen Sie mindestens ebenso bevorzugt zu sein, als
ich. Sie hatten tausend Chancen, vor Allem tausend
Gcnußmöglichkeiteu voraus vor mir, der armen Tochter
eines Bankerottenrs."
Fast heftig entgegnete er: „Auch Sic sagen das?
Als ob nicht Alles auf das Niveau aukäme, von den:
aus inan die Dinge nimmt! Ich habe nie mehr ge-
nossen, als Sie, niemals! Ich war ja Alles von
Jugend auf gewohnt! Es machte nur nichts mehr
Freude, ich habe eigentlich nie eine solche gehabt."
Beinahe erschrak er vor den: Ton seiner Stimme.
Diese sonst so müde Stimme klang so leidenschaftlich
 
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