Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
134 |

„Sie haben mich, Raoul v. Beauremont, durch den
Portier und Ihre Diener von der Thür weiſen laſſen, “
flüſterte er, ſeine hagere Geſtalt zu ihr neigend.

„Aber lieber Marquis,“ lächelte Ines, ihren blitzen-
den Fächer mit unnachahmlicher Grazie zwiſchen ſich
und ihm entfaltend, „weshalb verſchleudern Sie auch
Ihre koſtibare Zeit vor meiner Thür? Vorausgesett,
zh Sie sonst noch etwas anderes zu verſchleudern
haben.“

; Der unerbittliche Hohn dieſer Worte machte ihn für
einen Moment ſprachlos.

Allerdings, zu verſchleudern hatte Raoul v. Beau-
remont nichts mehr. Eine kleine Rente war alles, was
seine wilde Lebenslust und der Leichtsinn seines Sohnes
übrig gelaſſen hatten. Alter und Entkräftung hatten
ihn endlich gelehrt, mit einer Summe auszukommen,
welche er in früheren Jahren seinem Koch gezahlt.
Und von dieſem kärglichen Einkommen sparte er ſogar
noch, um seinen Sohn Hektor zu unterſtüten, von dem
er wenig mehr wußte, als daß er in New York noch
nicht verhungert oder völlig untergegangen war.

Der Manquis hatte ſich endlich gefaßt.

„Sie haben es ſich ſelbſt zuzuſchreiben, " sagte er
mit finsterer Entſchloſſenheit, „daß unser Geſpräch
Zeugen haben wird.“

„Nicht daß ich wüßte,“ fiel die Marquise achſel-
zuckend ein, indem ſie ſich von ihm wandte.

„Jnes!“ Eine ſtachelige Drohung durchklang den
Ruf. „Nehmen Sie ſich in Acht vor mir!“

Wenn ſie ihn hätte mit der Limonade vergiften
können, welche der Diener ihnen in diesem Moment
darbot, sie hätte es gethan. Ihr stolzes troziges Blut
flimmerte ihr wie ein roter Schleier vor den Augen.

„Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, “ fuhr er, von
der Wirkung seiner Worte befriedigt, fort, „etwas, das
Sie, Sie ganz allein angeht. Deshalb finden Sie
% cs sit E Mt Verſuche, mir aus dem

„Wenn ich Sie jezt der Geſellſchaft als privile-
gierten Spaßmacher vorstellte, lieber Marquis, “ sagte
die junge Frau mit flammender Verachtung, ohne
indeſſen auch nur durch eine raſchere Schwingung des
Fächers ihre innere Erregung zu verraten, „würde
man in Ihnen einen vortrefflichen Hofnarren kennen
lernen, leider einen witloſen.“

Er biß sich auf die Lippe. Aber er bot ihr den
Arm. „Wir werden den Narren gleich ausfindig
machen, ſobald wir unter uns sind.“

Es gab ein Etwas in ihr, das noch stärker war
als der Widerwille gegen Beauremonts Berührung.

„Gut,“ sagte ſie kurz, den Stiel ihres Fächers auf
ſeinen Arm legend. „Ich gebe Ihnen fünf Minuten
Zeit zur Entleerung Ihrer Giftdrüſe.“

Die große Mehrzahl der Anwesenden hatte sich im
Muſikſaal verſammelt, dem Spiel eines Virtuoſen zu
lauſchen. Nur hin und wieder fanden ſich noch kleine
Gruppen in den angrenzenden Gemächern zerſtreut.

Es bot daher nichts Auffälliges, daß der Marquis
und seine Schwägerin das Bibliothekzimmer des Haus-
herrn aufſuchten, um ungestört miteinander zu ſprechen.

In der milden Beleuchtung dieſes Raumes trat die
feine Bläsſſe der Marquiſe sſo wundervoll unter der
Fülle ihrer dunklen Haare hervor, daß ſelbſt Beau-
tutght einen Moment von ihrer Schönheit geblendet
ward.

„Nun?" fragte sie, überlegen lächelnd.

„Nur Geduld. Bevor wir auf die Hauptſache
kommen, möchte ich Sie davon unterrichten, daß Ihr
Ruf einen häßlichen Flecken bekommen hat. Man
bringt Ihren Namen, den Namen Beauremont, Ma-
dame, in Verbindung mit dem Namen eines jungen
Laffen, der, wie man sagt, ein ſeltſames Bild Ihrer
Person für die nächſte Ausstellung malt. Von einem
jeysts. sugtbilvaer gear czuht fz zue. ret
statten, nachdem Sie ihm in geſchmackloſer Weiſe als
Reklame gedient haben ~ mit einem Wort, Madame,
Sie ſind das Tagesgeſpräch in Verbindung mit einem
Manne, den Sie bis vor kurzem unter die Zunft der
fahrenden Gaukler gerechnet haben würden.“

Jnes, den Fächer leicht vor ihrem Antlit bewegend,
hörte, hin und wieder nickend, ſchweigend zu. Sie
HL TC: LI, p12240: t

e gönnte.
Vorstellung, ihm U vollendete Tl g ue nc
wie einen Dolch ins Herz zu ſtoßen, gab ihrer Leiden-
ſhoft für Klauſſen in dieſem Moment eine ſieghafte
ärke.

Der Manquis, welcher, ganz abgeſehen von der
Thatſache, daß Klausſen verheiratet war, niemals einer
ſo wenig ſtandesgemäßen Perſönlichkeit halber besorgt
gewesen ſein würde, weidete sich einen Augenblick an
ihrer eetuctgtthen Nietctlect: Ures Etinftlingz kn;
nen gelernt, Madame, und ihm reinen Wein eingeschenkt
über das, was man ſich verſtohlen zuflüſtert, – im
Intereſſe des Mannes weniger, als im Interesſe seiner
Frau, der damit gedient ſein dürfte.“





Da s Buch für Alle.
Die Augen der jungen Frau blitzten auf. „Ah,
von dem blonden Riesen iſt die Rede, der heute in das
Atelier gepoltert kam wie der Hanswurst auf der ita-
lieniſchen Volksbühne. Recht, Marquis, das iſt Ihr
Mann! Arn den halten Sie ſich, deſſen Geſellſchaft
gönne ich Ihnen."

Sie schwieg einen Augenblick, dann trat sie mit
angeborener Würde und voll stolzen Hohnes auf ihn zu.

„So tief ſind Sie in Ihrer Gier nach dem Erbe
Ihres Bruders geſunken, daß Sie die Rolle eines
Zuträgers neben dem erſten beſten nicht verſchmähen!
Pfui, Manquis."

Yt biß sich auf die Lippe. Der Schlag war zurück-
egeben.
yes ,,„Madame

„Haben Sie ſonst noch etwas hinzuzufügen?" fragte
Ines, ihre gelbe Schleppe zuſammenraffend.

Er vertrat ihr den Weg. „Sehr viel!
ſinnen sich doch eines gewiſſen Fritz Ehlers?"

Sie zwang mit großer Selbſtbeherrſchung ein jähes
Erschrecken nieder. Nachdenkend ſenkte ſie die dunklen
Wimpern zur Erde.

„Fritz Ehlers !“ wiederholte der Marquis mit miß-
trauiſcher Ungeduld. „Meines Bruders Sekretär! Sie
haben doch sonst ein ausgezeichnetes Gedächtnis, Ma-
hatte; sollte Ihnen gerade dieſer Name ganz entfallen
ein ?"

ſ Sie nickte gleichgültig. „Sekretär, ja wohl! Ich
Ein brauchbarer Menſch !“

„So? War er brauchbar?“ fragte der Marquis mit
so scharfem Nachdruck, daß Jnes' Wangen erglühten.

„Die romantiſche Kahnfahrt dieſes Fritz Ehlers,“
fuhr der Marquis gedämpft fort, „nach Erneſt, meines
Bruders, Tode, und sein tragiſches Ende hat mein
Interesse nicht kalt werden laſſen. Aus dem Jenſeits
kehrt er nicht wieder, mir Rede zu stehen, aber ~"

Die Marquiſe, das Haupt leicht in den Nacken
r Pz. (tte Muhr he UU. u Lt
pt. Betég Ml GOGO uotgcttà
schlafen zu laſſen ?"

Er faßte ihre Hand in die seine. „Hören Sie zu,
Ines! Die Geschichte von der Trunkenheit, in welcher
Fritz Ehlers den Tod im Genfer See gefunden haben
ſoll, iſt ein Märchen. Fritz Ehlers iſt Selbſtmörder
U wäre intereſſant, “ sagte die Marquiſe mit
spottender Miene. „Und romantiſch zugleich. Ein
Diener, der seinem Herrn in den Tod folgt. Darf
jten wufen, nie Lieth lee Ecaletenfrttuh e-
Sie ſind alſo zurechnungsfähig. “ !

„Nicht minder, als Frit, Ehlers es war, als er
unter den Pfeilern der Montblancbrücke in Genf seinen
Kahn zum Kentern brachte und so für alle Zeit ver-
schwand. Die That iſt gesehen worden. Von einem
Zeugen, der bald darauf zur Fremdenlegion nach Tong-
king abrückte. Der Mann iſt jetzt krank nach Paris
zurückgekehrt. Im Hoſpital packte ihn plöylich die
rr an das entſetzensvolle Ereignis jener Abend-
tunde.

Sie ent-

erinnere mich.

Sein Pfleger iſt meines Detektives Bruder,
Madame. So iſt der Weg beſchaffen, der mich zu dieſer
Entdeckung führte. "

[ mt w s ect
Y OLC ltgi ect gesehen haben, "lieber M qs he s

„Er sah in der nebligen Dämmerung bei dem
fahlen Licht des Mondes einen Kahn dahintreiben,
deſſen Inſaſſe mit totenbleichem Antlit, gen Himmel
starrte, regungslos. Plöylich, als die Brückenpfeiler
den erſten Schatten auf den Waſserſpiegel warfen,
schleuderte der Mann mit einer wilden Bewegung das
Ruder von sich und verſchwand lautlos unter dem
umſtürzenden Boote."

„Sie ſind ein ausgezeichneter Maler, “ fiel die junge
Frau lachend ein, „von beneidenswerter Phantasie und
Erfindungskraft. Der Held Ihrer Tragödie, lieber
Raoul, beſaß in Wahrheit leider eine ſstocklangweilige,
pedantiſche Schreiberseele, recht eigentlich geſchaffen für
die Sklavendienſte, zu denen meines Gatten Schrullen-
haftigkeit ihn zwang. Nachthimmel und Mondſchein
und Balancierkünſte in einer Nußſchale hatten nie
etwas mit ihm zu ſchaffen.“ ;

Der Marquis drückte den Rand seines Hutes gegen
die Stirn. „Könnte ich den Menschen aus dem Grabe
reißen! Könnte ich ihn eine Stunde, nur einige Mi-
nuten ins Leben zurückrufen! Diese neue Erkenntnis
iſt mir wie Dornen ins Gehirn gedrungen. Warum
s .. hun i tee Pauſe fuhr er zur
Marquiſe gewandt mit scharfem Nachdruck fort: „Da
Sie so wenig Intereſſe für den Fall Ehlers zeigen,
Madame, ist Ihnen wohl auch nicht bekannt, daß die
ſteau t§ss; ſritings Klauſſen die Schwester von

ri ers iſt?"

t ch! die immer dunkel in den Zügen des Madon-
nenbildes eine sie abſtoßende Aehnlichkeit erkannt hatte,



Heft 6.

ließ ihren Fächer aus der Hand und langsam an der
gelben Seide niedergleiten, zu Beauremonts Füßen.
Ein harter Zug, mehr grauſam als ſpöttiſch, legte ſich
dabei um ihre ſchwellenden Lippen.

„Raoul v. Beauremont,“ sagte ſie, „ich könnte ver-
ſucht sein, Sie für meinen böſen Dämon zu halten,
wäre ich nicht gezwungen, Sie für eine Perſiflage zu
nehmen auf alles, was gesunder Verſtand, Anſtands-
gefühl und Ritterlichkeit bedeutet. “

„Die Sache iſt noch nicht zu Ende,“ ſagte der
Manquis, das Handgelenk der jungen Frau fest um-
spannend. „Sie hat im Gegenteil eine lette, sehr
pikante Wendung, welche ich der Mitteilung des Freun-
des Ihres Verehrers verdanke. Der plötzliche Tod des
jungen Ehlers, Madame, hat den Verfall und Tod
seiner gesamten Familie nach sich gezogen. Diese That-
sache dürfte Ihrem Günſtling doch zu denken geben.“

Ein leicht an ihren Augen vorbeiſchwebender dunller
Schatten hatte die Marquiſe genötigt, ihre glänzenden
Wimpern für einen Moment zu ſchließen. Etwas unter
der ſchillernden Seide beläſtigte sie jäh, beengte ihr
den Atem. Aber der Schreck ging ſchnell vorüber.
Ihre Abneigung gegen die blonde Frau, welche Klauſſen
in verblendeter Leidenſchaft an ſich gefeſſelt, reizte Jnes
zu ſchroffem Lachen.

„Die rührſelige Maske, lieber Marquis, ſteht ge-
rade Ihnen besonders schlecht. Sie ſind unvergleichlich
als Moraliſt. A la Beauremont! sagten einst die
Pariſer. Heute wandeln Sie im Lammpelz daher, halten
Klatſch feil wie der beſte Stammtiſchphiliſter und ver-
[eben dis geduldigſten Zuhörer in verzweiflungsvolle

angeweile. “

Er sah sie unter ſeinen weißen Brauen durchbohrend
an, ohne ein Wort zu verlieren. Der Zorn lähmte
ihm die Zunge.

Sie bückte ſich und hob ihren Fächer vom Boden,
da "tt Manquis sich nicht rührte, ihr dieſen Dienſt zu
erweisen.

Dann ging sie, ihm mit sprechender Verachtung
den Nücken wendend, aus dem Gemach.



Neuntes ZKapitel.

Durch die neblige Frühlingsnacht, unter wind-
flüsternden Bäumen vorüber, tief in das Schweigen
des Tiergartens hinein, trug Hans Klauſſen die
unerhörte Verſuchung, deren Wucht er zu erliegen
glaubte, hinter der ſich das Ziel aller irdiſchen Wünſche
barg. Der Ausblick in dieſe blendende Fernſicht that
seinen Augen weh und raubte ihm faſt den Atem.

Aber aus dem flimmernden Mondlicht, das heller
und heller zwiſchen den Nebeln herabfloß, die knoſpen-
den Aeste mit Silberneßen umſpannend, wob ſeine
leidenſchaftliche Empfindungskraft mit immer feſſelloſerer
Sehnsucht das Zauberbild der Zukunft. Rieſenhoch
stieg es empor, märchenſchón. Die Freiheit winkte
ihm daraus entgegen. Er brauchte nur zu wollen,
so war er frei. Alle Not und Sorgen ſchwanden, die
Welt mit ihren Schätzen that sich ihm auf.

Aber seine Schritte, die im Feuer dieſes Phantaſie-
spieles zu fieberhafter Schnelligkeit sich gesteigert, ſtockten
plötzlich jäh. Zwiſchen dem Himmel ſeiner Hoffnungen
und ihrer Verwirklichung lag ein häßliches Etwas. Es
hieß : Weib und Kind verlassen.

Eine brennende Röte der Scham ſtieg ihm bei dieſer
Vorstellung in das bleiche Antliß. Aber wer konnte
ihn, den Künstler, ein ganzes Leben lang für eine

Jugendthorheit des Herzens verantwortlich machen? -

Jahre seines Lebens würde er freudig hinwerfen, könnte
er damit das Geſchehene ungeſchehen machen.

Die Bruſt war ihm wie zuſammengepreßt. Der
Schatten seines Körpers, welchen der nun vollſtrahlende
Mond über den Weg warf, erſchrecktte ihn wie ein
Gespenst, welches ſeinen Füßen nachſchlich. Er verließ
den Park und eilte heim.

Sein Zimmer war finster. Er ging in die Wohn-
stube, wo die Schirmlampe auf dem Tiſch brannte.
Greta ſaß am Ofen auf dem niedrigen Stuhl, beide
Ellenbogen auf die Kniee geſtützt, das Haupt in die

Hände gedrückt.

Er blieb vor ihr ſtehen und starrte sſie an. Jnes'
herrliche Gestalt, wie sie ſchmachtend sich an seine
Schulter gelehnt, stieg wie ein Meteor leuchtend vor
seinen Geiſtesaugen auf. Er sprach kein Wort zu
rets. sondern wandte sich ab und ging ins Schlaf-
emach.

Die Magd saß am Bettchen des Kleinen. Er
schlummerte, aber er warf ſich hin und her. Es war
kein guter Schlaf.

Als Kathrine Klauſſen erkannte, trat sie flüſternd
Yischten st 4 rf ust .. ts . ß. ?
Seit Herr Harmſſen fort iſt, hat sie noch kein Wort
geredet. Ich mag fragen, was ich will.“

Klauſſen antwortete nicht. Er trat an das Bett
ſeines Sohnes. ;

Seines Sohnes ! Die bedeutungsvolle Gewalt dieser
Worte legte sich ſchwer auf seine Seele. Er beugte
 
Annotationen