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Veſt b.

Da s Buch für Alle.

135



ſich tief über den Kleinen, als quchte er in ſeiner Nähe
Schutz gegen die Verſuchung, welche ihm die Sinne
bis zur Verzweiflung berauſchte.

Erſchüttert, aber unerleichtert wandte er ſich ab und
ging in die Wohnſtube zurück. Gretas Anblick be-
reitete ihn Schmerz. Ein leiſes Erinnern zog durch
lte Setle. aber es war gemiſcht mit ſselbſtſüchtigen

orwürfen.

Abermals blieb er ſtehen. Die Scene des heutigen
Nachmittags trat ihm wieder vor Augen, das Gegen-
überſtehen beider Frauen und der Abſchluß dieser Be-
gegnung, welche er ſo gern verhindert hätte. Gretas
Entsezen konnte für ihn nur eine Deutung haben:
Sie wußte um ſeine Liebe zur Marquiſe. Deshalb
klebte ihm jede Frage nach ihrer außerordentlichen Er-
ſchütterung und Faſsungslosigkeit auf der Zunge fest.
Er brachte sie nicht herunter. Gretas ſeeliſcher Zu-
ſtand, den Kathrine ihm soeben geſchildert, mußte ihn
in dieser Annahme bestärken.

Wie glühende Pfeile ſchoſſen Gedanken und Vor-
ſtellungen durch Fein fieberndes Hirn. Fortgesetzt weiter
leben wie bisher, in eiſerne Pflichtketten geſchmiedet,
lohende Sehnſucht im Herzen und Blei an den Füßen
~ nein! eine Kugel dünkte ihm Erlöſungswonne!

War's denn nicht beſſer für Greta und ihr Kind, |

wenn dieſer elenden Zukunft beizeiten vorgebeugt
wurde? Dieser Zukunft, welche sie zu Bettlern machte,
wenn Unluſt und Verzweiflung sein Talent aufrieben?
Die junge Frau richtete ihr Haupt empor. ,„Du
biſt hier?“ sagte ſie tonlos. Für sie gab's keine fiebern-
den Hoffnungen und Erregungen mehr. In ihr war
das Licht verlöſcht, das mildthätige Licht, welches ihre
einſamen Stunden tröſtend durchleuchtet: das Bewußt-
sein, geliebt zu werden.
„Wir wollen eſſen, wenn du magst.“ Ihr war's
gleich, was sie ſprach. Sie ſuchte nur Gelegenheit,

aus dem Zimmer zu gehen.

„Ja, komm! Es iſt gut ſo,“ verſettte er, über
dieſe glatte Proſa bitter lächelnd.

Als sie dann an ihm vorbei wollte, packte ihn ſein
Gewissen ſchärfere. Es war ja doch sein Weib, das
pic Öerihheit seiner Untreue im Herzen trug und

arum litt.

„Vergieb mir, Greta!“ flüſterte er. „Den bejam-
mernswerten Irrtum vergieb mir. Glaube mir, die
Qual ist faſt zu groß für mich. Ich wollte, es wäre
anders. Wenn du kannſt, hilf mir, das alte Glück
bei dir wiederzuſinden. Halte mich! Verſcheuche die
Bilder, die mich locken, verjage das Bild –

Er brach ab. Ohne daß er's fühlte, rannen ihm
die Thränen über die Wangen.

Ihre Lippen zitterten vor Schmerz. „Meine Kraft
iſt zu ſchwach. Wäre sie ſtärker gewesen – Sie
legte ihre Hände vor die Augen.

Er verſtand nur zu wohl. Aber sein Herz häm-
merte in einer jener impulſiven Wallungen, denen er
ohne Rückhalt sich überließ.

„Lehre mich das Vergangene wieder erfaſſen, führe
mich in jene Tage zurück. Innig und feſt laß uns
daran denken. Die letzten Rosen dufteten so ſüßh.
Der Wind ſchlich leiſe am Fenſter vorüber ~ weißt
du noch? Ich kniete vor dir und küßte deine Hände.
Urs du sagtest: „Mir ist, als sei ich mitten im Früh-
in _ Ü

Irin Hohn, kein Schmähwort aus ſeinem Munde
hätte Gretas Seele so grauſam zerreißen können, als
dieſe Berufung auf ein entſchwundenes Glück.

„Höre auf !" stammelte sie zurücktretend. „Ich habe
keinen Glauben mehr an deine Liebe. Du haſt dich
meiner geſchämt. Das habe ich zu ſpät erkannt und
das iſt mein Fehler. Ich hätte es wiſſen müssen.“

„Schweig !“ rief er, erdrückt von der Wahrheit dieser
Worte. „Mach mich nicht vollends raſend. Geh ein-
mal nur aus dir heraus. Sage, daß ich ein Schurke
bin, der dich hinterging. Weine, ſchleudere mir Vor-
würfe entgegen ~ darauf könnte ich antworten. Diese
Duldermiene iſt's, die uns ins Unglück stürzt, die
klage an, nicht mich. Ich bin nur der Narr eines
Schickſals, das mir hohnlachend den Weg verrennt,
eines Daseins, das ich verfluche !“

Seiner nicht mehr Herr stürzte er aus dem Ge-
mach.

Am nächſten Vormittag erhielt Klauſſen folgenden
Brief von der Marquise.

„Jch habe Berlin verlaſſen. Das Bild bleibt Ihr
Eigentum. Von morgen an erwarte ich Sie fünf Tage
lang in Baden-Baden. Haben Sie bis dahin keinen
Entſchluß gefaßt, werden wir uns nie wiedersehen.
Ich erwarte Sie mit Sehnſucht. “

Mit Sehnſucht! Klauſsſen taumelte, als er zu Ende
gelesen. Ihm war, als ob eine Brücke, die er für
überſchreitbar gehalten, plötzlich unter ſeinen Füßen
auseinander krachte, und ihm der Abgrund darunter
sichtbar ward.

Fünf Tage! Die Zahl flimmerte ihm vor den
Augen. Ein brauſendes Aufpochen in den Schläfen be-
nahm ihm für einen Moment jede Denkfähigkeit.



Nebenan plapperte der Kleine ungeduldig.

Der Laut ſchnitt Klauſſen ins Herz. Er konnte
ihn nicht ertragen. In das Bedürfnis, ihm zu ent-
fliehen, miſchte ſich ein verzehrendes Sehnen nach Ines.

Er stieg hinauf ins Atelier. Als er die licht-
dämpfenden Vorhänge von den Scheiben zurückſchlug,
ſtrahlte die Gestalt der Königin Eſther wie mit einem
zu whl j leuchtendem Glanz und ſinnberückender

önheit auf.

Er warf ſich davor in einen Seſſel. Unerſättlich
saugte sich ſein Blick an der Leinwand fest, während
die Gewißheit durch sein fieberndes Haupt zuckte, daß
der Kampf in ſseinem tiefsten Innern bereits aus-
gefochten und entschieden ſei.

Ein unabweisbares Verlangen drängte ihn, Olaf
Harmssen aufzuſuchen, obwohl er den lästigen Mahner

haßte. Olaf war der Warner damals gewesen, er

ſollte ihm auch jezt raten. Außer ihm beſaß kein
zweiter Einblick in die obwaltenden Verhältnisse und
damit die Fähigkeit, ein richtiges Urteil abzugeben.

Er eilte aus dem Hauſe. Die warme Lenzluft des
Himmels floß in belebenden Strömen durch die Straßen.
Zu allen geöffneten Fenstern zog sie hinein. Alles
umwehte ihr erfriſchender Odem.

Klauſſen drängte ſich in fieberhafter Eile durch die
wogende Menge. Als eine unbesetzte Droſchke vor-
überkam, warf er ſich hinein.

Fort ging's durch das Menſchen- und Wagengewirr,
diesmal nicht in das Reich der oberen Zehntauſend,
den faſhionablen Westen, sondern weit hinaus nach dem
Norden, in das Fabrik- und Arbeiterviertel. Rauch:
säulen aus gigantiſchen Schloten, Praſſeln und Stampfen
aus den Maſchinenräumen zeigten Klauſſen, daß er
Olaf an rechter Stelle und zu rechter Stunde aufgesucht.

Ein Laufburſche führte ihn in die Werkstatt. Dort,
im blauleinenen Kittel stand Olaf Harmſſsen zwiſchen
seinen Untergebenen, selbſt Hand mitanlegend und zu-
greifend, wo es ihm erforderlich erschien.

Auf den kurzen Zuruf Klauſſens wandte er das
Haupt. „Ah, du! Was giebt's?“

„Ich habe mit dir zu ſprechen. Ü

„Hier? Und gleich? Das geht nicht. Wenn du
Vutten willſt ~ in einer halben Stunde iſt Mittags-
pauſe. “

„Ich werde wahnsinnig hier, “ murmelte Klauſsen,
sſich hastig zur Thür wendend. „Jch warte draußen.“
E SS o s
ſtoß wirbelte den dichten Kohlenſtaub des Bodens in
schwarzen Wolken zur Höhe. Klauſsen achtete desſen

.

nicht. .

Endlich ertönte das Gellen der Dampfpfeife, das

Signal zur Mittagspauſe. In raſchem Strome drängten
ſich die Arbeiter an Klauſſen vorbei ins Freie. Gleich
darauf ſtand auch Olaf neben ihm.

Klauſſen voranſchreitend, öffnete er ein Zimmer, in

welchem das Hauptqusſtattungsſtück ein großer Waſch- |

tiſch war. Ohne sich um die nervöſe Ungeduld ſeines
Freundes zu kümmern, vollendete er mit gründlicher
Energie das Werk der Säuberung. Dann erſt fragte
er, die lezten Wassertropfen aus den Bartſpitzen ſchleu-
dernd: „Was führt dich her?“

Klauſſen richtete seine geſchmeidige Gestalt hastig
auf. „Wiſſen will ich, was dich gestern in ſolcher
Haſt in mein Atelier stürmen ließ.“

Olaf warf das Handtuch beiſeite. „Das iſt ſchnell
gesagt. Ueber dein Verhältnis zu Frau v. Beauremont
ſind unerbauliche Gerüchte im Umlauf. Gerade her-
aus, man tritt deiner häuslichen Ehre ſehr nahe.
Wenn ich auch das Neidgift des alten Beauremont
davon abthue, bleibt immer noch genug übrig, dir eine
Warnung zukommen zu laſſen. Deshalb kam ich.“

„Machſt du dich zum Sprachrohr des erblüſternen

Marquis?“ rief Klauſſen, gezwungen lachend. „Was
sagt man denn von mir und Frau v. Beauremont?
Heraus damit!
antworten. Ü"
Olaf heftete seine Blicke feſt auf das bleiche Antlitz
des Künſtlers. Dann ſsagte er mit dem Ton lebhaf-
teſten Verdruſſes: „Zum Geier, Hans, laß doch endlich
dieſe Dummheiten! So viel wird sich ein Mensch in
deinen Jahren, der noch dazu Pflichten hat, doch wohl
in der Macht haben, daß er nicht über jedem hübſchen
Geſicht den Kopf verliert. Rück den Topf nicht im-
mer so nahe ans Feuer, so wird er nicht überlaufen.
Sagte ich dir nicht ſchon einmal, daß der Ruf der
Marquiſe nach bürgerlichem Geſchmack zu wünschen
übrig läßt? Im Pariser Klub wurde damals erzählt,
daß der letzte Sekretär des verſtorbenen Marquis –
„Du lügst !" fiel Klauſſen ſchwer atmend ein. „Oder
du ſprichſt Lügen nach ~ gedankenlos."
„Lange nicht so gedankenlos, wie du zutappſt,“
ſchnitt ihm Olaf das Wort ſcharf ab.
Klauſſen lachte abermals gezwungen. „Du ſpielst
dich auf den Moralprediger auf, und sehämſt dich nicht,
eine wehrloſe Frau zu lästern, deren ganzes Vergehen
darin besteht, der bitteren Not durch eine reiche Heirat
entflohen zu sein? Das iſt engherzig, ſpießbürgerlich

Wenn ich's weiß, werde ich darauf



gedachte. Da habe ich weitere Geſichtskreiſe!n Zum
hundertſtenmal wiederhole ich's dir und bitte dich
dringend, es zu behalten, daß ich mich in die Enge
deiner Anschauungen nie und nimmer zwingen kann.
Wenn du das feſthältſt als eine Thatſache“ ~– ſeine
Sprache verlor den geschraubten Ton und nahm eine
leidenſchaftliche Haſt an ~ ,so könnteſt du mir in der
verzweiflungsvollſten Qual meines Herzens ein ruhe-
ſpendender Beichtiger werden. Das ewig Menſchliche
sollſt du begreifen, mit verſtändnisvoller Freundschaft
huine oſsfene Wunde behandeln. Dazu allein kam ich
er.!
! Olaf empfand gegen seinen Willen die Wirkung
dieser Anrufung. ,Menſchenkind, “ sagte er, seine
Manschetten auf den Tiſch werfend, „es iſt doch ein
wirklicher Jammer um eine ſolche überſchwengliche
Natur! Ich kann die Notwendigkeit nicht finden, diese
gefährliche Anlage zu vertiefen, statt ſie auszugleichen.
Welcher Narr ſoll dir denn noch Del ins Feuer gießen ?
Denn h ſprichſt doch von deiner Liebe zur Beau-
remont?“ :

„Ja! Ich liebe Ines Beauremont. Und ſie liebt
mich. Ein Feigling und ein Narr müßte ich ſein,
wollte ich dieſe Liebe verleugnen, die meinem troſtloſen
Darben Enquickung verheißt. Ü
§ ggf! du nicht Weib und Kind?“ fragte Olaf nach-

rücklich.

„Nein, ein Weib habe ich nicht!" rief Klauſſen,
Olafs Hand ergreifend. „Dieses paſſive Wesen, dieses
Dorfmädchen, dem ich nichts sein kann, wie ſoll's mir
die ſchmerzende Dede hier ausfüllen? Dem Knaben
könnte ich mich widmen, dem Jüngling mich mitteilen,
dem Manne mich anvertrauen. Was aber läßt der
Anblick dieses Wickelkindes mich jetzt beſſeres empfinden,
als die Feſſel, an welche ich mich vorſchnell und unüber-
legt feſtſchmiedete ?“

„Wenn dir das nur etwas früher eingefallen wäre –

„Still! Schleudere mir nicht dieſe Felsblöcke der
kalten Vernunft entgegen. Ich weiß wohl, welche
Schuld ich trage. Glaubſt du nicht, daß diese zwei
Jahre mich darüber belehrt haben? Aber auf einen
Irrtum hin läßt sich doch nicht ein Menſch zu lebens-
langer Gefangenſchaft verurteilen. Ich bitte dich, ge-
brauche doch deine Einſicht, mit der du ſonſt so leicht
bei der Hand biſt.“ :

„Ich habe wohl nicht recht verſtanden, “ fiel Olaf
ein. „Du haſt die Absicht ~ nun kurz geſagt – du
willst dich von deiner Frau ſcheiden laſſen, um die
Beauremont zu heiraten, dieſes excentriſche, in Ueber-
ſättigung sich langweilende Weib? ~ Aber das geht
mich nichts an," unterbrach er ſich ſchroff. „Hier han-

delt sich's nur um Greta und ihr Kind. Du haſt e.

genommen ſo, wie ſie war, wie wir sie kennen lernten.
Sie trägt nicht die Schuld an deiner Enttäuſchung.
Eine schreiende Ungerechtigkeit, ein ſchwerer Vertrauens-
bruch wäre es, wollteſt du sie jetzt verlaſſen.“
„Darüber erkenne ich keinen Richter an !“ rief Klauſſen
mit ſich rötender Stirn. „Nicht dich, noch sonst einen,
denn i < bin es, der moraliſch zu Grunde gerichtet
wird in dieſem Zuſammenleben. Mein Talent ver-
dorrt, meine Geſundheit wird untergraben; ich bin
elend geworden, energielos, arbeitsunfähig durch die
Folter meiner Ehe. Was könnte ich leiſten bei freier
Regung der Seele! Aber meine Phantasie, meine
Schaffenskraft iſt gelähmt. Das Geſpensſt der Not
ſchreitet mit Rieſenſchritten auf uns zu. Und wenn
nun in dieſes Elend, das ich dir ſchildere, in dieses
troſtloſe Dasein, die Liebe einer hochgeſinnten, geiſtig
reich begabten Frau wie ein Sonnenſtrahl fällt, wenn
mein verarmtes Herz ſich ihr weit öffnet, sich ihr ent-
gegendrängt, – wer will mich verdammen?"
mg set, G Ceſe htl Salöftsetetriquns istucigert
ust "ih dich, Hans. Du haſt gewußt, t es jagen
mußte. Da hilft kein Schönreden. Was träumſt du
dir jett wieder für ein Glück mit der Laſt auf dem
Gewisſen, wenn du die Scheidung wirklich durchgesetzt
haſt? Denn das wüßte ich wenigstens von mir \m
voraus, wenn ich den Himmel Felbſt im Aum hielle
und ich dächte an die beiden armen, verlaſſenen Wür-

mer, die irgendwo bei fremden Leuten Schutz ſuchen

müſſen – pfui Teufel! Wenn du meine Meinung
wissen wolltest, das iſt sie."

Klauſſens Stirn war fahl geworden. Die breite.

Ader darauf trat tiefblau hervor. „Das iſt alles,
was du auf die Berufung an deine Freundſchaft vor-
zubringen weißt?“

„Keineswegs! Ich faſſe meine Pflicht als Berater
~ die Rolle ſchiebſt du mir doch zu? ~– im Gegenteil
ernster auf, als dir lieb iſte. Du malſst dir da was
an den Zukunftshimmel, – unter anderem mächtige
Summen, die du möglicherweiſe erwerben kannst. Aber
wenn nicht, was dann? Wo bleibt die gesicherte Exi-
stenz deiner Frau und des Jungen?"

„Das iſt meine Sache!“ rief Klauſſen heftig auf-
fahrend. „Was ich eingegangen bin, zu zahlen, werde
ich zahlen – und mehr!"

Olaf nickte bedeutſam. Mit mißächtlichem Hohn
 
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