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sie läßt bitten, da sie das Kloster ungern verläßt, auch

fernerhin mich als ihr Sprachrohr und den, der ihren
Gedanken Ausdruck giebt, betrachten zu wollen.".
„Alſo, meine Herren, zur Sache! Die Verhältnisse
haben sich derartig gestaltet, daß die Abdankung des
Kaiſers nur noch eine Frage der Zeit iſt. Die wahn-
ſinnige Idee, ſich ſelbſt an die Spitze einer Republik
stellen zu wollen, scheint er aufgegeben zu haben. Jeden-
falls wird von allen Seiten nach Krästen dazu bei-
getragen, sie ihm auszureden. Wie ich aus beſter
Quelle weiß, hat Napoleon ihm auch noch in einem
persönlichen Briefe zur Abdankung geraten.
nur eines noch zu befürchten: die Hilfe aus Belgien.
In den nächsten Tagen wird eine außerordentliche bel-
giſche Geſandtſchaft hier eintreffen, vom Kapitän Grafen
Chazal geführt, einem Bruder der Hofdame der Kai-
ſerin, Komteſſe Helene Chazal. Die Chazals gelten
viel bei König Leopold. Ich beſorge, daß die Kaiſerin
durch ſie eine neue belgiſche Anleihe aufzunehmen ver-
suchen wird. Und das muß vermieden werden. So-
bald der Kaiſer wieder Geld in die Hände bekommt,
wächst sein Mut von neuem. Ich kenne ihn. |
wir also, daß er zu seinem eigenen Beſten“ ~ die
Dame betonte dieſe lezten Worte ~ „in der That
gnabdankt, so müſſen wir auch ſchon den Verſuch einer
derartigen Anleihe zum Scheitern bringen. Sie kennen

die belgiſchen Verhältniſſe beſſer als ich, Baron =.

vielleicht können Sie uns einen guten Rat geben !"
Der Angeredete zog die Schultern hoch. „Es ist

ſchwer, nach dieſer Richtung hin zu raten,“ entgegnete

er mit eigentümlich dünner und klangloſer Stimme.

î „Das beſte Mittel iſt die beſchleunigte Entlaſſung der

belgiſchen Legion. Das wird in Brüſſel verſchnupfen.
Ich arbeite seit langem darauf hin = aber leider finde
ich an Seiner Excellenz dem Herrn Marſchall in dieſer
Beziehung nicht die Unterstütung, die ich erhofft
hs br U ecains kann und darf sich nicht bloßſtellen, “ ant-

wortete die Dame ernst. „Sie wiſſen alle ſehr gut,

daß ich hier gewiſſermaßen an ſeiner Statt ſtehe ~

aber doch nur gewissermaßen. Bazaine ſelbſt wird
niemals perſönlich die Hand zu Intriguen irgendwelcher

als ehrlicher und vorurteilsloſer Berater des Kaiſers
auftreten – schon um die Stellung zu wahren, die
ihm von seinem eigenen Monarchen angewiesen worden
iſt. Auch seiner Mitwirkung bei der Entlaſſung der
fremdländiſchen Truppen sind infolgedeſſen Grenzen
UG); itt b6rihtcite! U u geit. c§lele

Gedanke einer Nationalarmee, lediglich aus einheimischen |
Truppen gebildet, iſt dem Kaiſer ſehr ſympathiſch, die

Herbeiſchaffung neuer Freiwilliger aus Öeſterreich aber
ſchon deshalb ſchwer möglich, weil der Konflikt zwiſchen
Preußen und OÖbſterreich, wie der Herzog von Gram-
mont an Bazaine ſchreibt, jedenfalls binnen kurzem
zum Kriege führen wird.“ ;
„Verzeihung, Excellenza,“ miſchte ſich der letzte der
Herren, der am Ende des kleinen ovalen Tiſches im
Zimmer saß, in das Gespräch, „wenn ich mir einen
Vorſchlag erlaube.
gierung die Luſt, durch die Bewilligung einer Anleihe
das mexikaniſche Kaiſertum moraliſch zu unterstützen,
von Grund aus zu verleiden + doch nur unter einer
Bedingung: daß Sie mich nicht um die Ausführung
tt Planes befragen und mir dieſe völlig allein
überlaſsen. “ ;
_ „Dasgs iſt ſelbſtverſtändlich, Don Palacio – wenn

nur der Effekt ſo iſt, daß wir damit zufrieden ſein

können. Wollen Sie nunmehr die Güte haben, auch

î den Herren mitzuteilen, welches die Vorſchläge ſind,

die Sie der Schwester Thereſe unterbreitet haben.“
„Kurz die folgenden,“ entgegnete Palacio. „Die
Herren wiſſen, daß die Republikaner, zu denen auch
ich mich zähle, allerorts ſiegen und daß der gänzliche
Sturz des Kaisertums nicht mehr lange auf sich warten
laſſen wird. Aber mit den steigenden Aussichten der
Republik sinken merkwürdigerweiſe die des Don Juarez.
Ich will die Gründe nicht unterſuchen, die dieſe un-
unmſtößlich feſtſiehende Thatsache herbeigeführt haben;
volkstümlich iſt Juarez nie geweſen. Seine lange Zu-
rückhaltung hat ihn dem Volke gänzlich entfremdet,

_ und ich fürchte, wenn man erfährt, was ich weiß, so

wird auch der Rest der Sympathien, deren er ſich noch
erfreut, verloren gehen. “

„Iſt es notwendig, daß Sie Ihr Wisſen geheim
heltcn.. Esballeros! warf der jüngste der Herren fra-
z „Nein, Kapitän Jablonski, “ erwiderte der Hacien-
dero, „ich halte es im Gegenteil für gut, daß die
Thatſache bekannt wird. Juarez iſt, um ſich zur Fort-
führung des Krieges Geld zu verſchaffen, mit den Ver-
Hy: stuuten u Lbiudung attreer uus. hat Uhren
zum Kauf angeboten.“ ſtzen eiue fete Suguse
_ Das iſt allerdings ein ſtarkes Stück!“ rief Oberst
Lopez, „und zugleich ein Beweis dafür, wie ſehr man

in Waſhington darauf rechnet, Juarez wieder auf

Nun iſt'

Wollen |

Art gegen die Regierung bieten. Er kann immer nur mnosterete Herr.

Ich bin bereit, der belgiſchen Re-



Da s Buch für Alle.

[z yen alten Plate zu sehen! + Aber weiter, Don
alacio !“

Y „Ich habe Juarez nahe geſtanden, “ fuhr der Ha-
ciendero mit heuchleriſcher Miene fort, „ich war ein
Freund von ihm. Aber von dem Augenblick an, da
ich von dieſem elenden Schacher hörte, erloſch meine
Freundschaft – für immer. Eher würde ich Ortega
meine Stimme geben oder Santa Anna, der ein neues
Pronunciamento vorbereitet, als Juarez ~ eher jedem
anderen. Daß Kaiſer Maximilian als Präsident der
Republik unmöglich sein würde, liegt in der Natur der
Sache. Er bliebe der Kaiſer auch ohne Krone und
Scepter. Anders iſt es mit dem Marschall Bazaine.
Er iſt ein Ausländer und steht den Parteiumtrieben
fern. Schon das ſpricht für ihn. Er iſt zudem Soldat,
und einen solchen brauchen wir an der Spitze des
Landes. Ich bin bereit, für den Fall der Abdankung
des Kaisers in den Nordprovinzen einen Aufstand zu
Gunſten der Diktatur des Marſchalls vorzubereiten ~"
és welcher Bedingung?" fragte Lopez ein-
allend.

„Einer, die mir leicht gewährt werden kann. Ich
habe in Chihuahua Queckſilberlager entdeckt. Man
geſtatte mir, in der ganzen Provinz, wo es mir an-
gebracht scheint, Nachgrabungen zu meinen Privat-
zwecken anstellen zu dürfen, ohne daß ich dafür Ent-
jhvigung zahlen nh lhzu die Ertälluv a dickes
Vu f tere qu za.e ' sé Eckül u ze
in ihrem kleinen, durch Elfenbeintäfelchen zuſammen-
gehaltenen Notizbuch eine Bemerkung eintragend. „Sie

sagten, daß auch Santa Anna ein neues Pronuncia-

mento gegen den Kaiſer vorbereite ?“

„Ja ~– in der Hoffnung, die Nation werde ihn
zum Schiedsrichter wählen. Aber was wichtiger iſt:
einer der eifrigſten Anhänger Juarez’, der Bürger-
general Albitezo, hat sich mit dieſem entzweit und gemein-
ſam mit Negrete auf die Seite von Gonzales Ortega
heſchlagen, deſſen Partei im Lande immer mehr an
Stürte hepenrt. " rreſtant, " sagte der, vorhin mit Ygron

„Albitezo ss ges t ztzr UM er
führers Taori deſſen Verbündeten, einen reichen Nord-
amerikaner Namens Fleeps, der gewissermaßen zu seinem
Vergnügen die Republik bekämpft, gefangen genommen
und wollte ihn erſchießen laſſen ~" :

_ In diesem Moment wurde der hinter der Mauer

Lauſchende so blaß wie eine Leiche. Sein Auge ſchien sich
durch die Wand bohren zu wollen = ſein Atem ſtockte.
put und?" fragte der Baron, sein Monocle

„Juarez entriß ihm ſein Opfer und gab Mister

Fleeps frei. Allerhand perſönliche Gründe mögen ihn
zu dieſer Großmut veranlaßt haben. Aber Albitezo
paßte dieſe Vormundſchaft nicht, und. so sagte er ihm
denn Adieu, ohne ein Auf Wiedersehen anzufügen.“

Eine kleine Pauſe trat ein; dann fragte der als
Kapitän bezeichnete Herr: „Wann sind Sie in Mexiko
eingetroffen, Don Palacio?“

„Gestern abend, Senor. Ich habe von Guaymas

bis San Blas einen Dampfer benützen können ~ die

Reiſe ging raſch gennzn.

„So wiſſen Sie noch nichts von den neuesten jua-
riſtiſchen Erfolgen ?“ :

„Ich kenne sie zum Teil, weiß aber bestimmt, bis

zu Beginn des Sommers wird die Lage des Kaiſers

eine derartig verzweifelte sein, daß ihm nichts anderes
übrig bleibt, als abzudanken oder sich dem Sieger zu
ergeben. In letzterem Falle aber iſt er gerade so gut
verloren wie Frascalan und seine Genoſſen.“.

Der Kapitän fuhr auf. „Was heißt das? Glauben
Sie, daß man es wagen wird – :

„Den Kaiser vor ein Kriegsgericht zu stellen und
zum Tode zu verurteilen ~ ja, das glaube ich,“ er-
gänzte Palacio ruhig.

„Laſſen Sie uns zum Schluſſe kommen, meine
Herrſchaften, “ drängte der Baron. „Jch bin kein per-
ſönlicher Gegner des Kaiſers – durchaus nicht. Aber
ich bin ein Gegner dieses ganzen unerträglichen Syſtems,
das unausbleiblich zum Ruin führen muß — dieses
thörichten Abenteuers, in das sich Maximilian verſtrickt
hat und aus dem ſsich Napoleon, der Anstifter, nun
plötzlich mit brutaler Gewalt herauszuziehen verſucht.
Seien wir offen: Maximilian iſt nicht frei von Schuld.
Seinen Idealismus, seine edle Begeisterung, seinen

Edelmut = all ſeine guten Seiten in Ehren; aber sein

Schwanken hierhin und dahin waren Fehler, die ſich
rächen mußten. Um ſeiner ſselbſt willen muß er zur
Abdankung gezwungen werden. Das iſt die Hauptsache.

Alles weitere wird ſich von ſelbſt ergeben. “

„Ich meine, über unser Einverständnis kann kaum
noch ein Zweifel obwalten, Herr Baron, “ entgegnete
die Dame an der Spitze des Tiſches. „Die Stimmung
für Bazaine ist günſtig. Er hat viel Anhang im
tothe. auch unter IN heustigten Liberalen. betch
ſind. er eur Maximilian ferſchwlügee al'§ t zunvet



Heſt 7. -

gedanken trägt, ist gleichfalls bekannt, es gilt nur noch,

den Gegeneinfluß der Kaiſerin zu bekämpfen. Ihre
ſrsv, Vetter Lopez, ſteht ja sehr in Gunſt bei Char-
otte ~“

Eine unmutige Bewegung des Obersten unterbrach
die Sprechende. „Nein, meine gnädigſte Couſine,“
sagte er unwirſch, „verlangen Sie nichts von meiner
Frau! Ich bin glücklich, daß sie von unseren Unter-
handlungen keine Ahnung hat. Sie iſt zu derlei Miſ-
ſionen durchaus nicht zu gebrauchen. Sie würde auch
nie verſtehen, daß es sich gerade um das Wohl des
Kaiſers handelt, vielleicht um sein Leben ~ ich bitte
dringend, laſſen Sie sie aus dem Spiel! Es wäre
urtortts wollten wir sie in unſere Geheimniſsſe
iehen. “
Ö „Und Sie selbſt, Miguel?" entgegnete die Dame.
„Sie gehören zu des Kaiſers Lieblingen – wird Ihr
Ewfluh niht ſtark genug sein, den der Kaiſerin auf-
zuheben?“.

„Maximilian ist sehr wankelmütig in seinen Ent-
schlüssen. Aber wir haben nach Sturz des Kabinetts
Ramiro auch die Hofpartei für uns. Der alte Lacunza
mit seinen monarchiſtiſchen Neigungen zählt nicht mehr
mit, und Velasquez de Leon, der uns allenfalls noch
hätte gefährlich werden können, iſt in Rom.“

Er brach ab und hob lauſchend den Kopf. Von

. der Straße aus drang ein dumpfer, unbestimmter Lärm

in das kleine Kabinett. Gleich darauf pochte es an der
Himumerthör; man hörte die Stimme der Madame
ovaro.

„Erxcellenzz – Vergebung, wenn ich ſtöre,“ rief
ſie. „Jn der Nähe iſt Feuer ausgebrochen, das raſch
an Umfang zunimmt. Ich wollte nur warnen.“

„Danke ~ wir gehen!“ rief die Dame zurück. Sie
hatte bereits wieder den Schleier vor das Gesicht ge-
bunden und war ſchon an der Thür. „Ich benachrich-
tige die Herren in alter Weiſe für die nächſte Zuſam-
menkunft, “ fügte sie hinzu, „auf Wiederſehen!“

Wenige Minuten später erloſch das Gas in dem
kleinen Zimmer.

Der Ausbruch des Feuers war, wie man erzählte,
in einem der zahlreichen Tienditas oder Kramläden
der inneren Stadt erfolgt. Da es ſich indeſſen mit
Riesenschnelle verbreitete, ſo wurden raſch Stimmen

laut, die da behaupteten, es sei von frevelnder Hand

an verſchiedenen Orten angelegt worden. Die Phan-
taſie des Volkes ſah in dem Ursprung der hoch zum
nächtlichen Himmel lodernden Flammen bereits eine
juariſtiſche Schändlichkeit; durch den Tumult der Menge,
das gellende Geſchrei der Armen, die um ihre Hab-
seligkeiten gebracht wurden, das Rasseln, Klingeln und
Pfeifen der durch die Straßen jagenden Feuersſpritzen,
durch den Schwarm der Gaffer, die ganze aufgeregte
und halb tolle Menge ſchwirrten ungeheuerliche Gerüchte.
Es hieß, in Sturmmärſchen rücke der Feind von Potosi
heran: Juarez ſelbſt an der Spitze einer rieſigen Trup-
penmacht. Wieder andere wollten wiſſen, der Expräſi-
dent Santa Anna habe ſich mit einigen nordamerika-
niſchen Führern verbündet und wolle die Hauptiſtadt
erobern – auch von einem großen Indianeraufstand,
der über die Grenzen Yucatans bis in das Thal von
Mexiko gedrungen sei, wurde geſprochen. Immer wieder
aber quoll aus den Worten, Drohungen und Be-
ſchimpfungen der Haß gegen die Union hervor; es war
noch nicht lange her, daß ein amerikaniſches Neger-
regiment die Grenze überſchritten und die Kaiſerlichen
geſchlagen hatte. Und das hatte die Wut der Mexi-
kaner, in denen der alte Gegensat zwiſchen der roma-
niſchen und der angelſächſiſchen Raſſe überaus ſtark
lebendig war, hellauf entfacht. Was hatte ſich Nord-

amerika um die inneren Verhältniſſe Mexikos zu küm-

mern?! Mochte es vor seiner eigenen Thür fegen und
darauf achten, daß der kaum niedergeſchlagene Bürger-

krieg nicht wieder zu neuem Leben erwachte!

Das Feuer gewann in unheimlicher Weiſe an Nah-
rung und näherté ſich bereits der großen Plaza, auf

der die Kathedrale und der Nationalpalaſt die einigen.

nicht beleuchteten Gebäude waren. Der Hof weilte
wieder in Chapultepec, aber Kuriere hatten dem Kaiſer
bereits Meldung von dem entsetzlichen Unglück erstattet,
das einen großen Teil der Hauptſtadt in Aſche legte.

In den engeren Straßen hatte sich das ſchreienne
und kreiſchende Volk zu dichten Haufen zuſanmen-

gedrängt. Oberſt Lopez und Palacio, die nach Ver-
laſſen des Modemagazins der Tovaro noch beiſammen
geblieben waren, da erſterer Näheres über den Fall von
Guaymas hören wollte, hatten Mühe, sich in den eng
gekeilten Massen Platz zu ſchaffen. :

_ „Alle Wetter,“ brummte der Oberst, „es iſt nicht
zum Durchkommen. Eilt es Ihnen denn so, in Ihr
Hotel zurückzugelangen, Don Palacio?“ |

„Ja,“ antwortete der andere, „ich habe meine Tochter

dort gelaſſen und bin ängstlich geworden. Aber gehen
wir über den Paseo de la Viga! Das iſt ja en ge.
waltiger Umweg = ich hoffe jedoch, man wird besſen.

durchkommen als hier. “

„Gut ~ machen wir kehrt!" (Fortſezung folgt.)


 
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