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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0043
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liest 2- __ n
Heimat verbleibt. Alles übrige nach Gottes Willen.
— Nun komm!"
Mia stand mit weitgeöffneten Augen. Begriffen
hatte sie nur das eine, daß dieses Heidehaus ihr ge-
hörte, daß sie aber keinen Gewinn davon hatte, weil
sie im Begriff stand, für immer aus ihm heraus-
zugehen.
Eines besonders entging ihr völlig: daß in
ihrem Recht, den Namen v. Helling zu führen,
eine leere Stelle sich befand, die Pastor Seiler
unberücksichtigt ließ.
Sie trat wie betäubt nach dem Abschied von
Sodmann und Fips aus der Haustür, wo auf dem
holperigen Landweg der Pastorwagen harrte.
Kein Wort kam über ihre Lippen.
So fuhr sie an Tellers Seite heideabwärts zum
Dorfe, ins Leben hinaus.
Hinter ihr, langsam aber stetig, versank die dun-
stige Heide, versank das graue Dach, unter dem sie
so glücklich gewesen, versank alles, was ihre Jugend
beschirmt.
fünfte Kapitel. —
In Schloß Elbental fand ein Prunkmahl statt,
zu welchem das erbprinzliche Paar sein Kommen in
Aussicht gestellt hatte. Der Prachtbau aus der Zeit
der Spätrenaissance erstrahlte im Erdgeschoß und
im oberen Stockwerk taghell durch die winterliche
Nacht, während im Speisesaal der Obergärtner die
letzte Hand an eine fürstliche Blumenausstattung der
silberglänzenden Tafel legte.
Durch alle Räume, von Generation zu Gene-
ration mit Kunstwerken und Kostbarkeiten ausge-
stattet, zog jener vornehme Hauch, den keine
frischerworbenen Millionen zu schaffen vermögen.
.Ruhig goß das Glühlicht seinen Schein über die
stille Pracht, in welche die Bilder der Vergangen-
heit von den Wänden herabschauten und wie be-
lebt blickten, wenn zwischen den marmornen Kamin-
mänteln knisternde Funken aufblitzten und zer-
stoben.
Ein Mittelding zwischen Gesellschafterin und
Kammerfrau, ein ebenso altes Familienstück des
Hauses wie der zum Hausmeister aufgerückte Kam-
merdiener des verstorbenen Freiherrn, huschte mit
einer Tasse Orangenblütentee in das Ankleide-
zimmer der Baronin, wo ihre Hilfe beim Anlegen
des Schmuckes unentbehrlich war.
„Hier, Frau Baronin! Er ist gerade mundrecht."
Vor dem Drehspiegel saß die Frau, welche mit
verachtungsvollem Haß ihr Fleisch und Blut einst
in die Nacht und ins Elend hinausgejagt, das Band
der Natur mit scharfgeschliffenem Zorn zerschnitten,
die Frau, deren Herz nicht brach, wie das Herz
ihres Gatten, über den unersetzlichen Verlust, son-
dern die ihren Schmerz so zu Härten und zu stählen
wußte, daß diese Härte der klatschsüchtigen Menge
imponierte wie ein Heldentum und ihr zum Ruhme
angerechnet ward.
„Perlen, Frau Baronin, zu diesem matten
Grau?"
Der Nacken der Freifrau, trotz nahender sechzig
Jahre fast noch jugendlich voll, trug nun die vier-
fache Schnur, deren herabhängendes Ende Fräu-
lein Lüders mit einer Agraffe aus prachtvollen
Brillanten am Ausschnitt befestigte.
Die Tasse Orangenblütentee war geleert.
„Lüders!"
Frau Beate Lüders ließ den Karton stehen und
setzte die Tasse beiseite.
„Ich möchte eine Frage an Sie richten. Wie
spricht man von meinem Sohn?"
„Man ist von ihm entzückt. Wie könnte es auch
anders sein! Die Frau Erbprinzessin ist die Huld
und Güte selbst —"
„Das höre ich."
„Ein so schöner Herr! Der beste Reiter neben
Hoheit dem Erbprinzen, und ein Tänzer, den sich
die Damen gegenseitig nicht gönnen. Ein wenig
ernst, sagt man, und — der schneidigste Husaren-
offizier, der je auf einem Pferde faß."
Frau v. Mersbach nickte. „Spricht man von
Beziehungen?"
„Nein! Das heißt — unschuldigen Flirt meinen
Frau Baronin?"
„Beziehungen — sagte ich."
„Nein, davon hörte ich nichts. — Ich darf Wohl
jetzt den Reiher befestigen?"
Ein Druck—und der blitzende Schmuck stand auf-
recht im grauen Haar. Frau Lüders machte sich
jetzt mit den Armreifen zu schaffen.
„Der Herr Rittmeister braucht ja nur zu wollen,
nur zu wollen. Da sind zum Beispiel die Dirkhof-
ner Damen —"
„Geschwätz! Kann denn ein junger, unab-
hängiger Mann nicht mit heiratsfähigen Damen
sprechen, ohne daß ein Wunschzettel ausgehangen
wird?"

- V35 Luch fül- MIe
Die Freifrau erhob sich. Langsam ging sie aus
dein Ankleidezimmer in die Festräume. Hinter ihr
her rauschte die graue Seide in schweren Falten
über das Parkett.
„Guten Abend, Mama! — Hoheit hat mich
etwas zeitiger vom Dienst dispensiert, um den Gast-
geber machen zu können."
Richard v. Mersbach küßte seiner Mutter die
Hand. Einen Moment sah er ihr forschend ins Auge.
Heute war dem Datum nach der Tag, an dem
sich einst die Katastrophe in diesen Räumen vollzog,
und ein blühendes Reis vom Familienstamm rück-
sichtslos abgeschnitten ward. Das heutige Fest als
Gegenstück zu der Sendung nach Schwarken, welche
ibn zwei Jahre zuvor durch die Heide geführt, gab
ihm zu denken.
Und nun fuhren in rascher Folge die Wagen vor,
pünktlich bis auf die Minute, um beim Eintritt
des Hofes nicht zu fehlen.
Da erschien der Oberst v. Dirkhofen mit feinen
heiratslustigen Töchtern, die Ministerfamilie, welche
in ewigem Widerspruch mit ihren Geldmitteln
lebte, mit einem Töchterlein, das die Pracht dieses
Hauses sehnsüchtig in sich aufnahm, da erschien
die „unausstehliche" Geheimrätin Sokmann, deren
Lästerzunge nicht den eigenen Mann verschonte,
die aber sehr amüsant zu erzählen wußte und da-
her zu den Teeabenden Ihrer Hoheit der Herzogin
gern gesehen ward.
Sie entledigte sich gerade einer boshaften Be-
merkung, als der Gegenstand derselben in die Tür
trat: die über alle Maßen törichte Medizinalrätin
Büchtner, deren Gatte Leibarzt des herzoglichen
Paares war und einen großen Ruf genoß, weswegen
man seine schwächere Hälfte mit in den Kauf neh-
men mußte.
Sodann erschien eine alte Exzellenz, deren hage-
rer Körper die Fülle der Sterne und Kreuze nicht
tragen zu können schien, neben seiner dritten Frau,
welcher die Lebenslust aus den graugrünen Augen
sprühte, dann die blonde Gräfin Stamer, glei-
ßend, flimmernd in Silberbrokat und Brillanten,
der Hofmarschall Freiherr v. Trotter, der eine
amerikanische Millionärin heimgeführt, welcher aber
die Nägelfabrik ihres Vaters ganz aus dem Gedächt-
nis geschwunden war, mit zwei Töchtern, deren
steife Körperlinien mit der Steifheit ihrer Geistes-
gaben sich deckten, eine lustige kugelrunde Präsi-
dentin, der alles lächerlich vorkam, was ihr nicht
selbst wehtat, mit reizenden Zwillingen und einer
reich dekorierten männlichen Null. Endlich die vor-
nehme Erscheinung der Oberhofmeisterin, deren ver-
bindliches Lächeln alles ablehnte, was an Aufrich-
tigkeit und Herzlichkeit erinnert — und so fort und
so fort, bis die Meldung eintraf, die erbprinzliche
Equipage sei in Sicht.
Augenblicklich bildeten sich aus dem wogenden
Durcheinander Halbkreise, während Frau v. Mers-
bach mit ihrem Sohn den Saal verließ.
Frau Lüders stand schon harrend draußen mit
einer Hülle, welche sie um die bloßen Schultern
der Freifrau warf.
Drunten rollte ein Wagen unter die bedeckte
Einfahrt.
Richard v. Mersbach, der Adjutant des Erbprin-
zen, stand schon am Schlage, der hohen Frau die
Hand beim Aussteigen zu bieten und sodann das
prinzliche Paar ins Treppenhaus zu geleiten, wo
die Freifrau Aufstellung genommen.
„Meine liebste Baronin —"
Die Erbprinzessin, eine königliche Hoheit — und
sich ihres Ranges gegebenen Falles stark bewußt,
umarmte die Gastgeberin mit einem Wangenkuß.
„Königliche Hoheit haben die Gnade gehabt,
unser Haus zu beehren —"
Der Erbprinz, eine unansehliche Erscheinung,
leicht verletzt und nachtragend, aher mit einem
Grundzug von Ritterlichkeit und Wohlwollen im
Charakter, drückte Frau v. Mersbachs weißeu Hand-
schuh verbindlich an seine Lippen, bevor er ihr den
Arm reichte.
Im gleichen Augenblick legten sich die Finger-
spitzen der Erbprinzessin auf den Ärmel des roten
Attilas Richards, nachdem sie vorher noch einen
Strauß herrlicher Rosen huldreich entgegengenom-
men hatte.
Kammerherr und Hofdame bildeten das Gefolge.
Jetzt war's, als ginge droben ein starker Wind-
stoß durch den Saal — ein Knistern und Rauschen,
als brächen dürre Ästchen von den Zweigen.
Die Medizinalrätin saß fast auf der Erde
vor Untertänigkeit, was der Geheimrätin Sok-
mann Veranlassung gab, ihrer Nachbarin zuzuflü-
stern: „Die gute Büchtner sucht wieder einmal ihren
Verstand."
Noch sagte der Erbprinz der wackeligen Exzellenz
einige höfliche Worte, sobald er die Gesellschaft
summarisch begrüßt, und die Prinzessin erkundigte

.—- 2Y
sich bei der Oberhofmeisterin nach dem Schnupfen -
rückgang ihrer erlauchten Schwiegermutter — dann
begann das Prunkmahl, welches die ererbten Schätze
des Hauses in Erinnerung brachte.
Im Gobelinzimmer, mit seiner vielbewunderten
Rokokoeinrichtung, wo das Zeitalter der Reifröcke
und Hackenschuhe durch Wachskerzenbeleuchtung auf-
recht erhalten wurde, geruhten die hohen Herr-
schaften den Kaffee einzunehmen.
Hier durchbrach das Temperament der Prin-
zessin den Formenzwang. Was sie ihrer Person
gegenüber anderen nie gestattete, gestattete sie sich
selbst.
„Verlangen Sie alles, liebste Baronin," sagte
sie mit ihrem zitternden Lächeln, „nur nicht, daß
ich Cercle abhalte. Hier ist ein so hübsches Plätz-
chen —"
Sie warf sich in einen der Gobelinsessel neben
dem lohenden Kaminfeuer und setzte den weiß-
bekleideten Fuß auf das Bänkchen davor.
Aus ihrem milchigen Gazekleid, von Rosen
und Silberranken durchwirkt, stieg ein feiner süßer
Duft und hüllte die jugendliche Erscheinung in
eine besondere Atmosphäre. Mandelförmig ge-
schnittene dunkle Augen unter scharfgezeichneten
Brauen leuchteten aus dem weißen Gesicht wie
Sterne — sehr in wechselndem Glanze. Die stolz
gebogene Nase und die roten, heißen Lippen, die
schwarzen Wimpern und das blaue Geäder unter
der durchsichtigen Haut kennzeichneten nervöse Über-
reiztheit.
Das goldene Täßchen in den Händen, überstrahlt
von Glutlohe, lächelnd aufschauend, war sie wie ein
Bild anzusehen, dessen Reiz sich so leicht niemand
entzog. Am wenigsten der Mann neben dem Ka-
min, über dessen roten Attila die nämliche Glut
hinfloß.
„Wie ich höre, liebste Baronin," sagte die Prin-
zessin mit spöttischer Laune, „will unsere erlauchte
Großtante wieder einen Schritt aus ihrer Einsiedelei
wagen und trifft sonderbare Anstalten hierzu."
Nur ein ganz kleiner Kreis Intimer konnte
diese Worte mit brennender Neugier aufnehmen,
für die nicht Intimen gab es andere Räume als das
Gobelinzimmer.
„Wie meinen königliche Hoheit?"
„Ich hörte —" Sie nicktd ihrem im Türrahmen
erscheinenden Gemahl flüchtig zu, „ich hörte, daß
ein geistiger Import von ihr beabsichtigt sei. Unsere
erlauchte Großtante beabsichtigt, ihre Sprach- und
Literaturkenntnisse aufzufrischen, die bei solch hart-
näckiger Zurückgezogenheit notgedrungen verstauben
müssen. Nicht wahr, Exzellenz?"
Die Oberhofmeisterin der Herzogin und die Prin-
zessin, beide sich gleich unsympathisch, blickten ein-
ander an, die eine lauernd, die andere respektvoll
bejahend.
„Fräulein v. Klees ist als treffliche Vorleserin
bekannt, königliche Hoheit."
Die Prinzessin lachte scharf auf, während sie
mit dem goldenen Löffelchen in ihrer Hand spielte.
„Nein, liebste Exzellenz, das würde höchstens bei
einer Stegreifkomödie noch denkbar sein — und
auch dann nur im Notfall. Fräulein v. Klees wäre
zweifellos eine hervorragende Liebhaberin gewor-
den, wenn —"
Die dunklen Augen blitzten spöttisch auf bei dem
Wort „Liebhaberin", welches in Bezug auf eine
außergewöhnlich häßliche Persönlichkeit überwälti-
gend komisch wirkte.
„Wenn sie entdeckt worden wäre, was leider
nicht der Fall war."
„In Anbetracht ihrer geschwächten Augen —"
„Wird unsere erlauchte Großtante ihr eine Stütze
zur Seite stellen, wie ich höre in Gestalt - einer
jugendlichen Vorleserin aus der Musteranstalt Brink-
mann."
Die Oberhofmeisterin quittierte über diesen Stich
auf die Protektion der Herzogin mit einer gemessenen
Kopfbeugung.
j,Die Damen Brinkmann empfehlen —"
Die Prinzessin gab die Tasse aus der Hand und
fragte kurz: „Haben Sie schon gehört, wer die Emp-
fohlene sein wird, Exzellenz?"
„Eine Baronesse v. Helling, königliche Hoheit."
„Sehr interessant. Man kommt aus den Er-
eignissen gar nicht heraus. — Sie lächeln, Herr
Rittmeister?"
Der weiße Spitzenfächer bewegte sich ausdrucks-
voll gegen Richard v. Mersbach.
„Nicht im mindesten, königliche Hoheit. Ich
sah dort drüben auf dem Gobelin einen Pudel, das
brachte mich auf eine Gedankenverbindung."
„Gottlob! Es sind doch Gedanken!"
Der bittere Ernst, welcher einen Moment um
ihre Lippen zuckte, wich ebenso schnell lächelnder
Ironie.
„Wir schwelgen natürlich alle in Gedanken —
 
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