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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0096
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heft 4

Va5 Luch fürMle mm

Wetterleuchten. „Dieses Kind — deine Frau!
Hätte ich sie doch uie in mein Haus genommen.
Ich dulde sie um mich, das ist alles. Nicht eine
Spur von Sympathie hat sie mir abgeWinnen
können. Es steht etwas zwischen uns, das ihre
Gegenwart mir unerfreulich macht. Und dieses
Mädchen führst du mir als Tochter zu. O mein
Sohn, ein Funken Leidenschaft hat dein ganzes
Lebcnsgebäude in Afche gelegt!"
„Ich weiß es," sagte er tief ergriffen und küßte
die Hand feiner Mutter. „Aber vergib, ich kann
an niemand denken in diesem Trauerspiel, als an —
sie. Auch nicht an dich und deinen großen Schmerz."
Sie starrte in die glimmenden Kohlen.
„Ich werde dieses Mädchen hassen."
„Das ist falsch und ungerecht," sagte er schroff.
„Mia v. Helling hätte allen Anspruch, aus Liebe
erwählt zu werde». Wir benützen sie zu unserem
Zweck — wie kannst du sie dafür hassen?"
Er wandte sich hastig um und ging klirrend aus
dem Zimmer.

Unsichtbare Fäden spannten sich stetig zwischen
Elbental und der Residenz. Was man dort wußte,
wußte man hier.
Wenn also das Gerücht seiner Verlobung morgen
in der Frühe dort auftauchte, mußte das Schloß-
personal hier bereits davon wissen. Sonst hinkte
die Lüge.
Mersbach ging auf fein Zimmer, warf Mütze
und Handschuhe auf den Tisch und schnallte den
Säbel ab. Dann schritt er durch die Reihe der
Gemächer bis zu einer Tapetentür und klopfte an.
Mia steckte sogleich ihr Köpfchen durch die Spalte.
„Wer ist da?"
Als sie Mersbach sah, öffnete sie die Lippen
vor Staunen. „Herr Rittmeister-—"
Als er in dieses süße Gesichtchen sah, das dem
frohen Schreck so unverhohlen Ausdruck gab, ge-
sellte sich ein weicheres Gefühl zu der Bitterkeit,
die sein Herz zermarterte.
Er kam ja nicht, Mia in Not und Entbehrung
zu führen, er hob sie in Verhältnisse hinein, die
ihren kühnsten Träumen fern gelegen. Für diese
eine Lüge legte er ihr die Herrschaft Elbental zu
Füßen.
„Ich komme," sagte er, „mein Versprechen zu
halten, einmal mit Ihnen durch die Zimmer zu
gehen, damit Sie die Gespensterfurcht verlieren."
Sie stand schon neben ihm.
Da packte ihn von neuem Verzweiflung. So
also sah die Erfüllung jenes Glückes aus, das ihn
wie Sturmwind fortriß.
„Fürchten Sie niemand und nichts in der Welt
— als sich selbst," sagte er tief erschüttert.
„Ja," flüsterte sie leise.
Er nahm ihre Rechte und legte sie in seinen
Arm. Nun gingen sie ins angrenzende Zimmer.
So still war's darin, daß Mia vor ihrem eigenen
Spiegelbilds erschrak.
Unter Palmen und Schlinggewächsen stand ein
Eckdiwan.
„Wollen wir ein paar Minuten hier bleiben?"
Sie nickte. Neben ihm zu sitzen, war die höchste
Freude, welche ihr bisher widerfahren.
„Fräulein Mia —"
Da wurde sie purpurrot und senkte die Wim-
pern lief.
Er sah es — und das Bewußtsein, daß sie ihn
liebe, gab ihm die Festigkeit, deren er in dieser
Stunde bedurfte. „Ich möchte Ihnen eine Frage
Vorlegern"
„Bitte," flüsterte sic, die Hände faltend. „Wenn
ich darauf antworten kann —"
„Niemand als Sie kann es."
„Dann, bitte, fragen Sie," lispelte sie verlegen.
„Haben Sie auch jetzt noch an die Forderung
Ihrer Tante gedacht: sich zu besinnen, ob Sie einen
Mann lieb haben?"
Wieder huschte die Röte über ihre Wangen.
„Ach," flüsterte sie, „das ist ja schon so lange her -—
ich weiß wirklich nicht, wen sie damit meinte."
„Ich weiß es."
„Wen denn?" fragte sie aufschauend.
Er nahm ihre Hand, die sie ihm bebend über-
ließ. „Können Sie's nicht erraten?"
„Nein — gewiß nicht!" sagte sie.
„Wenn nun ich der Mann wäre?" fragte er leife.
Da zuckte sie zusammen.
„Was ist denn?" fragte er und faßte ihre beiden
Hände.
Sie wußte nicht warum, aber sie brach in Tränen
aus.
„Sie sollen nicht weinen," sagte Mersbach tief
bewegt. „Ich will Ihnen ja nicht wehe tun mit
meiner Frage. Vielleicht habe ich mich auch ge-
täuscht. Aber mir war's, Mia, als hütteu Sie
mich lieb."

Wenn sie anch schluchzte, ihr Herz zersprang fast
vor Glück. „Ich kann nicht anders," flüsterte sie
dazwischen, feine Hand gegen dieses gefährdete Herz
drückend.
Er stand auf. Langsam zog er sie mit empor
und an sich. „Willst du mein sein, Mia?"
Ehrenhaft wollte er seinen Weg neben ihr gehen,
mochte kommen, was da wollte.
Sie zitterte unter seinem Blick. Sprechen konnte
sie nicht, die Stimme versagte ihr vor Seligkeit.
Aber sie sank ihm ans Herz und drückte ihr Ge-
sicht gegen seine Schulter.
Er hielt sie umfangen. Dieser Augenblick schnitt
ihm aufs neue tiefe Wunden.
„O, Mia," sagte er, über ihr blondes Haupt ge-
neigt, „ich will versuchen, dein Leben glücklich zu
machen."
„Ich bin's ja schon," flüsterte sie. „Wenn's nur
kein Traum ist." Wieder schlug eine Freudenwelle
über ihr zusammen. „Jetzt muß ich's dir sagen,"
flüsterte sie, strahlend zu ihm aufblickend, „daß ich
dich immer, immer lieb gehabt habe. Unter der
Kiefer schon — weißt dn -— in der Heide! — Nie
könnt' ich's vergessen. Immer sah ich dich vor mir
stehen — und schämte mich, als du mir sagtest, ich
sei hübsch. Das weißt du Wohl gar nicht mehr?"
„Doch!" sagte er, seine Gedanken zu ihren
Worten zwingend.
„Gott, wie stolz war ich darauf! — Und wie
ich dich hier wiedersah, da dachte ich, mir scheine
die Sonne in die Augen, so hell wurde der Saal.
Ich dachte ja gar nicht, daß du mich noch kennen
würdest."
Er drückte ihre Rechte fest. „Nun weißt du's."
„Ja," rief sie erglühend, „das weiß ich! Aber
etwas weiß ich nicht. Warum du gerade mich —
Vielleicht weißt du gar nicht, was für ein Kirchen-
mäuschen ich bin. — Doch, du weißt es," unter-
brach sie sich lachend. „Natürlich mußt du's wissen,
daß ich mir mein Brot verdienen muß."
„Ich habe übergenug für uns beide."
„Uns beide —" flüsterte sie andächtig. „Wie
himmlisch das klingt! Beide — wir beide! O,"
rief sie plötzlich leidenschaftlich, „wenn ich dich so
glücklich machen könnte, wie du mich selig machst
mit deiner Liebe!"
„Zweifle nicht — glaube!"
„An dich!" sagte sie einfach, den Arm um seinen
Hals schlingend.
Er fühlte ihren Herzschlag. Voll und rasch wie
Frühlingswonne pochte er gegen seine Brust.
Da kam's über ihn wie brüderliches Mitleid.
Er küßte ihre Stirn und die Lippen, die sie ihm in
schüchternem Sehnen bot.-
Die Zeit drängte. Das Ereignis mußte bekannt
werden.
„Komm! Meine Mutter erwartet uns."
„Ob sie sich freut, deine Mutter?" fragte Mia
leise.
„Ihre Art ist still — du weißt es ja," sagte er
fest. -
Die Freifrau stand am Fenster und sah hinaus
in die Nacht. Das Wolkenspiel nahm kein Ende.
Dunkel und Licht haschten sich auf den Gartenwegen.
Über Strauch und Baum glitt die gespenstische Jagd.
Hinter das Tannenboskett wie hinter eine schwarze
Mauer huschte jetzt das Flimmern. Und dort, wo
vom Pavillon her der Kiessteig zum Schloß führt,
tauchte es wieder auf wie ein Streif, schlank wie
eine Gestalt, licht wie ein weißes Äleid — und
lief, lief wie eine gehetzte Seele.
Die Baronin starrte daraufhin. Sie konnte die
Augen nicht davon abwenden.
Jetzt trat eine Hecke dazwischen. Da schien es,
als breiteten sich zwei Arme flehend aus — —
„Mutter —!"
Sie zuckte zusammen und wandte sich um.
Richard Mersbach und Mia standen vor ihr.
Als sie in das holdselige Gesichtchen sah, dessen
Augen eine stumme Bitte sprachen, durchfuhr sie
ein stechendes Gefühl.
„Meine Braut, Mutter," sagte Mersbach ruhig.
„Habe sie lieb."
Uber ihre Hand fielen Tränen und Küsse.
Die Freifrau spürte nichts davon. Ihr uner-
freuliches Gedankenspiel beherrschte sie fort und
fort. Nur Mias unerfahrene Bescheidenheit ver-
mochte in dem flüchtigen Stirnkusse, den sie erhielt,
mehr als ein widerwilliges Zugeständnis zu er-
blicken. —
Als das Schloßpersonal seine Glückwünsche dar-
gebracht hatte, und Mia, den Himmel im Herzen,
in ihr Zimmer zurückgekehrt war, einen Jubelbrief
an Pastor Seiler zu beginnen, schritt Richard Mers-
bach schlaflos durch seine Räume, ein Raub quä-
lendster Widersprüche.
Dieser äußere Abschluß barg keinen inneren.
In der Frühe des anderen Morgens erhielt er

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einen Brief. Als er die Handschrift sah, wirbelte
ihm das Blut in den Schläfen. Er, der fern Leben
ohne Zucken einer Wimper dem Tode preisgegeben,
zitterte, das Papier zu öffnen.
Als er es endlich tat, und der süße Duft, den
er gestern abend mit vollen Zügen eingeatmet,
wieder seine Stirn umschwebte, kam ihm die heiße
Wonne zurück. Er preßte seine Lippen auf die
Buchstaben, auf den Namenszug des gekrönten
Monogramms.
„Ich will das Opfer nicht. Ich nehme es nicht
an. Sie sollen sich nicht unglücklich machen. —
Es ist genug, wenn eines leidet. Ich werde Ihnen
Gelegenheit geben — den Zeitpunkt überlasse ich
Ihnen — Ihre Verlobung mit Mia Helling zu
lösen. Es ist ein Possenspiel — nichts weiter. Sie
sollen frei sein.
Die Rose, die ich auf meinem Wege fand, hat
mir mit ihren Dornen schon bitter weh getan. A. L."
Wieder und wieder las er die fieberhaft hin-
geworfenen Zeilen, aus denen eine tiefe und stolze
Liebe sprach, der er nichts mehr entgegensetzen
durfte als die dürre Pflicht.
Als die Herzogin die erbetene Audienz bewilligt
und das Brautpaar empfangen hatte, kam auch
die Stunde, da Mersbach neben Mia in: Salon der
Erbprinzessin das Erscheinen der hohen Herrschaften
erwartete.
Er hatte sich gewappnet wie ein Mann zu diesem
Augenblick, mit dem Vollbewußtsein seiner Ehre
und Pflicht.
Die da neben ihm stand, ahnungslos, welche
Wunden hier aufrissen, dachte nicht daran, daß ihr
Liebreiz die Tragik dieses Wiedersehens nur ver-
schärfte.
Als die Schleppe im Nebengemach rauschte, floß
das Blut Mersbach so heiß zum Herzen, daß ihm
feine Kopfbedeckung um ein Haar aus der Hand
glitt.
Ruhig und in ihrer tiefen Bläffe wunderbar
schön betrat Alexandra Luise neben ihrem Gemahl
das Empfangszimmer, ohne mit einer Bewegung
zu verraten, was sich in ihrem Herzen abspielte.
Zu den liebenswürdigen Worten des Erbprinzen
zuckte bisweilen das gewohnte zitternde Lächeln um
ihre Lippen.
Sie streckte Mia die Hand entgegen und fühlte
deren glückseligen Kuß wie Feuer darauf brennen.
Als Mersbach die Finger berührte, welche er
liebestrunken an seine Lippen gepreßt, und die jetzt
regungslos unter seinem Kusse verblieben, schnürte
sich ihm das Herz zusammen, als sollte er ersticken.
Etwas wie Abneigung gegen das harmlose Kind
an feiner Seite ging ihm wie eine finstere Wolke
durch die Seele.
„Gestern hat mir der Leibarzt eröffnet," sagte
der Erbprinz mit freundlichem Bemühen, eine
Unterhaltung in Gang zu bringen, „daß mir ein
Aufenthalt an der Riviera während der Frühlings-
monate zuträglich sein würde. Die Erbprinzessin
hat eingewilligt, mich dorthin zu begleiten."
Da wußte Mersbach, daß dies die Gelegenheit
sein sollte zur Lösung seines Verlöbnisses. Aber
er wußte auch, daß er diesen Weg nickt gehen durfte.
„Wann gedenken Sie die Hochzeit zu feiern?"
fragte der Erbprinz.
Mersbach sah nicht in das bleiche Antlitz, dessen
schweigsame Spannung ihm unerträgliche Qual be-
reitete, er sah vor sich in die Zukunft. „In Vier-
Wochen etwa, Hoheit."
„So bald schon?"
Alexandra Luise rührte sich nicht. Sie sah auf
das liebreizende Mädchen, das in seinen Armen
ruhen würde, an seiner Brust.
Und wenn dann ein Tag kam, wo er jene Abend-
stunde vergaß, sie selbst vergaß und dieses blonde
Weib mit Sehnsucht umfing, mit Liebe —
„Wir arrangieren das schon," sagte der Erbprinz
so freundlich wie zuvor. „Ihr junges Glück soll
in nichts gestört werden. — Nicht wahr, Alexandra?"
„In nichts —" Sie neigte das Haupt.
Die Audienz war beendet.
Mersbach hatte diesen kurzen Termin angegeben,
abermals unter dem Druck der Verhältnisse — ihr
zu helfen und sich selbst.
Nun er's im lichten Sonnenschein überdachte,
sank's ihm wie eine Last aufs Herz.
Mia schmiegte sich im Wagen zärtlich an ihn.
„Nicht wahr, Pastor Seiler wird uns trauen?"
Er nickte. Seine Gedanken waren im Schlosse
zurückgeblieben.
„Wie schön die Erbprinzessin ist!" rief Mia be-
geistert. „Und welch herrlichen Duft sie um sich
hat! Rieche nur mal —- ich habe etwas davon
abbekommen. Magst du's nicht?"
Er riß das Wagenfenster herunter. Der laue
Wind strömte herein und um seine Schläfen. —
 
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