126 v38 Luch sül- fille
lieft 6
vfeirchnteZ Kapitel.—.
Im blauen Tuchkleid, mit der Jockeimütze auf
dem Blondhaar, trat Mia in Mersbachs Zimmer.
„Jst's rechr so?"
Daß sie entzückend aussah in dieser enganschlie-
ßenden Tracht, kam ihr nicht einen Moment zum
Bewußtsein.
„Famos! Gleich bin ich zu deinen Diensten.
Soeben ging der Briefträger vorüber."
Sie griff nach seiner Hand. „Du wirst doch
auch nicht ungeduldig werden? Lieber plumpse ich
mal herunter, als daß du böse wirst."
Er lächelte. „Sachlich ist nicht persönlich. Wenn
nur im Dienst alles persönlich nehmen wollten, gäb's
Mord und Totschlag."
Da brachte der Diener die Morgenpost herein.
„Für mich etwas?"
„Nichts," sagte er, die Adressen überlesend.
„Daß Pastor Seller gar nichts von sich hören
läßt!"
„Laß doch die Seilers! Eure Interessen laufen
nicht mehr zusammen — das ist alles."
Mia sah suchend im Zimmer umher. „Eben
hätte ich darauf geschworen, daß hier Blumen
seien."
„Wo sollten die Herkommen?"
Er hielt das letzte Kuvert in der Hand. Ein
schlichter weißer Umschlag und darauf eine kurze
Adresse — Poststempel Monaco. Aber aus diesem
Umschlag floß ein süßer, feiner Tust wie eine süße,
lockende Versuchung, gleich einem Haschischtraum,
der seine Bilderwonnen in die schlafende Seele drängt
und sie in sein Trugglück einspinnt.
„Ich komme sofort nach," sagte er hastig. „Hole
inzwischen deine Handschuhe."
Da ging sie hinaus.
War's noch nicht zu Ende, das unselige Lied?
Und er glaubte doch der Schlange den Kopf zer-
treten zu haben.
Nun lebte sie wieder auf, ringelte sich von neuem
an ihm empor und begann sein Herzblut zu saugen.
Er riß den Umschlag auseinander. Eine An-
sichtskarte fiel heraus — Souvenir cke Nonaeo -—
Aber Älonaco war ausgestrichen — Louvenir allein
stand da. Andenken — Gedenken — Nichtvergessen
— vielleicht auch Hoffen! — Alles, alles stand in
diesem einen Wort.
Und er hielt's in Händen und atmete den Hauch,
der darüber geflossen — von ihr bis zu ihm.
Er wollte es nicht, aber die Erinnerung war
mächtiger. Er beugte sich über die Stelle, da ihre
Hand geruht, als sic die Worte ausstrich, und küßte sie.
Dann aber nahm er die Karte, zerriß sie in kleine
Stücke und warf diese in den Papierkorb.
In der Reitbahn war's zu dieser Stunde leer.
„Komm!" sagte Mersbach und hob Mia in den
Sattel. „Sei ohne Furcht, es wird dir nichts
passieren."
Das war ihm ein unvergessener Augenblick, als
er Alexandra Luise zum ersten Male erblickt, wie
sie auf ihrem Rappen die Parforcejagd mitritt —
so kühn, so schön unter dem schwarzen Hut, und
vornehmer als alle. Wenn er's auch nicht gewußt
hätte, sie hätte er sofort als Fürstin erkannt. Und
jetzt kannte er auch ihres Herzens Leere, die allein
sie zu ihm geführt.
Und mit einem Male kam's wie Erleuchtung
über ihn, wie Erlösung.
Sie war ein Weib, das Mitleid forderte, ohne
es zu wissen. Nicht Liebe, aber Mitgefühl wollte
und durfte er ihr geben, so lange ihr stolzes Herz
fein Leid auf Erden trug.
Er sah in Mias eifergerötetes Gesicht, als sei
ihm eine Last vom Herzen gefallen, ließ das Pferd
halten und trat zu ihr, ihre Stimme zu hören,
ihre Hand zu fassen.
„Du, Mia — wenn du nur glauben wolltest,
daß ich deine Ruhe und dein Glück stets vor Augen
habe."
„Was sprichst du nur immer davon?" sagte sie
lächelnd. „Du gibst mir beides ja so reichlich."
Er lehnte sich ans Pferd und sah zu ihr auf.
„Wirklich? Ich glaub's nicht. Mir ist, als husche
manchmal eine unausgesprochene Frage über dein
Gesicht."
„Das tut's," flüsterte sie, sich so tief wie möglich
zu ihm Herabneigeno. „Warum du mich, gerade
mich, das Heidekind, so lieb hast und hattest."
„Wenn ich dir das erzählte," sagte er leise — „und
ich will es dir eines Tages erzählen, nur jetzt noch
nicht, ich suche mir die Stunde aus — ob du dann
meine gute Mia sein wirst, so wie jetzt?"
„Immer!" sagte sie, voll inniger Liebe in seine
fragenden Augen blickend.
„Ich werde dich daran erinnern. — — Nun
sitze fest!"
Er trat zurück. Der Reitunterricht begann von
neuem. —
Als er sie aus dem Sattel hob, drückte er sie
einen Moment gegen seine Brust. „Weißt du, was
ein Talisman ist?"
„Warum?"
Du bitt einer'"
''Glaubst du an solche Dinge?"
„An die Kraft einer reinen Liebe glaube ich
felsenfest, also glaube ich an dich."
„O du!" lächelte sie tieferrötend. „Hätte ich
nur so schöne Worte wie du, da solltest du sehen,
was ich dir alles sagte."
„Du brauchst keine Worte," sagte er ernst. „Sie
könnten nur verwischen, was so klar, so rein vor
mir liegt." —
Am Abend waren sie zu einem Fest beim Oberst
geladen. Zum ersten Male als junge Frau wählte
Mia unter ihren Aussteuerkleidern eine kostbare weiße
Spitzentoilette aus, weich und zart wie Flaum.
Ihren Juwelenschmuck hielt Mersbach in seinem
Geldschrank unter Verschluß. So ging sie in sein
Zimmer. Die Sonne hing noch am äußersten Hori-
zont und verströmte glühendes Licht. Der ganze
Raum war davon durchgossen, als stände die Welt
draußen in Flammen.
Mersbach war nicht daheim. Ein Mann seiner
Schwadron war mit dem Pferde gestürzt, und feit
Stunden weilte der Rittmeister in der Kaserne.
So stand Mia wartend am Fenster neben dem
Schreibtisch und schaute hinaus auf die Straße.
Sie freute sich auf den Moment, wo sie auf
dem freien Platz seine geliebte Gestalt auftauchen
sehen würde — so wie damals unter der Kiefer im
Heidekraut.
War's denn Heidegeruch, der plötzlich bis zu ihr
herüberwehte?
Sie wandte sich zur Seite.
Das war derselbe Duft, den sie heute morgen
schon einmal geatmet, und zu ihren Füßen aus dem
Papierkorb stieg er auf.
Mia bückte sich und nahm ein paar Stückchen
der zerrissenen Karte in die Hand.
Der Duft war ihr bekannt — ganz sicher, sie
kannte ihn. Nur wußte sie sich nicht zu besinnen,
wann und wo sie ihn zuvor bemerkt.
Wunderlich, welche Traurigkeit sich plötzlich ihrer
bemächtigte! Eine nie gekannte Angst legte sich
wie ein Bleigewicht auf ihre Brust.
Sie ließ die Stückchen fallen und rieb ihre Hände
von dem Duft frei.
Aber die Bangigkeit schwand nicht. Nur auf
einen anderen Weg führte sie Mias Gedanken.
Wenn sie so stände und wartete — und er käme
nicht zurück, nie mehr!
Wenn ein Tag aufginge, wo sie ihn nicht mehr
erwarten könnte, wo das Licht verlöschte, daran ihr
Leben hing, und sie allein im Finstern zurückbliebe!
Mit einem Schrei, den sie nicht ersticken konnte,
tat sie diesen Blick in die Zukunft.
Da sah sie ihn kommen, sie erkennen und winken.
Zur Treppe stürzen und in seine Arme, war ein
Gedanke und ein Pulsschlag.
Er zog sie fest an sich. „Was ist denn, Mia?"
Sie war noch so erregt, daß sie so schnell keine
Worte fand.
So führte er sie in sein Zimmer. „Ich habe dich
warten lassen. Hast du dich geängstigt?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht —
mir war so sonderbar. Ich hatte ein Gefühl, als
wärst du nicht da — ich ganz allein. Und etwas
anderes noch zwischen uns. Du kennst es nicht —
ich auch nicht. Weißt du — wie ein Traum. Aber
ich war wach, so wach wie jetzt. Und da wußte
ich's erst —"
Ihre Lippen zitterten vor Erregung. Und was
jetzt aus ihrem Auge strahlte, war erwachte Leiden-
schaft.
„Was wußtest du?" fragte er leise, ihre Hände
küsfcnd.
„Daß ich dich liebe, wie nichts auf der Welt,"
flüsterte sie, und das Beben ihres Körpers verriet
die aufgewühlte Tiefe ihres Empfindens, „und
sterben müßte ohne dich. Mein Glaube an dich ist
so selig," fuhr sie an seine Brust gelehnt hastig fort,
„daß du mir gehörtest von jenem Augenblick unter
der Kiefer an, und ich dir, daß unser Wiedersehen
nichts war als ein Wiederfinden, daß dir das Heide-
kind so wenig aus dem Herzen kam wie du mir,
und daß der Augenblick, wo du mich fragtest, ob ich
dich mit all deiner Liebe —"
„Nun wissen wir, daß wir uns unentbehrlich
sind," fiel er ein, ihre Wange küssend.
Sie richtete sich in seinen Armen auf. „Das
ist mein Glaube an dich! Und das ist mein Glück,
meine Seligkeit!"
Wenn er ihr jetzt, gerade in dieser Stunde un-
bedingter Hingabe an ihn die Wahrheit sagte!
Alles in ihm drängte danach, Klarheit zu schaffen.
Bis an die Lippen fühlte er das erste bekennende
Wort steigen. Die Uhr auf dem Kamin schlug sieben.
Der Diener trat ein. „Es ist alles fertig zum
Umkleiden, Herr Rittmeister!"
Da war's aus — die Stimmung verflog. —
Als Mersbach Mia das Halsgeschmeide umlegte,
haschte sie lachend nach seiner Hand. „Möchte auch
hören, wie ich dir gefalle."
Ehe er antworten konnte, faßte sie auch seine
Linke.
„Aber wirklich, seit wir verheiratet sind, hast du
mir das noch nie gesagt. Ich weiß gar nicht, ob
du mich auch als deine Frau noch hübsch findest
oder nicht. Nein, so etwas! Und wie sehr möchte
ich dir gefallen! Nun sage mal schnell, ganz schnell,
damit der Wagen nicht warten muß —"
Sie errötete über und über, während sie vor
sich niedersah.
„Das solltest du nicht schon wissen?"
„Nein," sagte sie, ihn voll anschauend. „Von
anderen hab' ich's wohl gehört, von dir nur einmal
— du weißt schon — damals."
„Also muß ich —" er führte sie vor den Spiegel,
der ihre Erscheinung klar zurückwarf — „eine Unter-
lassungssünde gut machen und sagen —"
„Aber nicht laut," rief sie in glücklicher Verlegen-
heit, „sonst schäme ich mich."
„Gut, also ins Ohr!" Er zog sie an sich und
küßte ihr Haar. „Sagen, daß ich nie eine so reizende
Frau sah wie dich! — Genügt das? Sonst sage ich,
daß ich mir keine reizendere Frau denken kann als
dich."
Sie jubelte auf und fiel ihm um den Hals.
„Dein Ernst?"
„Mein heiliger Ernst. Aber du zerdrückst dir
das Kleid."
„Total schnuppe!" lachte sie — und es war der
Ton der glücklichen Mieze aus dem Heidehaus. —
Es war ein glänzendes Fest, dem der Ritt-
meister mit seiner jungen Gattin beiwohnte. Die
Grundbesitzer der Umgegend, die Spitzen der städti-
schen Behörden, auswärtige Kameraden und das
gesamte Offizierkorps des Regiments füllten die
Räume.
Im Mittelpunkt des Festes stand die Tochter
des Hauses, eine zarte Blondine, die nach längerer
Abwesenheit heute wieder in Erscheinung trat. Mia
fand das schmale Gesicht lieb und die grauen Augen
träumerisch sinnend, ihr stilles Wesen von Melan-
cholie umsponnen.
Sie berührte Mias Finger kaum. Aber eine
fliegende Röte lief über ihre Stirn, als Mersbach
sich ihr grüßend nahte.
Draußen lag die Sommernacht über dem Garten.
Mit all seinem farbigen Lampionschmuck blieb er
stumpf gegen das Sterngefunkel, gegen das zitternde
Ewigkeitslicht.
Die Mondsichel stieg wolkenlos im Osten empor
und verstreute ihren Glanz über Bäume und Sträu-
cher, Blumen und Gräser.
Mia war hinausgetreten auf die Veranda.
Unter ihr, wo die Schleppen über den Kies
rauschten, ertönten Stimmen.
Sie freute sich der Nachtkühle und des Blumen-
duftes und lauschte nicht auf die Worte der Sprechen-
den. Erst als ihres Gatten Name an ihr Ohr schlug,
ward sie aufmerksam und beugte sich vor.
„Sie scheint noch immer nicht ganz überwunden
zu haben," sagte die junge Frau, deren Kind Mia
im Arm gehalten.
„Ach, Unsinn! Ein bißchen Flirt!"
„Flirt? Sie war glühend verliebt in Mersbach.
Er hat ihr auch entschieden den Hof gemacht."
„Eine Kommandeurtochter — ich bitte Sie, wer
macht der nicht den Hof?"
„Na, für sie war's Zeit, daß er abkommandiert
wurde, sagte mein Mann damals. Als er sich Ver-
lobte, ist's ihr sehr nahe gegangen."
„Deshalb ging sie zur Großmutter?"
„Ja, gewiß! Und dann —"
Sie gingen weiter. Der Kies knirschte noch ein
Weilchen — dann ward's still.
Mia stand, die Hände auf der Brüstung gefaltet,
und blickte starr vor sich nieder. Ein neues Gefühl
hielt Einkehr in ihr, durchfieberte ihr Blut. Ihr
Kinderglaube wußte nichts davon, daß eines Men-
schen Herz der Liebe mehrfach fähig sei. Und eine
Angst erfaßte sie, eine Angst unbewußter Eifersuchts-
qual, daß ihres Geliebten Herz schon einmal für
ein anderes Weib ebenso geschlagen haben könnte,
wie jetzt für sie.
Sie strich sich hastig über die heiße Stirn.
Aber wäre es so gewesen, dann würde es Richard
ihr gesagt haben!
Sie ging in den Saal zurück. Nebenan im Musik-
zimmer ward gespielt. Die Türflügel standen ge-
öffnet.
lieft 6
vfeirchnteZ Kapitel.—.
Im blauen Tuchkleid, mit der Jockeimütze auf
dem Blondhaar, trat Mia in Mersbachs Zimmer.
„Jst's rechr so?"
Daß sie entzückend aussah in dieser enganschlie-
ßenden Tracht, kam ihr nicht einen Moment zum
Bewußtsein.
„Famos! Gleich bin ich zu deinen Diensten.
Soeben ging der Briefträger vorüber."
Sie griff nach seiner Hand. „Du wirst doch
auch nicht ungeduldig werden? Lieber plumpse ich
mal herunter, als daß du böse wirst."
Er lächelte. „Sachlich ist nicht persönlich. Wenn
nur im Dienst alles persönlich nehmen wollten, gäb's
Mord und Totschlag."
Da brachte der Diener die Morgenpost herein.
„Für mich etwas?"
„Nichts," sagte er, die Adressen überlesend.
„Daß Pastor Seller gar nichts von sich hören
läßt!"
„Laß doch die Seilers! Eure Interessen laufen
nicht mehr zusammen — das ist alles."
Mia sah suchend im Zimmer umher. „Eben
hätte ich darauf geschworen, daß hier Blumen
seien."
„Wo sollten die Herkommen?"
Er hielt das letzte Kuvert in der Hand. Ein
schlichter weißer Umschlag und darauf eine kurze
Adresse — Poststempel Monaco. Aber aus diesem
Umschlag floß ein süßer, feiner Tust wie eine süße,
lockende Versuchung, gleich einem Haschischtraum,
der seine Bilderwonnen in die schlafende Seele drängt
und sie in sein Trugglück einspinnt.
„Ich komme sofort nach," sagte er hastig. „Hole
inzwischen deine Handschuhe."
Da ging sie hinaus.
War's noch nicht zu Ende, das unselige Lied?
Und er glaubte doch der Schlange den Kopf zer-
treten zu haben.
Nun lebte sie wieder auf, ringelte sich von neuem
an ihm empor und begann sein Herzblut zu saugen.
Er riß den Umschlag auseinander. Eine An-
sichtskarte fiel heraus — Souvenir cke Nonaeo -—
Aber Älonaco war ausgestrichen — Louvenir allein
stand da. Andenken — Gedenken — Nichtvergessen
— vielleicht auch Hoffen! — Alles, alles stand in
diesem einen Wort.
Und er hielt's in Händen und atmete den Hauch,
der darüber geflossen — von ihr bis zu ihm.
Er wollte es nicht, aber die Erinnerung war
mächtiger. Er beugte sich über die Stelle, da ihre
Hand geruht, als sic die Worte ausstrich, und küßte sie.
Dann aber nahm er die Karte, zerriß sie in kleine
Stücke und warf diese in den Papierkorb.
In der Reitbahn war's zu dieser Stunde leer.
„Komm!" sagte Mersbach und hob Mia in den
Sattel. „Sei ohne Furcht, es wird dir nichts
passieren."
Das war ihm ein unvergessener Augenblick, als
er Alexandra Luise zum ersten Male erblickt, wie
sie auf ihrem Rappen die Parforcejagd mitritt —
so kühn, so schön unter dem schwarzen Hut, und
vornehmer als alle. Wenn er's auch nicht gewußt
hätte, sie hätte er sofort als Fürstin erkannt. Und
jetzt kannte er auch ihres Herzens Leere, die allein
sie zu ihm geführt.
Und mit einem Male kam's wie Erleuchtung
über ihn, wie Erlösung.
Sie war ein Weib, das Mitleid forderte, ohne
es zu wissen. Nicht Liebe, aber Mitgefühl wollte
und durfte er ihr geben, so lange ihr stolzes Herz
fein Leid auf Erden trug.
Er sah in Mias eifergerötetes Gesicht, als sei
ihm eine Last vom Herzen gefallen, ließ das Pferd
halten und trat zu ihr, ihre Stimme zu hören,
ihre Hand zu fassen.
„Du, Mia — wenn du nur glauben wolltest,
daß ich deine Ruhe und dein Glück stets vor Augen
habe."
„Was sprichst du nur immer davon?" sagte sie
lächelnd. „Du gibst mir beides ja so reichlich."
Er lehnte sich ans Pferd und sah zu ihr auf.
„Wirklich? Ich glaub's nicht. Mir ist, als husche
manchmal eine unausgesprochene Frage über dein
Gesicht."
„Das tut's," flüsterte sie, sich so tief wie möglich
zu ihm Herabneigeno. „Warum du mich, gerade
mich, das Heidekind, so lieb hast und hattest."
„Wenn ich dir das erzählte," sagte er leise — „und
ich will es dir eines Tages erzählen, nur jetzt noch
nicht, ich suche mir die Stunde aus — ob du dann
meine gute Mia sein wirst, so wie jetzt?"
„Immer!" sagte sie, voll inniger Liebe in seine
fragenden Augen blickend.
„Ich werde dich daran erinnern. — — Nun
sitze fest!"
Er trat zurück. Der Reitunterricht begann von
neuem. —
Als er sie aus dem Sattel hob, drückte er sie
einen Moment gegen seine Brust. „Weißt du, was
ein Talisman ist?"
„Warum?"
Du bitt einer'"
''Glaubst du an solche Dinge?"
„An die Kraft einer reinen Liebe glaube ich
felsenfest, also glaube ich an dich."
„O du!" lächelte sie tieferrötend. „Hätte ich
nur so schöne Worte wie du, da solltest du sehen,
was ich dir alles sagte."
„Du brauchst keine Worte," sagte er ernst. „Sie
könnten nur verwischen, was so klar, so rein vor
mir liegt." —
Am Abend waren sie zu einem Fest beim Oberst
geladen. Zum ersten Male als junge Frau wählte
Mia unter ihren Aussteuerkleidern eine kostbare weiße
Spitzentoilette aus, weich und zart wie Flaum.
Ihren Juwelenschmuck hielt Mersbach in seinem
Geldschrank unter Verschluß. So ging sie in sein
Zimmer. Die Sonne hing noch am äußersten Hori-
zont und verströmte glühendes Licht. Der ganze
Raum war davon durchgossen, als stände die Welt
draußen in Flammen.
Mersbach war nicht daheim. Ein Mann seiner
Schwadron war mit dem Pferde gestürzt, und feit
Stunden weilte der Rittmeister in der Kaserne.
So stand Mia wartend am Fenster neben dem
Schreibtisch und schaute hinaus auf die Straße.
Sie freute sich auf den Moment, wo sie auf
dem freien Platz seine geliebte Gestalt auftauchen
sehen würde — so wie damals unter der Kiefer im
Heidekraut.
War's denn Heidegeruch, der plötzlich bis zu ihr
herüberwehte?
Sie wandte sich zur Seite.
Das war derselbe Duft, den sie heute morgen
schon einmal geatmet, und zu ihren Füßen aus dem
Papierkorb stieg er auf.
Mia bückte sich und nahm ein paar Stückchen
der zerrissenen Karte in die Hand.
Der Duft war ihr bekannt — ganz sicher, sie
kannte ihn. Nur wußte sie sich nicht zu besinnen,
wann und wo sie ihn zuvor bemerkt.
Wunderlich, welche Traurigkeit sich plötzlich ihrer
bemächtigte! Eine nie gekannte Angst legte sich
wie ein Bleigewicht auf ihre Brust.
Sie ließ die Stückchen fallen und rieb ihre Hände
von dem Duft frei.
Aber die Bangigkeit schwand nicht. Nur auf
einen anderen Weg führte sie Mias Gedanken.
Wenn sie so stände und wartete — und er käme
nicht zurück, nie mehr!
Wenn ein Tag aufginge, wo sie ihn nicht mehr
erwarten könnte, wo das Licht verlöschte, daran ihr
Leben hing, und sie allein im Finstern zurückbliebe!
Mit einem Schrei, den sie nicht ersticken konnte,
tat sie diesen Blick in die Zukunft.
Da sah sie ihn kommen, sie erkennen und winken.
Zur Treppe stürzen und in seine Arme, war ein
Gedanke und ein Pulsschlag.
Er zog sie fest an sich. „Was ist denn, Mia?"
Sie war noch so erregt, daß sie so schnell keine
Worte fand.
So führte er sie in sein Zimmer. „Ich habe dich
warten lassen. Hast du dich geängstigt?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht —
mir war so sonderbar. Ich hatte ein Gefühl, als
wärst du nicht da — ich ganz allein. Und etwas
anderes noch zwischen uns. Du kennst es nicht —
ich auch nicht. Weißt du — wie ein Traum. Aber
ich war wach, so wach wie jetzt. Und da wußte
ich's erst —"
Ihre Lippen zitterten vor Erregung. Und was
jetzt aus ihrem Auge strahlte, war erwachte Leiden-
schaft.
„Was wußtest du?" fragte er leise, ihre Hände
küsfcnd.
„Daß ich dich liebe, wie nichts auf der Welt,"
flüsterte sie, und das Beben ihres Körpers verriet
die aufgewühlte Tiefe ihres Empfindens, „und
sterben müßte ohne dich. Mein Glaube an dich ist
so selig," fuhr sie an seine Brust gelehnt hastig fort,
„daß du mir gehörtest von jenem Augenblick unter
der Kiefer an, und ich dir, daß unser Wiedersehen
nichts war als ein Wiederfinden, daß dir das Heide-
kind so wenig aus dem Herzen kam wie du mir,
und daß der Augenblick, wo du mich fragtest, ob ich
dich mit all deiner Liebe —"
„Nun wissen wir, daß wir uns unentbehrlich
sind," fiel er ein, ihre Wange küssend.
Sie richtete sich in seinen Armen auf. „Das
ist mein Glaube an dich! Und das ist mein Glück,
meine Seligkeit!"
Wenn er ihr jetzt, gerade in dieser Stunde un-
bedingter Hingabe an ihn die Wahrheit sagte!
Alles in ihm drängte danach, Klarheit zu schaffen.
Bis an die Lippen fühlte er das erste bekennende
Wort steigen. Die Uhr auf dem Kamin schlug sieben.
Der Diener trat ein. „Es ist alles fertig zum
Umkleiden, Herr Rittmeister!"
Da war's aus — die Stimmung verflog. —
Als Mersbach Mia das Halsgeschmeide umlegte,
haschte sie lachend nach seiner Hand. „Möchte auch
hören, wie ich dir gefalle."
Ehe er antworten konnte, faßte sie auch seine
Linke.
„Aber wirklich, seit wir verheiratet sind, hast du
mir das noch nie gesagt. Ich weiß gar nicht, ob
du mich auch als deine Frau noch hübsch findest
oder nicht. Nein, so etwas! Und wie sehr möchte
ich dir gefallen! Nun sage mal schnell, ganz schnell,
damit der Wagen nicht warten muß —"
Sie errötete über und über, während sie vor
sich niedersah.
„Das solltest du nicht schon wissen?"
„Nein," sagte sie, ihn voll anschauend. „Von
anderen hab' ich's wohl gehört, von dir nur einmal
— du weißt schon — damals."
„Also muß ich —" er führte sie vor den Spiegel,
der ihre Erscheinung klar zurückwarf — „eine Unter-
lassungssünde gut machen und sagen —"
„Aber nicht laut," rief sie in glücklicher Verlegen-
heit, „sonst schäme ich mich."
„Gut, also ins Ohr!" Er zog sie an sich und
küßte ihr Haar. „Sagen, daß ich nie eine so reizende
Frau sah wie dich! — Genügt das? Sonst sage ich,
daß ich mir keine reizendere Frau denken kann als
dich."
Sie jubelte auf und fiel ihm um den Hals.
„Dein Ernst?"
„Mein heiliger Ernst. Aber du zerdrückst dir
das Kleid."
„Total schnuppe!" lachte sie — und es war der
Ton der glücklichen Mieze aus dem Heidehaus. —
Es war ein glänzendes Fest, dem der Ritt-
meister mit seiner jungen Gattin beiwohnte. Die
Grundbesitzer der Umgegend, die Spitzen der städti-
schen Behörden, auswärtige Kameraden und das
gesamte Offizierkorps des Regiments füllten die
Räume.
Im Mittelpunkt des Festes stand die Tochter
des Hauses, eine zarte Blondine, die nach längerer
Abwesenheit heute wieder in Erscheinung trat. Mia
fand das schmale Gesicht lieb und die grauen Augen
träumerisch sinnend, ihr stilles Wesen von Melan-
cholie umsponnen.
Sie berührte Mias Finger kaum. Aber eine
fliegende Röte lief über ihre Stirn, als Mersbach
sich ihr grüßend nahte.
Draußen lag die Sommernacht über dem Garten.
Mit all seinem farbigen Lampionschmuck blieb er
stumpf gegen das Sterngefunkel, gegen das zitternde
Ewigkeitslicht.
Die Mondsichel stieg wolkenlos im Osten empor
und verstreute ihren Glanz über Bäume und Sträu-
cher, Blumen und Gräser.
Mia war hinausgetreten auf die Veranda.
Unter ihr, wo die Schleppen über den Kies
rauschten, ertönten Stimmen.
Sie freute sich der Nachtkühle und des Blumen-
duftes und lauschte nicht auf die Worte der Sprechen-
den. Erst als ihres Gatten Name an ihr Ohr schlug,
ward sie aufmerksam und beugte sich vor.
„Sie scheint noch immer nicht ganz überwunden
zu haben," sagte die junge Frau, deren Kind Mia
im Arm gehalten.
„Ach, Unsinn! Ein bißchen Flirt!"
„Flirt? Sie war glühend verliebt in Mersbach.
Er hat ihr auch entschieden den Hof gemacht."
„Eine Kommandeurtochter — ich bitte Sie, wer
macht der nicht den Hof?"
„Na, für sie war's Zeit, daß er abkommandiert
wurde, sagte mein Mann damals. Als er sich Ver-
lobte, ist's ihr sehr nahe gegangen."
„Deshalb ging sie zur Großmutter?"
„Ja, gewiß! Und dann —"
Sie gingen weiter. Der Kies knirschte noch ein
Weilchen — dann ward's still.
Mia stand, die Hände auf der Brüstung gefaltet,
und blickte starr vor sich nieder. Ein neues Gefühl
hielt Einkehr in ihr, durchfieberte ihr Blut. Ihr
Kinderglaube wußte nichts davon, daß eines Men-
schen Herz der Liebe mehrfach fähig sei. Und eine
Angst erfaßte sie, eine Angst unbewußter Eifersuchts-
qual, daß ihres Geliebten Herz schon einmal für
ein anderes Weib ebenso geschlagen haben könnte,
wie jetzt für sie.
Sie strich sich hastig über die heiße Stirn.
Aber wäre es so gewesen, dann würde es Richard
ihr gesagt haben!
Sie ging in den Saal zurück. Nebenan im Musik-
zimmer ward gespielt. Die Türflügel standen ge-
öffnet.