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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 42.1907

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Heft 10
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https://doi.org/10.11588/diglit.60738#0245
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DarLuchfüt'fM
Wustnette siamilien/eitung
10. kiest. 1907.

Ms'ich geblieben doch!
Homan von
6evsg stattcoig (kmmg t^oeppe!).

(fottletiung.! ---.- -(Nachdruck verdolcn.)

n dem Augenblick, als dis Erbprinzessin ihr
Haupt an Mersbachs Schulter lehnte, war
es, als lege sich zwischen ihn und Ale-
xandra Luise ein Schleier. Und über
denselben hinweg sah er wie ein wo-
gendes Meer die rotbraune Heide liegen, vom
Sturm gepeitscht. Mitten drinnen stand ein
junges, blondes Weib und starrte ihn mit bren-
nenden Augen an — starrte und starrte, bis der
Hammerschlag in seiner Brust stille ward, und
der Schwindel aus seinen Schläfen wich, bis
er sich wiedersand und die Bezauberung von
sich wies.
„Am Kamin in Elbental," sagte er mit
ruhiger Fassung, „erzählte ich einst ein Aben-
teuer in der Heide —"
Sie nickte. Ihr war so ruheselig, so lamp fes-
müde zu Mut.
„Ein scheues Kind in dürftiger Kleidung —
Königliche Hoheit erinnern sich?"
Sie nickte wieder. Was ging sie jetzt Heide
und Abenteuer an?


„Dieses Kind," sagte er mit fester Stimme,
„war Mia Helling — meine Frau."
Es lag etwas in seinem Ton, das sie hastig
zu ihm aufsehen ließ. „Das Heidekind?"
„Königliche Hoheit sprachen von Opfern.
Ich opferte mich damals der Gefahr eines
Augenblicks wissentlich. Mia opferte ich ohne
ihr Wissen. Und ohne Neigung von meiner
Seite nahm sie voller Liebe meine Werbung
an. Ich habe sie mit verbundenen Augen an
dem vorbeigeführt, was sie nicht besaß. Aber
ich habe ihre Hand treu in der meinen gehal-
ten und ihr so ein Glück geschaffen, das für
mich keines war." Er hielt einen Augenblick
inne. Erinnerungen überwältigten ihn. „Und
dann — in dieses Scheinwesen hinein fiel
ein Samenkorn. Ich weiß nicht, wie es Wur-
zel faßte in dieser Leere, aber es keimte, in
meiner Brust keimte es auf —"
Alexandra Luise fuhr zusammen, als spüre
sie einen tödlichen Stich. Im nächsten Moment
richtete sie sich leidenschaftlich empor und hef-
tete ihre Augen zornig, angstvoll, bittend auf
Mersbachs Lippen.
Er konnte nicht anders — vor diesem spre-
chenden Blick verstnmmte er.
Dann sagte er leise, aber mit fester Stimme:
„Ich liebe meine Frau!"
Ter Tod konnte durch das Zimmer ge-
schrittensein, die Stille, welche seinem Weggang
folgte, wäre nicht lautloser gewesen, nicht zer-
schmetternder.
Alexandra Luise hatte sich aufgerichtet, ster-
bensbleich. In ihrem Herzen zerbrach etwas.
Eine zu hoch gestimmte Saite riß. Wie durch
ein Zauberwort versank ein blühendes, glühen-
des Eden in ihrer Brust, voll Hofsnungsknospen
und Sehnsnchtstrieben. Und darüber legte sich
eine dürre Ode, brennend und steinig.
Dieser jähe Wandel machte sie schwindeln.
Noch etwas fiel wie ein Schwertstreich über
sie und zerspaltete ihr stolzes Selbstgefühl bis
aus den Grund. Der erste und einzige Mann,
dem sie Liebe entgegengebracht, um dessen Be-
sitz sie von ihrer einsamen Höhe herabgestiegen
war, ein sehnendes Weib, nichts weiter —
dieser Mann wies ihre Gabe von sich, Gabe
und Geberin—alles!

Sie stand noch immer wie ein Marmorbild,
ringend, das Ungeheure zu erfassen, den Pfeil her-
auszuziehen, dem Schmerz kein Übergewicht zu
gönnen. Und dabei wick der leidende Ausdruck ihrer
Züge, ging eine Wandlung in ihnen vor, die sie,
die Tiefverletzte, wie in weite Ferne entrückte.
Nur einen Schritt trat sie zurück, nur eine leichte
Bewegung nach rückwärts machte ihr Haupt — und
die Fürstin stand vor dem Untertan, eine Audienz
beendigend, an welcher sie kein Interesse mehr fand.

Mersbach hatte die Augen nicht erhoben. Mit
dem, was sie unausbleiblich widerspiegeln mußten,
Mitleid und Mitgefühl, wollte er diese Frau nicht
kränken, deren Stolz er tödlich getroffen. Rulsig
und in ehrerbietiger Haltung harrte er des Zeichens,
das ihm gestatten würde, sich zurückzuziehen. Sie
gab es ihm nut flüchtiger Handbewegung, einer ge-
ringschätzigen Bewegung, die ihn unter die Tau-
sende stellte, an denen sie gleichgültig vorüberging.
Er verneigte sich tief und schritt hinaus.


Der indiskrete vnke!. Nach einem SemZide von ck. v. persoglia. (8. 218)

X. 1007.
 
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