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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1891

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Heft 3/4
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Krell, F.: Mittelalterliche Wohnungsausstattung und Kleidertracht in Deutschland, [2]: Vortrag, gehalten im bayer. Kunstgewerbe-Verein von F. Krell
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https://doi.org/10.11588/diglit.7907#0026

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an den knittrigen Faltenwurf einer Schleppe erinnert. Die
Spätzeit der Gothik brachte eine Rückkehr zu natür-
licheren Formen, der Gürtel rückte wieder herab, die arge
Vermummung hörte nicht nur auf, inan begann pals und
Brust zu entblößen.

Wir haben noch einer Zuthat zur Uleidung zu ge-
denken , welche als besonders charakteristisch nicht uner-
wähnt bleiben darf. Den: bürgerlichen
Sinne des Mittelalters sagte es zu, eher
die Arbeitsamkeit und Häuslichkeit her-
vorzuheben, als dieselbe vornehm zu ver-
läugnen. Geradeso, wie nian also in
den Wohnungen das schnell gebrauchte
Geräthe an der Wand anbrachte, statt
es dem Anblick durch Aufbewahrung
in Schränken und Truhen zu ent-
ziehen, geradeso nahmen auch die Frauen
keinen Anstand, Scheeren und Ta-
schen an sich anzuhängen und offen
zur Schau zutragen.

Wir haben bis jetzt nur den Paupt-
umriß der gothischen Tracht angegeben
und deren Enge und Unappheit hervor-
gehoben; damit ist aber ihre Ligenart
noch nicht erschöpfend gekennzeichnet.
Wenn nian sich auch dazu verstand,
"«»T Zr--,7 der Tendenz des Zeitstiles durch jene
I. v. Falke, Aostümge- Lmengung zu huldigen, so blieb doch
das Bedürfniß nach freierer Bewegung
bestehen und suchte in irgend welcher Weise zu einer Be-
friedigung zu gelangen. Wie aus der strengen Struktur
eines gothischen Bauwerkes die zusammengepreßte Lebenskraft
sich losringt, um in den Spitzen der Fialen und Wimpergen
ungehindert in den freien Aether auszusprossen, so bricht
der Trieb zu ungebundenem Leben mit nordischer Phantastik
an einzelnen Punkten der Tracht in allerlei grotesken Aus-
wüchsen hervor. Dazu gehören die von Männern wie
Frauen angenommenen verlängerten Fußspitzen, welche bei
Einzelnen eine Ausdehnung von über 2' erreichten. Philipp IV.
von Frankreich verordnete, daß beim Adel die Fußver-
längerung nicht über 2', beim Bürgerstande nur p und
bei den übrigen Bevölkerungsklassen nicht über 6“ betragen
dürfe. Um mit solchen Schuhen auf uilebenenr Boden gehen
zu können, mußte man untergelegte Sohlen oder aber eigene
Unterschuhe haben. Weiter sind zu nennen die riesigen
ausgezaddelten Mantelärmel, die langen Uapuzen-
zipfel und aufgepolsterteu Schultern der Männer,
und die kolossalen zuckerhutförmigen Uopfaufsätze mit
Schleierzuthaten, sowie die schon erwähnten Schleppen der
Frauen, ferner die beiderseits verwendeten, vorderhand noch
in mäßigen Grenzen sich haltenden Ausschlitzungen, welche
man anbrachte, um einen untergelegten Stoff Herausquellen
zu lassen.

Diese letztere Erfindung ist als eine ganz spezifisch
gothische Dekorationsweise zu bezeichnen. Dieses Motiv,
des Pervorschauenlassens einer Grundfarbe, und besonders
einer lebhaften leuchtenden, aus einer dunkelfarbigen Um-
rahmung, resp. einer durchbrochenen Ueberdecke, kommt auch
in der Architektur und im Uunstgewerbe mit Vorliebe zur
Verwendung. Wir erinnern nur an die Bemalung von

;s. Dame

in burgundisch-französischer

steinernen und hölzernen Flächen, auf welchen eine Maaß-
werkverzierung angebracht ist, sodann an die Fenster mit
ihren Glasgcmälden, an die, auf roth oder blau gefärbtes
Leder aufgelegten Beschläge u. s. w.

Wir haben dargethan, wie die Einengung des Lebens
zu einer reicheren Ausstattung der Wohnung führte. Es
ist einleuchtend, daß sie aus denselben Gründen den: Aufwand

[7. Burgundische hoftrachten

aus der zweiten Hälfte des J5. Jahrhunderts. — Nach 3- v. Falke,
Kostümgeschichte.

in der Uleidung förderlich war. Die zur Eindäntmung
erlassenen Aufwandgesetze mußten um so unwirksamer sein,
als in Folge der Uleiderordnung eigentlich fast Jedermann
eine Art von Uniform trug. Schon um die Standesehre
herauszubeißen, suchte nian mit möglichstem Prunk auf-
zutreten. Die starke Verwendung von pelzen, welche
hiebei stattfand, war besonders geeignet, den nordisch-
nationalen Tharakter, welchen die Tracht allmählich ge-
wonnen hatte, hervorzukehren.

In Folge des großen Fort-
schrittes, dessen sich die Weberei
und Färberei erfreute, konnte letz-
tere Technik der Vorliebe der Gothik
für bunte kräftige Farben in vollem
Maaße gerecht werden. Der dunkle
ernste polzhintergrund der Woh-
nungsinnenräume ertrug auch, und
man kann sagen, er verlangte für die
Uleidungen kräftige bunte Uolorite.

Bei dieser Gelegenheit möge die
Bemerkung eingeschaltet werden, daß
in gleicher Weise in der Uirchen
dämmerigem Dunkel die lebhaften
Farben der Gewänder bei geschnitzten
und gemalten Figuren naturgemäß
erscheinen, und also auch gut sich
ausnehmen. Es geschieht daher diesen
*8. Dame mittelalterlichen Uunstwerken ein bit-

mit Wulsthaube; französische ,,

Tracht um Nach X d. teres Unrecht, wenn man sie in

Falke, Aastümgeschichte, ' .. ,

tageshelle, und wo möglich noch mit
moderner oder klassizistischer Ausschmückung versehene Mu-
seen versetzt. Daniit sind sie allerdings deiii Schicksal preis-
gegeben, bäiirisch, und selbst koniisch zu wirken, und es ist
sehr verständlich, weiin man so oft, auch von Gebildeten
die Bemerkung hört, daß sie nicht begreifen, was nian
Interessantes an diesen altdeutschen Bildern finden könne.
 
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