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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1891

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Heft 11/12
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Hofmann, Albert: Das Kunstgewerbe Indiens, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7907#0085

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oft verhängnißvoll gewordenen Fatalitätsglauben überläßt.
Das Sichverlieren in der eigenen Psychologie verhindert
den Inder auch, das' Ich in der Kunst in europäischem
Sinne zur Geltung zu bringen. „Bedürfnißlos, wie der
einzelne Hindu für sich ist, wird er sich selbst, das rein
menschliche Treiben selten zum
Gegenstände der künstlerischenver-
herrlichung erheben, sein Quietis-
mus wird auch der Poesie ein
eigenthümlich beschauliches, be-
schreibendes Gepräge verleihen,

Thatendurst beseelt ihn nicht, die
reichste Quelle menschlich schöner
Thaten, die politische Thätigkeit
ist ihm versperrt, das starre Kasten-
wesen macht jedes echt dramatische
Schicksal, wahrhaft sittliche Lon-
flicte unmöglich, die Natur, in
welche er sein Wesen versenkt hat,
die Zauberwelt, die ihn befangen
hält, wird vorzüglich auch die Stoffwelt für
die Kunst abgeben, namentlich aber der re-
ligiöse Rahmen dem indischen Kunstwerke
niemals abgehen. Denn die Religion ist dein
!)indu Alles in Allem, jede andere allgemeine
Thätigkeit absorbirend, die absolute Sphäre,
in welcher der indische Geist sich bewegt
(Springer.) Unser Jahrhundert erscheint hier
in mancher Beziehung eine Wandlung her-
vorgerufen zu haben. „Dies Land, in dein
Alles seit Iahrtausendeii gleichsam in feste
Formen gebannt erscheint, beginnt sich zu
regen." <£s waren die Engländer, welche das
Volk aus seiner Lethargie aufrütteln sollten,
sie waren es, welche seiner Kunst und Kunst-
industrie neue Impulse verliehen. Sie ver-
standen es, die Eigenartigkeit des indischen
volkscharaeters, die Ligenartigkeit der geist-
igen Veranlagung des Inders in der für
ihren Zweck brauchbaren Strömung zu ver-
fassen und in die festbezeichnete Richtung über-
zuleiten. Das war kein kleines Stück Arbeit,
eine Arbeit, die mit großen: Scharfsinn voll-
zogen sein wollte, denn „die geistigen Ligenschaften des
Inders lassen sich schwer generalisiren; gewiß gab es auch
hier, und die dramatische Literatur ist dafür der beste
Bürge, Abstufungen aller Tharactere und alle Typen waren
in der größten Mannigfaltigkeit vertreten; am allgemeinsten
dürfte noch, der physischen Ligenthümlichkeit entsprechend,
eine gewisse Weichheit des Geistes vorherrschen, die Leichtig-
keit, von dem Extreme wilden Fanatismus' zum anderen
schlaffer Abspannung überzugehen, ein tiefer Sinn für die
umgebende Natur, geweckt durch das machtvolle Auftreten
der letzteren, doch bei aller Feinheit nicht geschützt gegen
das Sichverlieren in Lontrasten, jetzt im wilden Taumel
das Seltsamste zusammenfügend und mit Wollust in:
wunderbaren sich ergehend, dann wieder zur „todten Be-
schaulichkeit" zurückgezogen." (Springer.)

Die Engländer verstanden es nun, aus dieser Sun:me
von Eigenschaften die für ihren Zweck brauchbaren aus-

Goldener Anhänger (modern indisch).

Die Halbmonde und die innerhalb derselben sitzenden Ornamente sind mit
Hyazinthen (?) besetzt, ebenso das untere, schuppenartig verzierte, oben von
drei Smaragden durchsetzte Stück. In den Nebengehängen nimmt ein gleicher
Stein mit daranhängendem Smaragd die Mitte ein, während an den Seiten
je \ 3 perlen angebracht^sind. Der unterste, größere Stein des Schmuck-

stücks ist vermuthlich Heliotrop. Sämmtliche, nicht unniittelbar zur Fassung
der Steine dienenden Goldflächen (auch die Vesen, durch welche die Ringchen
laufen), sind grün, bez. roth emaillirt; die Aufhängung der Steine und perlen
ist durchweg mittelst kleiner Smaragde gesichert. Die Halskette, welche mit
einem großen Smaragd beginnt, besteht im übrigen aus ^ perlschnüren, die
im Anfang an zwei Stellen von kleinen Rubinen unterbrochen sind. — Dar-
stellung in wirklicher Größe. — Aus Bengal. — (India-Abtheilung des South-
Kens.-tnufeums.)

zuwählen und mit ihnen zu arbeiten. Das war von Er-
folg begleitet und man versuchte, die Schraube stärker
anzuziehen. Dies aber geschah wiederum mit Ueberschätzung
der indischen Eigenart und so sehen wir bald, wie dieselben
Engländer das indische Volk durch ihre neuen Impulse

in den künstlerischen Abgrund
führten. Das Wasser des indi-
schen Jungbrunnens, in welchem
die ermattete, europäische Kunst-
industrie Erfrischung und Stärk-
ung holte, wird durch fremde
Elemente inficirt. „Daß dieser
reine Brunnen bereits arg getrübt
ist, daß die dringende Gefahr vor-
handen ist, ihn ganz in das Mühl-
waffer europäischer Fabrikation
hineingeleitet zu sehen, das ist eine

schmerzliche Erfahrung.-

Der Krankheitskein: steckt schon in
den meisten modern indischen Er-
Schon jetzt muß man jedes Stück
sorgfältig auf seine Originalität prüfen, und
wenn man sich früher darüber freute, wahr-
zunehmen, wie der Menschcngeist an: Ganges
dieselben Blüthen der Kunstformen getrieben,
wie in Hellas, so muß man zunächst fragen,
ob nicht dieses griechische Muster einen: eng-
lischen Musterbuch nachgedruckt ist."

„Ich zweifle nicht, daß zunächst sich be-
wundernde Stimmen erheben werden, wie
sehr die englischen Kunstschulen die Formen-
sprache dieser Länder bereichert haben, aber
was hier getrieben wird, wird sich doch schließ-
lich erweisen als ein Raubbau gefährlicher
Art. Man erreicht das eine Ziel, daß man
Teppiche, Töpferwaaren und ähnliches mit
den genügsamen Arbeitskräften Indiens weit
billiger herstellt, als im Abendlands, eine
Zeitlang geben die Reste der alten Tradition
diesen Stücken immer noch ein besonders reiz-
volles Gepräge; aber die Quellen lauterer
Erfindung, frischer Farbengebung werden
getrübt und erschöpft, und wenn man im-
stande ist, die Kunstentwicklung Europa's durch die Jahr-
tausende unserer Tultur zu verfolgen, wenn man sieht,
wie immer zu Zeiten der Erlahmung europäischer Er-
findung der Orient einzutreten hatte als frische Quelle
natürlichen Farbensinnes und naiver, künstlerischer Form-
gebung, so fragen wir uns mit Schinerz und Unruhe, wie es
künftigen Generationen gehen wird, wenn diese Quellen
versiegen. Für die unendlich wichtige Frage in der Tultur
der Menschheit, für die Frage nach den Wechselwirkungen
zwischen der Kunst des Morgenlandes und der des Abend-
landes, wird die (Tolonial-)Ausstellung (in London) des
Jahres (886 ein wichtiger Merkstein bleiben." (Julius
Lessing, Nationalzeitung.)

Daß diese Wechselwirkung nach dem Vorstehenden in:
vollen Zuge begriffen ist, sich in eine einseitige Wirkung
zu Ungunsten Indiens aufzulösen, liegt aus der Hand.
Aus der einen Seite das agile englische Element, das mit
 
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