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naissance und andere, welche man durch Baumodelle in ihren Händen
kenntlich gemacht hat; ein Fries im Lichthof schildert die Ueberbring#
ung von Festgaben aller Zeiten und Völker, von der Steinzeit an, an die
thronende Borussia.

Im ganzen wird man sagen müssen: Bei fortdauerndem reicherem
Schmuck öffentlicher Gebäude jeder höhern Bestimmung wird man auf
stets neue Offenbarungen der plastischen und gemalten Allegorik gefaßt
sein miissen. Gar zu vielartige und wichtige geistige Beziehungen, deren
Darstellung man verlangt, lassen sich durch bloß historische Gestalten
und Szenen absolut nicht verwirklichen. Es wird nicht immer leicht sein,
deutlich zu sprechen, selbst für Gebildete; aber die Kunst wird solche
ideale Aufgaben immer willkommen heißen, und ihr Genius wird sie
führen.

Und nun steigen wir die vergangenen Zeiten rasch aufwärts, um
den Gang der Allegorien auch durch die ältere Kunst zu verfolgen.

Die nächste Vorzeit, welche wenigstens bei ihren Festen einen
großen Verbrauch derselben aufgewiesen hat, war die französische Revo?
lution. Unter der Leitung Davids entstanden riesige Statuen der Natur,
der Liberte; beim Feste des 10. August 1793 sah man das „Volk“ auf
einem Fels sitzend, bedroht vom herankriechenden Ungeheuer des Fe*
deralisme; am Feste des höchsten Wesens, 8. Juni 1794, hatte Robes?
pierre die Funktion, eine riesige Gruppe von Atheismus, Ehrgeiz, Genuß*
sucht, Zwietracht und falscher Einfachheit anzuzünden; als dieselbe zu#
sammensank, kam, freilich etwas geschwärzt, eine Statue der Weisheit
zum Vorschein. Von ähnlichem Geschmack waren auch die Feste des
Directoire (4). Da kam es etwa vor, daß Direktoren und Gesetzgeber
zwischen griechischen und römischen Gottheiten nach dem Marsfelde
zogen und der Sonnenwagen des Phöbus, von Jahreszeiten und Horen
umtanzt, im Moraste stecken blieb, ehe er noch seinen hölzernen Tier?
kreis erreichte (5).

Woher stammte aber zunächst diese Manier? Direkt aus der
Kultur, Kunst und Poesie des vorhergegangenen Zeitalters, und Voltaire
hatte in seiner Henriade ausgiebigen Gebrauch davon gemacht (6). Man
darf freilich fragen: Hat die Poesie dasselbe Recht auf allegorische Ge?
stalten wie die bildende Kunst? Hat sie nicht die Verpflichtung, alle
Motive, das heißt alle Beweggründe des Handelns in lebendige Menschen
zu verlegen und hiefür all ihre erfindende Kraft anzustrengen? (7) Die
Beantwortung ist nicht ganz einfach; soviel aber ist gewiß, daß die Poesie

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