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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

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Heft 7 (1. Januarheft 1916)
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Classen: Die Jugendlichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0021

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ihrerr schwarzen Schmutzströrnen alles Feine und Ldle, was dieser Krieg
weckt in den Tiefen der Seelen hier und dort. Wir haben noch kein
Gesetz und keine Polizei, welche die stinkenden Berge von Dreck aus
unsern Arbeiterquartieren herauskehren könnten. Der Polizeiwachtmeister
kann der beste Familienvater sein; kaum wird er seine Kinder vor dem
Gift schützen, was nebenan im Laden der Biedermann verkauft, um vom
reichen Gewinn seine Iungen auf die Realschule zu schicken, Sind's
kräftige, kluge Iungen, werden sie vielleicht jetzt noch Offiziere. Und
am Ende ist jener Biedermann noch nicht der Schlimmste. Die Schlimmsten
sind wir selbst, sind alle VeranLwortlichen im Vaterlande, die die heiligen
Götter des tzauses verachten gelehrt haben. Wir haben die Kinder ge--
lehrt über den Gott und den Glauben der Väter zu lachen, — nun haben
wir in unserm Staate keine Kraft, das junge Leben zu schützen.

Die Weisheit, die aber doch diese Welt regiert, hat den Geistern
des Hauses wunderbare Kräfte gegeben, die nicht von dieser Welt sind.
Freilich, der äußere Anblick, namentlich in unseren Großstädten, war
oft traurig genug. Als treue Menschen überall die Kriegshilfe organi»
sierten, da glaubten sie braven Mitbürgern helfen zu müssen, die die
plötzliche Flut der Arbeitslosigkeit in Not gebracht hätte. Es kam vielfach
ganz anders. Entsetzliche, plötzliche Bot hat der Kosak nach Ost- und
Westpreußen getragen. Aber die Menschen, die hier schnell zur Kriegs«
hilfe sich drängten, die wollten nur zu oft für Faulheit gierigen Gewinn.
Da waren unter den stellungslosen Iugendlichen die voran, die am wenig»
sten Geschwister hatten. Oft erst später, wenn's gar nicht.mehr ging, kamen
die mit den vielen Geschwistern. Gewiß, da war viel zu helfen. Da
zeigte sich viel Krankheit und Schwächlichkeit. Wie oft waren die Eltern
getrennt! Oder der Mann als Trinker oder Vagabund verschollen oder
festgesetzt! Eine Masse von Menschen, die nur halbe Menschen sind.
Sonderbare Familienreste und wieder vielköpfige slawische Familien. Alles
in denselben Kasernenhäusern zusammengepackt, Menschenhaufen ohne
jeden inneren Iusammenhang. Dazwischen verwegene Schwindler und ge-
mütliche Abenteurer, die gut wissen, daß Deutschland keinen verhungern
läßt. Sie alle können die Zigarette nicht entbehren; sie zeigen deutlich,
daß eigentlich noch keine Armut herrscht — allenfalls zwingen sie die
Mutter zum tzungern; sie werden ihre Groschen schon haben. Rnbe«
schreiblich war in den ersten Sorgenmonaten die Vergnügungssucht des
jungen Volks; was rührte sie der Schrei der Deutschen in Preußen und
im zertretenen Galizien? Bitter notwendig war das Verbot der öffent-
lichen Tanzlokale, wenn auch begleitet von einem Notschrei an den guten
Vater Manchester-Mammon: „Weh, weh das notleidende Geschäft!^

Durchaus nicht zu fesseln, zu beschäftigen ist dies junge Volk. Sie
sind unstet, neigen zur Äervosität; nicht nur, weil Lärm und Reiz der
Großstadt von Kindheit an auf sie eingestürmt sind, sondern weil die
Eltern und oft auch die zu weich gewordene Schule die Kinder nicht
an strengen Gehorsam gewöhnt haben. Aus ungehorsamen Kindern wer-
den nervöse Menschen. Da hilft Ferienkolonie und Kinderspeisung allein
auch nichts. Es fehlt die geistige Kraft der Beständigkeit. Wie sah ich
kräftige Burschen in schönstem Wanderkleid bei geringer Anstrengung stöh-
nen und schimpfen, während der schmächtige Sohn tüchtiger Eltern spie-
lend die Strapazen ertrug. Ein Glück, daß wir reich genug waren, soviel
unwürdiges Volk mitzutragen. Für die wird Deutschlands Blut umsonst

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