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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1916)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Wie's ein Russe ansieht
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0037

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kriege zu führen, denn die Gefahr von Osten war für feine Lxistenz äußerst
gefährlich. Es hat aber dabei Westeuropa große Dienste geleistet. Für
Westeuropa bedeutete und bedeutet es auch jetzt eine Deckung und Schutz«
mauer vor der asiatischen Gefahr. Wer weiß, ob es Westeuropa gelungen
wäre, angenommen, Rußland existierte nicht als großer Staat, ruhig und
planmäßig Kultur und Gesittung zu fördern? Die Eroberungspolitik R.uß»
lands und dessen Widerstandskraft hat Westeuropa viel Anerfreuliches
erspart^ (S. 50).

Nun ein paar Worte dazu!

Wer sind die „man", die Rußland beurteilen, ohne es zu kennen?
Meint Lifschitz die große Masse, so trifft seine Bemerkung halbwegs zu.
Dann müßte er aber ihr nicht die paar russischen Gebildeten gegenüber»
stellen, die Westeuropa „kennen", sondern die russische Masse mit ihrer
Äberzahl von Analphabeten, die wohl kaum auf Grund sachlicher Kenntnis
„urteilt". Denkt man aber an die deutschen Gebildeten, wo sind dann
die, denen „der Russe entweder als Kosak oder Rihilist" erscheint?

Aber die vorbildliche Belesenheit der russischen Iugend teilt Al. Elias-
berg einmal mit: „Wie tief begründet alle die politischen Aberzeugungen
sind, erhellt aus folgender Tatsache: WLHrend sich etwa 70 v. tz. der SLu-
dentenschaft zu linksstehenden Parteien bekennen, lesen nach der gleichen
Hnquete nur 29 v. tz. Bücher sozialpolitischen Inhalts. Die überwiegende
Mehrheit der Sozialdemokraten usw. weiß also offenbar nichts von den
weellen und wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Parteirichtungen." Wer
Lber bucht sonst noch frühreifes Viellesen auf der tzabenseite der Kultur^
Lisschitz hätte schweizerische Kollegen fragen können, wie sie drüber denken.
Hch für mein Teil habe bei ihnen Mitleid mit der russischen Iugend, aber
äuch gänzliche tzoffnunglosigkeit über ihre kulturwissenschaftliche Bildungs-
fähigkeit gefunden gerade wegen ihres frühzeitigen Verschlingens von
Vüchern, die sie noch nicht verarbeiten konnten!

Die ganze Naivität des Verfassers spricht aus seiner politischen Denkart.
Rußland, das selbst „Asien" ist, schützt uns vor „Asien"! Vor wem denn?
Vor Iapan, China, Tibet, der Mongolei, Persien? And zwar schützt es
uns davor durch Eroberungen — mit deren tzilfe es seine Dampf-
walze auf ihren jetzigen Umfang brachte! Gehören die Eroberungen Polens,
der Akraine, der türkischen Besitztümer, Bessarabiens auch zu den Schutz«
yoberungen von Asien? Endlich: warum hatten wohl Länder wie Iapan,.
England, Frankreich „Zeit^ für Kulturarbeit, obwohl sie ebenfalls Er«
öbererstaaten waren? Warum fand nur Rußland keine?

Verzichten muß ich darauf, die Lifschitzsche Spielerei mit den Worten
Atilitarismus, Altruismus usw. begrifflich zu zersetzen. ^ Das würde eine
weitere Druckseite erfordern, und man darf wohl vertrauen, daß europäische
Gebildete das Kernlose solches Wortgestrüpps leicht durchschauen.

Es läge vielleicht im deutschen Interesse, dieses Buch, das für Rußland
wirbt, zu verbreiten. Wenn solche gymnasiastenmäßige, Satz für Satz
von kindlicher Verwirrung zeugende Bücher im besten Glauben von einem
Hochschullehrer, einem Privatdozenten an der Berner Aniversi-
tät zur Belehrung Europas vorgebracht werden können, aus denen man
jene endlosen, zwecklosen, hoffnunglosen „Diskussionen" russischer tzalb-
bildung wie ein melancholisches Geplätscher heraustönen hört — wie
mag es dann, wie muß es dann um geschichtliche, kulturelle, politische
Einsicht in Kreisen stehen, die noch nicht das bißchen Europäertum, das

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