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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,2.1916

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1916)
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Witte, Johannes: Was bedeutet Chinas Kaisertum?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14292#0118

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bestehen. Alles wird aus den Fugen gehen. Besteht aber die Welt
wirklich weiter ohne den tzimmel und seine Verehrung, so sind auch alle
die andern Iahrtausende alten heiligen Ordnungen eben nicht heilig, nicht
heilsaM) nicht die gottgewollten Grundordnungen des Seins! Eine un«
geheure Gärung, Bestürzung, Verwirrung ergriff das chinesische Volk.
Das neue Gute aus dem Westen ist noch nicht eingewurzelt, das alte Gute
geriet ins Wanken, man holte die Götter aus den Tempeln und zerschlug
sie zu Tausenden in Stücke. Man verbannte den alten, ernsten und in
Vielenr sittlich hochstehenden Konfuzius als Lehrmeister der Iugend aus
den Schulen und hatte doch nichts Besseres an seine Stelle zu setzen. Und
dabei sah man mit erstaunten Augen, daß die neuen Beamten, die Aus«
rufer des neuen Volksglückes, in Bestechlichkeit und Liederlichkeit den
alten nicht nachstanden, nein, daß sie sie noch übertrafen.

Da ergriff Puan Schi Kai, der alte Monarchist, als letzter Retter
von den kopflos gewordenen Volksbeglückern selbst gerufen, die Zügel der
Regierung. Sein Programm war von Anfang an klar: Allmahliche Lr-
neuerung Chinas nach dem Vorbilde des Westens, unter möglichster Scho-
nung des geschichtlichen Erbes und Erhaltung alles irgend guten Alt-
chinesischen, innere Wiedergeburt des chinesischen Volkslebens zu sittlicher
Gesundheit als Grundvoraussetzung des Gedeihens aller äußeren Reformen,
Durchführung äußerer Reformen nur nach dem Maßstab der langsam
zu hebenden geistigen Tragfähigkeit des Volkes. Puan Schi Kai hatte
furchtbare tzemmungen zu überwinden, aber es gelang ihm.

Mit Schrecken sahen die „Freunde Chinas", daß es ihm gelang. Da
hetzten sie dieselben Volksbeglücker, die Puan Schi Kai gerufen hatten, zu
einer Gegenrevolution. Diese mißlang. Ihre geächteten Führer fanden in
Iapan Schutz. Puan Schi Kai schritt fest seine Wege weiter.

Er ist, gemessen an den Idealen der höchsten Moral des Individuak-
lebens, kein Engel, er ist ein kluger Staatsmann, ein asiatischer Politiker,
ein weitschauender, fein gebildeter Verwaltungsbeamter, ein tiefgründiger
Kenner seines Volkes, er ist für sein Volk begeistert und hingegeben dem
Dienste an ihm. Er sah, daß in seinem Volk alles wankte, wankte, weil
das Fundament dem Riesenbau entrissen war. Da unter-
nahm er im Dezember Zur Winter-Sommer-Wende etwas unerhört
Neues, das größte Alte fortsetzend: Da kein Kaiser da war, so brachte
er als Präsident das Opfer dar am tzimmelsaltar. Ob „Kaiser" oder
„Präsident", was tut der Bame? Er ist das Oberhaupt Chinas, steht
an des Kaisers Stelle: so gab er der Welt ihre Grundlage, dem chinesischen
Reich sein Grunddogma, dem Volke der ^00 Millionen seinen inneren
Frieden zurück: tzimmel und Erde sind wieder verbunden.

Nun hat er auch den Titel „Kaiser" erhalten. Mit bewundernswertem
Geschick hat er es dahin gebracht, auch in der Form fein alle Rücksichten
wahrend. Trotzdem ist der Erfolg noch fraglich. Die Engländer vor
allen andern haben dieser Entwicklung der Dinge mit sehr gemischten
Gefühlen zugesehen. Sie werden wieder und immer wieder versuchen, ihm
Not zu bereiten. Sie haben dabei leider wirksame Werkzeuge in China
selbst: die alte Kluft zwischen Borden und Süden ist offen, und das Wider-
streben der einzelnen Provinzen gegen die Zentralregierung in Peking
ist auch da.

Wir Deutschen können nur wünschen, daß China erstarke unter Puan
Schi Kais oder eines andern zielbewußter kaiserlicher Regierung. Wir

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