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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 13.1895

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Beck, Paul A.: Vor hundert Jahren - die Franzosen in Oberschwaben bezw. in St. Christina, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15914#0087

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sondern nur sack—sock (?) umherwackeln konnten.
Da sie sich wirklich samt und sonders wie un-
verschämte Hunde aufführten, so verbreitete sich
ganz natürlich bald und überall der Hnndege-
stank mit Nachdruck. Wer cS immer an Unver-
schämtheit und Garstigkeit dem andern bevorthnn
konnte, der dünkte sich wirklich ein wackerer
Patriot zu 'sein! Unten in der Gesindestube war
indessen, so wie ich es ans dem Hansgang selbst
gar deutlich wahrnahm, alles lustig und altert.
Ich hörte mit eigenen Ohren vorzüglich die
Silberstimme meines tapfer mitzechenden Mes-.
ncrs, auch seiner Hausfrau und Kinder w. Man
ließ sich Wein, Brot, Branntwein und noch
einen ganzen Laib Käse ec. gut schmecken. Von
übriger heilloser Ausführung — Pfui der Schande!
— finde ich cs rötlicher, die Feder ruhen zu
lassen, als mit Erzählung derselben dieses weiße
Papier zu besudeln. Meine Hauserin, die aus
allen Umständen noch größere Uebel für sich
befürchten zu müssen gründliche Ursache zu haben
glaubte, schlich sich heimlich aus der Stube, wo
es jetzt schon schlimm genug aussah, weg und
flüchtete sich ganz allein auf die von den Fran-
zosen wieder verlassene F-ruchtschütte, gleich nach
12 Uhr, erkletterte daselbst durch ein gefährliches
Wagestück zu oberst unter dem Hausdach einen
sehr engen, gerade neben dem Rauchfang situierten,
höchst nnhcqnemcn aber verborgensten Winkel,
woselbst sie sich bis nach Tagesanbruch versteckt
hielt, ohne daß mir bewußt war, ob selbe noch
im Pfarrhofe gegenwärtig sei, oder ob sie nicht
etwa, welches ich ihr selbst geraten haben würde,
sich wo immer hin aus den immer gefährlicher
werdenden Wolfsklauen geflüchtet habe. Während
dem immer mehr zu- als abnehmenden Gelärm
und nachdem ich nun die ganze schrecklich lange
Nacht hindurch, wie schon gesagt, beständig ab-
wechselnde Besuche rc. selbst von öfteren Todes-
gefahren begleitet, auspariert hatte und nun rein
von gar allen Kleidungsstücken rc. ausgeplüudert
war, wünschte ich, mir selbst ganz allein über-
lassen und kraftlos auf meinen Lehnsessel hin-
gestrcclt, nichts heißer, als daß eS doch einmal
und bald Tag 'werden möchte. Selbst meinen
Hausknecht hatte ich seit etlichen Stunden nicht
mehr gesehen. Nicht nur einmal stieg mir der
närrische Gedanke in meinem halbzerrütteten
Kopfe auf, ob meine ganze wirkliche Geschichte
nicht etwa ein bloßer Traum sein könnte. Hast
doch, fiel mir bei, seit einiger Zeit mehrere der-
lei SchrcckenSlräume gehabt?! Allein, da ich
jetzt in vollem Ernste Tabak nehme, aber keine
Tabatiöre, jetzt die Nase schueutze und kein
Raseutuch in meiner Tasche fand, °da fühlte ich
gar zu überzeugend und Physisch wahr, daß alles
mit nur Borgegnngene eine wirkliche Wirklichkeit
sei und bleibe. — In der ganzen Stadt Ravens-
burg, weder bei den Patres Kapuzinern, noch
in der Kirche der Patres Karmeliteu, noch in
welch' immer einer anderen Kirche oder Kapelle
ward einiges Glockenzeichen gehört und wo ich
endlich zwischen 3 und 4 lihr morgenS meine
inneren Fensterläden öffnete, erblickte ich zu
Meinem neuen Schrecken in der ganzen weit
umherliegendeu Nebhalden unter dem Stadt-
graben ans der Land- und Mühlbachstraße nach
^Kisseuan re. Hellauflodkrude Feuer, bei und !

neben welchen an mehreren Orten gestohlene
Schweine, Kälber, Gänse, Eulen nnd anderes
Geflügel rc. gebraten und gekocht ward. Alls
»leinen Stallungen befanden sich dabei zwei
größere und zwei kleinere Schweine und der
ganze, im Hühner- und Hennenstalle Vorgefundene
Vorrat, der wenigstens 30 größere und kleinere
Personalitäten ausmachte. Mit Anbruch des
so sehr gewünschten Tageslichtes, am 1. Oktober
1796 beiläufig nach 6 Uhr taumelten vier oder
fünf Patrioten, ganz berauscht, nachdem sic
lange schon meine heimlich weggeschlichene Köchin
vermißt hatten, an meinem Zimmer vorbei und
sogleich auf die Frnchtschüttc hinauf. Einer der-
selben, ein mehr als sechs Schuh hoher, mit
einem dicken schwarzen Schnurrbart unter der sehr-
großen Nass verbrämter Chasseur erstieg mittels
angelehnter langer Leiter den Zufluchtsort der-
selben , riß sie an den Füßen und dein langen
Rock gewaltsam auf den Boden herab, miß-
handelte sie unter dem Beistand und Mitwirkung
seiner Mitsauhuude anfS gröbste. Ich hörte ihr
Zetergcschrei in der Ferne, konnte aber weder
die Stimme noch den Ort, wo sie herkam, deut-
lich unterscheiden. Nachdem nun die Trvpfin
von allem, was sie noch weniges bei sich gehabt,
nämlich etlich Gulden Geld, Sacktuch, Sack-
messer, etlichen Schlüsseln ganz ausgeraubt worden
war, schukclten die Ueberwinder, stolz auf den
über ein schwaches unbewehrtes, durch sechs
volle Stunden erbärmlich erfrorenes Weibsbild
errungenen Sieg, die Stiege hinab. Ungcfähr
'/2 7 Uhr mag es gewesen sein, als besagte,
meine Hauserin, von der Schütte herab, noch
völlig zerzaust, zitternd, kaum halb redend und
athmend, zu mir, der ich ebenso von Frost ganz
erstarrt, mit bloßen Füßen nächst an meinem
Zimmer auf dem Hansgang stand, kam, vor
mir auf ihre Kuiee fiel und mich weinend bat,
ich möchte doch, da es nun Tag geworden und
weil ohnehin außer dem Leben im ganzen Haus
nichts mehr zu retten wäre, mit ihr fliehen.
Um Gottes Willen! Wohin fliehen?! Ach! auf
Ravensburg nach St. Jos! Vielleicht sieht's
da ebenso aus, wie hier?! Vielleicht doch nicht?
Ums Himmels willen, Herr Pfarrer, wir müssen
fliehen, ehe wir gar noch ums Leben kommen.
Noch konnte und durfte ich mich nicht vollends
zur Flucht entschließen, denn in dem Augenblick,
als ich mich in mein Zimmer zurückbegab, er-
blickte ich vor meinen Augen jenen kurz vorhcr
von einem plündernden Patrioten aus meinem
Pulte hcrvvrgezogenen, vor ctlva zwei Monaten
von seiten meines gnädigen Herrn au sämtliche
Stift Weissenan'sche exponierte Pfarrvikare üb-
erlassenen eigenhändig unterschriebenen und sigil-
lierten Brief oder väterliches Mvnitorinm, kraft
dessen wir beordert wurden, ohne dringendste
Not in gegenwärtig höchst kritischen und bedenk-
lichen Zeüläuftcn die uns auvcrlraute Pfarr-
heerde ja nicht zu verlassen, sondern als wahre
Hirten, solange es nur möglich, bei und mit
selber anszuharren. In Erblickung also des
nämlichen, auf natürliche Billigkeit nnd gerade-
zu auch auf unsere wesentliche Ordcusverfasfung
gegründeten väterlichen Befehles getraute ich mich
wirklich nicht, meinen Pfarrposten zurzeit zu
verlassen. Doch bald verschwand all diese meine
 
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