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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 13.1895

DOI Artikel:
Beck, Paul A.: Vor hundert Jahren - die Franzosen in Oberschwaben bezw. in St. Christina, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15914#0088

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— 80

gewissenhafte Besorgnis ganz und vollständig,
da im nämlichen Zeitpunkt mir mein MeSner
durch meinen jetzt das erstemal wieder sichtbar
gewordenen Knecht die schreckliche Nachricht an-
künden ließ, das; dis Patrioten schon um zwei
Uhr in der Nacht die große Kirchenthüre mit
Gewalt erbrochen, die Sakristei und alle Kästen
darin ansgcranbt, den Taufstein und Tabernakel
aufgesprengt, daS Ciborinm geraubt, die Vor-
gefundenen konsekrierte» Partikel anfgczehrt oder
zerstreut und all' anderes zur Taufe und Pro-
vision der Kranken erforderliches weggeschleppt
hätten. Nun schien mir allerdings meine längere
persönliche Gegenwart auf der Pfarrei nicht
mehr nützlich, nicht mehr anwendbar, folgsam
auch vor Gott, vor meinem Gewissen und vor
meiner Obrigkeit nicht mehr geboten zu sein.
Fast im nämlichen Momente der mir so voll-
ständig beigebrachten sakrilegischen Neuigkeit trat
zu mir ins Zimmer ein zuvor nie gesehener
Patriot von beiläufig ellich und 30jährigem
Alter, dem Ansehen nach ein Unteroffizier in
einem bis auf die Fnßknochen abhängenden
blauen Ueberrock, welcher beim ersten Anblick
ein sehr schönes Latein und überaus geläufig
sprach und wenn ich mich nicht sehr irre, un-
fehlbar ein ExreligioS oder Exkleriker gewesen.
Gleich anfänglich koniestierte er mir sein innigstes
Beileid über die tranervvllc Lage, in der er
mich fand, munterte mich mit wirklichen Kraft-
worten zum einzig nötigen und allein aus-
reichenden vollen Vertrauen auf die göttliche
Vorsicht auf, erklärte so ganz bestimmt mein
erlittenes Schicksal für eine notwendige, ganz
natürliche Folge des allemal verheerenden Krieges,
riet mir, ja bat mich sogar mit gefalteten
Händen, da er mich halb vor Külte erstarrt in
meinem hitzlosen Zimmer sah, ich möchte mich
ja nicht länger säumen, sondern ehebnldigst, wo
immer eine erwärmte Wohnung und andere mir
in dermaligen Umständen höchst nötige Erquickung
suchen re. Noch mehr Gewicht legte er seinen
Worten bei, da er hinzufügte, es wäre nicht
ohne Grund zu fürchten, daß etwa andere seiner
Landsleute anher kommen, und wenn sie mich,
ohne Beute machen zu können, im Hanse antref-
fen würden, mich vielleicht unter der forcierten
Anstrengung, ein etwa verstecktes Geld von mir
zu erpressen, meinen jetzt schon sehr geschwäch-
ten Leib noch empfindlicher mißhandeln, vielleicht
am Ende gar, um ihre Gewaltsamkeiten bei
der französischen Generalität nicht klagbar an-
bringen zu lassen, mich in der Stille "ans der
Welt schaffen. Er anerbot sich zuletzt sogar,
mich sogleich in eigener Person bis an das Thor
der benachbarten Stadt zu begleiten und durch
sein, freilich nicht großes Ansehen jeden feind-
lichen Angriff von mir sowohl, als von der
nahestehenden Hauserin, deren eben erlittene?
Schicksal ich ihm in lateinischer Sprache erzählt
hatte, sicher abzuwenden. Nun den für mich an
meiner Seite wachenden Engel Gottes in diesem
Manne erkennend und verehrend fand ich alles
weitere Zögern für überflüssig und unnütz. Ich
entschloß mich also auf der Stelle, mein ferneres
Glück oder Unglück anderswo zu suchen. Einzu-

packen oder mit mir zu nehmen hatte ich sauber
nichts mehr, denn alles, was ich suchte, war
weg. Schon gab sich meine Köchin die Mühe,
mir ihre von den Füßen abgestreifle Strümpfe
zu reichen. Doch ich gestatte es von darum nicht,
weil ich dafür hielt, so ein quasi-apostolischer
Aufzug passe ehender ans meine, als ihre Person.
Also ohne Strümpfe und Schuhe, ohne Hals- und
Nastnch, ohne Ueberrock, ohne Stock und Hand-
schuhe, nur mit einem weißgranen Alters halber
weggewvrfencn in einer Ecke meiner Kammer
noch glücklich Vorgefundenen mit Unschlitt- und
Wachstropfen wohl übertünchten Hut bedeckt,
darüber aber noch mit einem einzigen Günz-
bnrger sechs Kreuzer-Stück, welches mir nach so
mannigfaltigen Durchsuchungen, weiß nicht wie,
in meiner rechten Kamisoltasche zurückgeblieben,
zu meiner künftigen Versorgung hinlänglich eqni-
piert, travpelte ich im Namen des Herrn, der
mich so und unfehlbar nach meinen Verdiensten
heimgesncht hat, auf den Hansgang und von
da die Stiege hinab, stieß im unteren Hansgang
ans eine wenigstens 50 Mann starke, steif an
einander gekuppelte Horde, meist dicht besoffener
Herren Franzmänner, deren einige mich tapfer
von der rechten zur linken, andere ebenso ma-
nierlich, trotz der Gegenerinncrnng meines Be-
gleiters von der linken zur rechten schleuderten.
Endlich drang ich doch ganz durch, sah noch mit
eigenen Angen die mit Wein ungefüllten Eimer,
Kübel, Gölten, Standen re., die ans meinem
Hanskcller den in der Nachbarschaft gelegenen
französischen Trnppenabtcilnngen zngetragen wor-
den. Höchst schmerzlich und fast tötend war eS
für mich, als ich an meiner vierthalb Jahre be-
sorgten, in verflossener Nacht so unerhört teuf-
lisch und zwar von Abkömmlingen des aller-
christlichsten Königreiches profanierten und ge-
schändeten Pfarrkirche vorbcihinkcn mußte. Ein
abermaliges: „Im Namen des Herrn" diente
meinem beklemmten Herzen anstatt des Abschiedes,
und nun trappelte ich mehr ein- als auswärts
siedwarmc, gewiß bittere Zähren weinend den
St. Chriftinerberg hinab. Schauderhaft war
meinem halb oder ganz znsnmmengerüttelten
Kopfe der Gedanke, der mir, als ich nun ziem-
lich nahe an daS von französische» Truppen be-
setzte obere Stadtthor kam, ganz blitzartig meine
ganze Seele durchfuhr. Ich besah mich da näm-
lich mit etwas Bedachtsamkeit von unten bis
oben. Bon unten hinauf, d. i. von meinen
bloßen Füßen, schien ich wirklich einem znm
Radebrechen aufs Schafott geführten Straßcn-
ränber ganz ähnlich; und von oben nämlich mit
einem abgestulptcn zerrissenen Hut bedeckt, spielte
ich abermal und noch ähnlicher die nämliche
Figur, bei der heutigen Betretung meiner vor
37 Jahre verlassenen Vaterstadt. In einiger
Entfernung von mir folgte meine »»beschuhte,
von fast allem, bis auf das am Leib getragene,
werktägige Gewand ganz beraubte Köchin, und
bald darauf auch mein blessierter HanSknccht,
wahrhaftig ein elender Krenzzng!
(Fortsetzung folgt.)

tuttgart, Buchdrnckcrei der Akt.-Ees. „Deutsches VolkSlMNt".
 
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