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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

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Hirschwald, Hermann: Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0065

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4i6

Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?

einzelnen Falle darauf ankommen wird, ob der
Gegenstand ein Kunstwerk bildet oder nicht.

Worin das Wesen des Kunstwerkes liegt, kann
mit Worten auch nicht ausgedrückt werden, da
dessen Eigenschaften nur für die äusseren Sinne
und das Empfinden, nicht aber für das begriff-
liche Denken fassbar sind.

Man kann wohl die schöpferische Eigen-
schaft, den persönlichen Stempel, als Merkmal
eines Kunstwerkes bezeichnen; ob aber ein be-
stimmter Gegenstand dieses Kennzeichen auf-
weise, wie z. B. ein ganz unverzierter Stuhl von
Van de Velde oder ein ganz unverziertes Glas
von Köpping es sicher tun werden, darüber
können im letzten Grunde nur die künstlerischen
Sachverständigen entscheiden.

Dieselben Sachverständigen werden auch bei
freien Nachbildungen gewöhnlich solcher Schöp-
fungen entscheiden können, ob sie eine Neu-
schöpfung enthalten oder nicht. Bei genauen
Kopieen werden sie, und zwar unter Hinzuziehung
von technischen Sachverständigen, die Nach-
ahmung feststellen können, sobald es sich um
Handarbeit handelt; bei Fabrik-Erzeugnissen wird
nur die Feststellung der Herkunft helfen können.
Wo aber eine Nachbildung alter Vorbilder in
Frage kommen kann, werden auch kunsthistorische
Sachverständige zu Rate gezogen werden müssen.

In solcher Weise wird in jedem einzelnen
Fall festgestellt werden müssen, ob eine künst-
lerische Neuschöpfung vorliegt oder nicht. Kunst-
gewerbliche Gegenstände an sich, die als solche
zu schätzen wären, gibt es nicht; ob es sich bei
einem Kunstwerk um einen Gebrauchs-Gegenstand
handelt oder nicht, ist ganz gleichgültig, eben so
wenig verschlägt die Art der Herstellung oder
der Vervielfältigung. Was zu schützen ist, ist
nur die künstlerische Erfindung, nicht der Gegen-
stand selbst.

Bei der Gesetzgebung wird darauf zu dringen
sein, dass das Kunstwerk als solches, d. h. die
künstlerische Schöpfung in allen ihren Verkör-
perungen, geschützt weide, einerlei ob es sich
dabei um Erzeugnisse der Malerei, der Plastik
oder des Kunstgewerbes handelt (die Baukunsi
ist ja nur aus äusserlichen Gründen vom Schutz
ausgeschlossen, sollte aber gleichfalls einbegriffen
sein), und ohne Rücksicht darauf, ob das Kunst-
werk an einem »Werk des Gewerbes oder der
Industrie« nur äusserlich als Schmuck angebracht
ist oder dessen innersten Kern ausmacht und
somit mit ihm vollständig zusammenfällt.«

Prof. Dr.W.v.Oettingen—Berlin schreibt:
». . Sie wünschen eine Antwort auf die Hirsch-
waldsche Umfrage schon morgen zu besitzen, ich
habe aber leider keine Zeit, sie im Handumdrehen
noch heute zu verfassen. Übrigens kann ich
mich der Definition des Herrn Hirschwald durch-
aus anschliessen; im Absatz 2 würde ich nach
»und« noch einfügen: »seine Form«...«

Dr. Behrend — Magdeburger Handels-
kammer schreibt: »Ihre Aufzählung der Merk-
male des Begriffes »kunstgewerblich« scheint mir
klar und erschöpfend zu sein. Es ist mir nicht
zweifelhaft, dass heute auch die Industrie, ja selbst
die Massen - Fabrikation , Arbeiten leistet, die
eine glückliche Verbindung der Kunst mit dem
Gewerbe aufweisen und damit auf das Beiwort
»kunstgewerblich« berechtigten Anspruch haben.

Ihrem Wunsche folgend, beschränke ich mich
darauf, ohne weitere Begründung mein Urteil
über die meines Erachtens wesentlichsten Punkte
abzugeben.«

J. Vinc. Cissarz — Darmstadt schreibt:
»Meinem Gefühl nach wäre es praktisch, man
würde unterscheiden

/. Kunstwerke zu Gebrauchs - Zwecken
(mit Gebrauchs - Bestimmung) als höchststehende
Gruppe und dahingehörig alle jene Werke original
schaffender Künstler, die gleicherweise als Kunst-
werk wie als Gebrauchs-Gegenstand eine Lösung
bedeuten und in einem Exemplar (als Original)
-— oder in höchstens einigen wenigen Abgüssen
oder dergl. erstehen.

2. Kunstgewerbe - Erzeugnisse. Kriterien:
Entwurf eines original schaffenden Künstlers; ein
dieser Grundlage entsprechendes Material, ver-
wendet bei Vervielfältigung in grösserem Umfange
durch Hand oder Maschine und unter künstle-
rischer Kontrolle.

j. Gewerbekunst. Kennzeichen: Entwürfe
von künstlerisch gebildeten Kräften zweiter und
niederer Ordnung (Muster-Zeichner u. ähnl.), die
im wesentlichen nur das von wirklich schöpfe-
rischen Köpfen gefundene verwerten und zu-
sammentragen (meist freilich «//werten und aus-
einandertragen); ebenfalls Vervielfältigung in
grossem und grösstem Umfange. Verwendetes
Material verschiedener Güte-Grade, künstlerische
Beaufsichtigung der Vervielfältigung (Fabrikation)
ebenfalls verschiedener Grade. Daraus sich her-
leitend die Notwendigkeit, innerhalb dieser letzten
Gruppe an sich Rang - Unterschiede zu machen.

In der Bezeichnung »Gewerbekunst« wäre
dann auch eine Bewertung der kaufmännischen
Tüchtigkeit einbegriffen, die den — vom künst-
lerischen Standpunkt unwesentlichen — Umfang
der Verbreitung der betr. Erzeugnisse bedingt.

So bliebe nur der Begriff des »Gewerbesa
schlechthin übrig und hierher gehörte dann die
ausschliesslich reproduktive Tätigkeit des Hand-
werks (und der maschinellen Material-Bearbeitung),
die ja in ihren guten Leistungen — ästhetisch
wie volkswirtschaftlich — bedeutsamer sein kann,
als die Erzeugnisse der »Gewerbekunst«. . . .«

Bernhard Wenig, Maler, Hanau äussert
sich wie folgt: »Bezüglich des Ausschreibens be-
treffs »Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?«
kann ich die Auffassung Hirschwalds nur unter-
schreiben. — Zu meiner Freude berührt der
 
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