Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

DOI Artikel:
Hirschwald, Hermann: Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0067

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4i8

Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?

auch auf die Solidität sich beziehende Frage im
Sinne des Punkt 3 zur Beantwortung vorgelesen
werden und erst nach Bejahung der Schutz er-
teilt werden.«

Geh. Hofrat Prof. Dr. Cornelius Gurlitt
— Dresden: »Der Gegenstand ist kunstgc-
werblich, der vom Verfertiger zum praktischen
Gebrauch bestimmt wurde und dessen Material
so ausgestaltet ist, dass es den Zweck des Gegen-
standes künstlerisch ausdrückt.«

Dr. Hans Schmidkunz Berlin-Halensee:
»Kunst ist Ausdruck, und zwar in sinnlich an-
schaulichen Formen von höchstmöglicher Voll-
kommenheit. Danach wird ein gewerblicher
Gegenstand dann kunstgewerblich sein, wenn er
nicht nur seinen Gebrauchszweck erfüllt, technisch
gediegen ist und einem verfeinerten Bedürfnis
entspricht, sondern auch das direkte (d. h. nicht
einer anderweitigen Absicht dienende) Streben
und Vermögen zeigt, seine Bestimmung in Formen
von jener Art auszusprechen.

Dabei wird man nicht für jeden Fall eine
besondere künstlerische Vollkommenheit verlangen
dürfen. Wohl aber wird man fragen müssen:
waltet hier neben dem Interesse der Zweck-
mässigkeit und das der Aussprache in solchen
Formen, und betätigt sich dieses Interesse in einem
Grade, dass man, auch wenn die Wirkung nicht
gross ist, doch von einem Können sprechen darf,
das seinen Träger als gegenwärtigen oder wenig-
stens künftigen Genossen der Künstlerwelt be-
trachten lässt ?

An der Hand dieser Fragestellung wird sich
ein Sachverständiger aus dem Kreise der Künstler-
welt nicht sobald täuschen.«

Prof. Dr. Paul Johannes Ree Nürnberg:

»1. Die kunstgewerbl. Gegenstände nehmen
die Mitte ein zwischen den Werken der reinen
Kunst und der gewerblichen Arbeiten.

2. Von jenen unterscheiden sie sich dadurch,
dass sie nicht nur in künstlerischer Absicht ge-
schaffen werden, sondern auch einen praktischen
Zweck haben, von dieser, dass sie nicht nur
praktisch sind, sondern auch künstlerische Schön-
heit besitzen.

3. Mit den gewerblichen Arbeiten haben sie
gemein, dass Zweck- und Materialforderungen
für ihre Formgebung massgebend sind, mit den
reinen Kunstwerken, dass die freie künstlerische
Fantasie schon das Gepräge verliert.

4. Die Erfüllung der Zweck- und Material-
forderungen bildet die notwendige Grundlage
der kunstgewerblichen Schönheit, ist aber nicht
diese selbst.

5. Kunstgewerblich wird ein so durchgebildeter
Gegenstand dadurch:

a) dass die seiner Struktur zugrunde liegenden
unsichtbar wirkenden Kräfte sichtbar ge-
macht werden,

b) dass die den Gesetzen der Mathematik,
Physik und Chemie unterworfenen starren
Konstruktionsformen durch seine Linien-
führung den Schein organischen Lebens
und der Beseelung erhalten,

c) dass durch die Wahl von besonderem
Material, sowie Farben- und Formen-
schmuck die Lebenssphäre, der der Gegen-
stand angehört, zur Erscheinung gebracht
wird.

6. Prinzipiell ist kein Gebrauchsgegenstand
von der künstlerischen Gestaltung ausgeschlossen.

7. Helanglos ist, ob die Herstellung des Gegen-
standes mit der Hand . oder maschinell geschieht,
sofern nur dem Material kein Zwang angetan
wird und die auf mechanischem Wege erzielten
Formen so gearbeitet sind, dass der künstlerische
Karakter des Entwurfes gewahrt bleibt «

Prof. E. M. Geyger — Berlin - Florenz:
»1. Nur der Gegenstand ist kunstgewerblich
zu nennen, welcher praktisch zu brauchen ist und
vom Künstler selbst hergestellt ist und welcher
Gegenstand die höchsten Ansprüche grosser Kunst
an sich herantreten lassen kann, wie z. B. das
Salzfass und das Tintefass von Benvenuto Cellini,
der Fackelhalter (Diavolino) von Giovanni da
Bologna und zwei Spiegel von mir und andere
derartige ernste Erzeugnisse anderer.

2. Gebrauchsgegenstände, die nicht den hohen
Ansprüchen eines Kunstwerkes genügen, sind nicht
kunstgewerblich, sondern sind entweder »industriell«
oder »dekorativ-gewerblich«. Es wird heute ein
grosser Missbrauch getrieben, indem sich das
»Dekorationsgewerbe« einfach den Titel »Kunst-
gewerbe anmasst.«

3. Es gibt 4 Klassen: Gewerbe, Dekorations-
gewerbe, Kunst und Kunstgewerbe.

4. Ein wahrer kunstgewerblicher Gegenstand,
wie unter 1 genannt, ist viel seltener, als ein
rein abstraktes Kunstwerk, weil in ihm ausser dem
rein geistigen auch noch das gewerbliche ent-
halten ist.

5. So hält der Titel dieser Zeitschrift auch
logisch »Kunst« und »Dekoration« in obiger Ent-
wickelung streng auseinander.

Nur die hohe Meinung für Kunst hat mich
veranlasst, obige Definition zu machen, wenn man
die Kunst weniger ernst nimmt, so kann man ja
auch bei den üblichen Ausdrücken bleiben und
jedes Ding erhält trotzdem seinen Platz in der
Kultur. Früher oder später, je nachdem es er-
kannt wird.« —

Fortsetzung folgt. Weiteren Zuschriften sehen wir entgegen.
 
Annotationen