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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

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Hirschwald, Hermann: Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0120

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Welcher Gegenstand ist kunstgewerblich?

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nissen entgegenkommend; in Gestaltung und
Wertstoff seiner besonderen Bestimmung bezw.
seinem Gebrauchszweck angemessen; gesetzmäßig
und lebendig wie eine Schöpfung der Natur und
und den Stempel des Persönlichen tragend; ein-
heitlich in der Gesamterscheinung und etwaige
Einzelzierformen dem Ganzen untergeordnet-, in
formen und Farben mit der jeweiligen oder
tiner von der gegenwärtigen Zeit als edel em-
pfundenen vergangenen Geschmacksrichtung im
Einklang,

»Wohl erfunden, klug ersonnen,
Schön gebildet, zart vollbracht«, —
einen gewerblichen (legenstand solcher Art,
gleichviel ob Ur- oder Nachbild, ob mit geübter
Hand oder feinfühliger Maschine geschaffen, würde
ich als kunstgewerblich bezeichnen.

Allgemeingiltig freilich ist diese Auslegung
nicht; es ffiesst der Begriff kunstgewerblich in
seine Nachbarbegriffe über, wie eine Farbe des
Regenbogens in ihre Nebenfarben, und ein ge-
rechter Urteilsspruch wird sich oft nur von Fall
zu Fall abgeben lassen, gleichwie die Entscheidung
darüber, ob einem litterarischen Erzeugnis ein
Kunstwert innewohnt oder nicht.

Bildhauer L. Nowack—Hanau: Kunst-
gewerblich ist jener Gegenstand, der in seiner
äusseren gefälligen Form den Zweck seiner Be-
stimmung erkennen lässt, sich innerhalb der
Grenzen harmonischer Verhältnisse bewegt, in
seiner Beschaffenheit und seinem Wesen soviel
gesunde Strucktur erkennen lässt, dass selbst ohne
jede dekorative Zutat das Ganze als geschmack-
voll anerkannt werden muss, vorausgesetzt, dass
der (legenstand in seiner stofflichen Bearbeitung
den Eindruck der Solidität hervorruft. In beiden
Fällen, ob der kunstgewerbliche Gegenstand in
seinen Formen sich nur auf Strucktur beschränkt,
oder der dekorative Schmuck mit gewisser Vor-
liebe betont wird, müssen einheitliche Stilformen
in Anwendung gebracht werden.

Direktor Prof. Max Seliger — Leipzig:
Jeder Gegenstand, der mittelst Hand- oder Ma-
schinentechnik, oder durch Verbindung beider
entsteht und der ausser der Erscheinung, die
sein Zweck auf dem kürzesten und billigsten
Herstellungswege fordert, ein Plus, eine Mehrtat
zeigt, die in ästhetischer Richtung liegt und die
den (legenstand dadurch zum künstlerischen
Werk gestaltet. Diese Mehrarbeit verteuert ihn
und bedingt neben der gewerblichen Technik
die Mitanwendung von künstlerischer Technik.
Meistens handelt es sich auch nicht um Einzel-
werke, sondern um Massen- oder Auflagewerke.

Seltsamerweise werden oft Vor- oder Modell-
werke zu kunstgewerblichen Werken als Kunst-
werke, die Werke selbst aber nicht als solche
angesehen. Die Ingenieurkunst möchte ich als
eine Kunst in dem fraglichen Sinne nicht an-

sehen, da es sich bei ihr wesentlich um die
aUerbüligste notwendigste Rechenformerscheinung
handelt, selten um eine Art kunsttechnischen
Uberflusses, der jenseits dieses ausgerechneten
Unentbehrlichen liegt.

Zur Verfeinerung und Veredelung unserer
Kulturformen ist alle Kunst angewandt und da
sie zuerst aus sozialpolitischen Gründen zur Er-
schaffung einer breiten Volkskunst, also von
unten sollte angewandt werden an den täglich
nötigen, im Leben, bei der Arbeit,, im Verkehr
benützten Geräten und Gegenständen, nicht aber
als Luxusform für die wenigen Reichen, so ist
zu erstreben, dass vielmehr gute Künstler dieser
dringenderen Aufgabe sich zuwenden.

Durch die gesetzliche und gesellschaftliche
Gleichstellung der Werke beider Kunstarten, der
»freien■< und der »angewandten«, wäre dies zu
erreichen.

Dies ist auch durchaus sachlich gerecht, weil
es keineswegs ein Leichteres ist, unter vielfachen
Beschränkungen, die Zweck, Technik, Umgebung,
Preis, Zeit U. a. fordern, künstlerisch Edles zu
erzeugen. Wäre es leichter und bequemer, wie
in den Kreisen der jetzt überbegünstigten freien
Künstler der Ausstellungsmärkte angenommen
wird, so hätten wir mehr mustergiltige Werke
des »Kunstgewerbes«. Nur sehr achtbares Können
in Verbindung mit vornehmem Maßhalten mit
den Mitteln und feinem ausgesprochenem Sinn
für das praktische Leben und die Lebensformen
in allen Ständen bringen vortreffliche gewerbliche
Kunstwerke zur Welt. Auch ist es mit der
Papieridee oder Modellmacherei keineswegs getan,
es gehört noch Liebe und ebenbürtiges Können
bei der Endtechnik dazu.

Übrigens am meisten not tut der ent-
schlossenste Kampf von Seiten des Gesetzes, der
Kunstvereine, der Künstler und aller ehrenhafter
Arbeiter gegen die Verseuchung der deutschen
Arbeit durch Imitationswerk und Lottertechnik.
Ks fehlt uns der nachbarliche kollegiale Geist
bei Erzeugern und Händlern. Kein Land dürfte
soviel unechte halb- und ganzgestohlene, »ent-
lehnte« und »angelehnte« Kunstgewerbs werke
haben, die lediglich aus dem Grunde entstehen,
mehr zu geben, als ehrsamer-, fachmännisch und
solid kaufmännischerweise möglich und erlaubt
ist, oder um dem Nachbar die Ernte von seiner
Saat fortzunehmen, seinen Einfall für sich ge-
schäftlich auszubeuten.

Wir kämen dem gesunden Verständnis der
Kunst näher, wenn es gelänge, zunächst allge-
meiner zu zeigen, was von der Hand und Ma-
schine wirklich ehrenhafte gute Arbeit ist. Die
Qualität der Technik wird vorläufig bei uns
Deutschen durchschnittlich auffallend unterschätzt
und die äusserliche ästhetische Erscheinung, die
»Papier- und Modellkunst«, überschätzt. Dies
 
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