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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 14.1904

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Widmer, Karl: Städtische Plätze
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https://doi.org/10.11588/diglit.7009#0128

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Städtische Plätze.

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sicheren Instinkt: die mittelalterlichen Plätze
dehnen sich energisch in die Höhe ans,
während eine gewisse Protzerei mit Quadrat-
meter-Verschwendung manchen modernen
Platz verdorben hat, wie z. B. die Plätze im
Münchener »Isarathen« oder den welt-
berühmten Riesenteller der Place de la Con-
corde in Paris.

Was von der Gesamtanlage, das gilt auch
von der Ausschmückung des Platzes: der Platz
muss Architektur bleiben. Das stilvollste
Material seiner Ausstattung ist und bleibt
der Stein. Wo etwa gärtnerischer Schmuck
dazu kommt (was aber durchaus kein Gebot
unbedingter Verschönerung ist), muss sich
auch dieser in Form und Anlage dem archi-
tektonischen Karakter des Ganzen unter-
ordnen, nicht den Platz zum Garten machen
wollen. Damit haben wir eine der wun-
desten Stellen des heutigen Ausschmückungs-
systems berührt: die zu einer wahren Land-
plage gewordene Manie, städtische Plätze
mit allen möglichen Kinkerlitzchen einer
übel angebrachten Vorgärtchen - Poesie zu
verpflästern; überall Rasenplätzchen, Blumen-
beetchen, Tannenbäumchen hinzupflanzen, wo
sie nicht hingehören. Dann steuert noch die
moderne Industrie ihre Verschönerungs-
künste bei, die gusseisernen Wetterhäuschen
mit den Renaissance-Schnörkeln, die Soda-
wasser - Buden und Zeitungs - Kioske im
Schweizerhäuschen-Stil usw. Es ist derselbe
Jammer wie in unsern Wohnräumen: keine
Ruhe, keine Einfachheit, nichts Echtes und
nichts Ganzes. Ein öffentlicher Platz soll
die Monumentalität des Karakters wahren,
nicht aufheben, wie ihm die architektonische
Bestimmung der den Platz umgebenden
öffentlichen Bauten diktiert. Und monu-
mental ist einfach, wuchtig, konzentriert: ein
Denkmal, oder womöglich ein zugleich für
die Bedürfnisse des allgemeinen Gebrauchs
bestimmter Gegenstand der angewandten
Kunst, etwa ein monumentaler Brunnen. Das
übrige soll Platz bleiben, freier, unverstückelter
Raum. Dann haben wir das wesentlichste
Moment der ästhetischen Wirkung erfüllt: die
Einheitlichkeit des Platzes und seiner Um-
gebung, seine architektonische Geschlossen-
heit. — Freilich unsere öffentliche Denkmäler!

Die grossen Männer, zu Fuss und Ross; die
zu Bronze gewordene Langeweile ihrer histo-
risch beglaubigten Fotografen - Ähnlichkeit
und Fotografen-Genauigkeit; die auf Bestell-
ung gelieferten Atelierposen; die Schreiner-
plastik der Sockelprofile; die Verwechslung
von Monumental und Theatralisch. Ein
öffentliches Denkmal grossen Stils soll die
höchste Steigerung der Monumentalität seiner
Umgebung, zugleich der konzentrierte Aus-
druck einer Idee, eines Stückes Zeitgeist sein:
diese Denkmäler sind der konzentrierte Aus-
druck der künstlerischen Impotenz ihrer Ur-
heber und ihrer Auftraggeber. Langsam
hat sich in der Entwicklung der modernen
Kunst wieder die Einsicht in das Wesen des
Monumentalstils in Architektur, Malerei und
Plastik durchgerungen: nicht im Sonnen-
schein grosser, befruchtender Aufträge, son-
dern in der Einsamkeit des Ateliers, ver-
kannt und verspottet, im mühsamen Ringen
mit allen Organen offizieller Kunstpflege.

JAN TOOROP—KATWYK. Sgrafitto-Gemälde

in der *Neuen Börse« zu Amsterdam.
 
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