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Rudolf Klein :
A. V. NIEDERNHÄUSERN-RODO-PARIS. Verlaine.
französische Kunst bei immerhin guten
Qualitäten vorübergehend eine Weile das
neuerungssüchtige Ausstellungspublikum zu
interessieren suchte. So ist denn mit ihm
das grosse Erbe Manets aufgezehrt, und
welche Stellung die Jugend Frankreichs in
Zukunft diesem Klassiker der Malerei gegen-
über einnehmen wird, und welche Rolle
sie spielen wird, bleibt abzuwarten, falls sie
überhaupt eine Rolle spielen wird.
Annähernd reichhaltig, im Verhältnis
natürlich nur, ist die Sammlung der Plastiken,
deren Hauptanziehungspunkt eine beinahe
60 Nummern umfassende Kollektion von
Auguste Rodin bildet. Daneben sehen wir
das von den weitesten Bürgerkreisen viel-
bewunderte »Monument aux morts« des
Bartholome, eine sehr zahlreiche Porträt-
kollektion des Belgiers Lagae, verschiedenes
von Jef Lambeaux und Meuniers grossen
Hafenarbeiter. Deutschlands erster Bildhauer,
Adolf Hildebrand ist leider nicht erschienen,
doch einige aus seiner Münchener Gefolg-
schaft. Die Gruppe der jungen Berliner
Plastiker hat sich eingestellt, die jungen
Leute, die in Düsseldorf versuchen eigne
Wege zu gehen, der Schweizer Niederhäusern
und die Dänin Anne Marie Carl-Nielsen, der
Engländer Swane und der Italiener Drigo.
Man könnte diese ganze Sammlung von
Plastiken auf drei Namen reduzieren, die die
selbständigsten sind und denen die Jugend
folgt: Rodin, Meunier, Hildebrand. Rodin
ist der grösste, eigenste, selbständigste und
hat seltsamerweise mit ganz geringer Aus-
nahme die unvollkommenste Nachfolgeschaft,
in welchem Punkte ihm Meunier gleicht,
während Hildebrand, der feine, kühle, be-
rechnende, aber ein wenig epigonenhafte
Geist, die talentvollsten Schüler erzielt, da in
seiner Kunst nichts unplastisches ist, das
billig nachgeahmt werden kann. Rodin zeigt
sich hier mit seiner Sammlung als das Genie,
das bei allen tollkühnen und gewagten Neue-
rungen nie die tiefgegründete Gesetzmäßig-
keit seiner Kunst aufgibt, selbst da nicht,
wo seine Nachahmer nur das Schrullenhafte
sehen. Er zeigt sich als der gewandte Form-
architektone vor der Statue l'äge d'airain,
über den »Kuss« und die »Bürger von Calais«
bis zu jener prachtvollen Figur, die selt-
samerweise »Schöpfung« benannt ist, und
daneben in den Porträten als einen Psycho-
logen von so hinreissender Kraft, wie die
moderne Malerei keinen aufzuweisen hat und
in vielen andern Dingen als jene grosse
Persönlichkeiten, der die weiteste Empfin-
dungsskala geläufig ist, von holdester Grazie
zu schauerlicher Dämonie.
Meunier, der aus der Malerei kam,
und vor einer Reihe von Jahren als der
erste Bildhauer so stürmisch in Deutsch-
land begrüsst wurde, da man von Rodin
wenig kannte, ist in formaler Beziehung
weit ärmer wie jener. Er entwickelt seine
Technik aus dem Malerischen, das ihn zur
einseitigen Auffassung verurteilt und er
leitet seinen antiken Zug mehr aus dem
Seelischen, dem Ethischen ab, denn aus dem
Form - Architektonischen. Sein Werk, wie
jede seiner Figuren, ist eine andachtvolle Ver-
herrlichung der Arbeit, nicht immer sind die
Einzelnen im rein plastischen Sinne vollen-
det und ist Meunier gegen Rodin auch ein-
seitig in der Wahl dessen, was das Leben
Rudolf Klein :
A. V. NIEDERNHÄUSERN-RODO-PARIS. Verlaine.
französische Kunst bei immerhin guten
Qualitäten vorübergehend eine Weile das
neuerungssüchtige Ausstellungspublikum zu
interessieren suchte. So ist denn mit ihm
das grosse Erbe Manets aufgezehrt, und
welche Stellung die Jugend Frankreichs in
Zukunft diesem Klassiker der Malerei gegen-
über einnehmen wird, und welche Rolle
sie spielen wird, bleibt abzuwarten, falls sie
überhaupt eine Rolle spielen wird.
Annähernd reichhaltig, im Verhältnis
natürlich nur, ist die Sammlung der Plastiken,
deren Hauptanziehungspunkt eine beinahe
60 Nummern umfassende Kollektion von
Auguste Rodin bildet. Daneben sehen wir
das von den weitesten Bürgerkreisen viel-
bewunderte »Monument aux morts« des
Bartholome, eine sehr zahlreiche Porträt-
kollektion des Belgiers Lagae, verschiedenes
von Jef Lambeaux und Meuniers grossen
Hafenarbeiter. Deutschlands erster Bildhauer,
Adolf Hildebrand ist leider nicht erschienen,
doch einige aus seiner Münchener Gefolg-
schaft. Die Gruppe der jungen Berliner
Plastiker hat sich eingestellt, die jungen
Leute, die in Düsseldorf versuchen eigne
Wege zu gehen, der Schweizer Niederhäusern
und die Dänin Anne Marie Carl-Nielsen, der
Engländer Swane und der Italiener Drigo.
Man könnte diese ganze Sammlung von
Plastiken auf drei Namen reduzieren, die die
selbständigsten sind und denen die Jugend
folgt: Rodin, Meunier, Hildebrand. Rodin
ist der grösste, eigenste, selbständigste und
hat seltsamerweise mit ganz geringer Aus-
nahme die unvollkommenste Nachfolgeschaft,
in welchem Punkte ihm Meunier gleicht,
während Hildebrand, der feine, kühle, be-
rechnende, aber ein wenig epigonenhafte
Geist, die talentvollsten Schüler erzielt, da in
seiner Kunst nichts unplastisches ist, das
billig nachgeahmt werden kann. Rodin zeigt
sich hier mit seiner Sammlung als das Genie,
das bei allen tollkühnen und gewagten Neue-
rungen nie die tiefgegründete Gesetzmäßig-
keit seiner Kunst aufgibt, selbst da nicht,
wo seine Nachahmer nur das Schrullenhafte
sehen. Er zeigt sich als der gewandte Form-
architektone vor der Statue l'äge d'airain,
über den »Kuss« und die »Bürger von Calais«
bis zu jener prachtvollen Figur, die selt-
samerweise »Schöpfung« benannt ist, und
daneben in den Porträten als einen Psycho-
logen von so hinreissender Kraft, wie die
moderne Malerei keinen aufzuweisen hat und
in vielen andern Dingen als jene grosse
Persönlichkeiten, der die weiteste Empfin-
dungsskala geläufig ist, von holdester Grazie
zu schauerlicher Dämonie.
Meunier, der aus der Malerei kam,
und vor einer Reihe von Jahren als der
erste Bildhauer so stürmisch in Deutsch-
land begrüsst wurde, da man von Rodin
wenig kannte, ist in formaler Beziehung
weit ärmer wie jener. Er entwickelt seine
Technik aus dem Malerischen, das ihn zur
einseitigen Auffassung verurteilt und er
leitet seinen antiken Zug mehr aus dem
Seelischen, dem Ethischen ab, denn aus dem
Form - Architektonischen. Sein Werk, wie
jede seiner Figuren, ist eine andachtvolle Ver-
herrlichung der Arbeit, nicht immer sind die
Einzelnen im rein plastischen Sinne vollen-
det und ist Meunier gegen Rodin auch ein-
seitig in der Wahl dessen, was das Leben