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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 15.1904-1905

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Perzyński, Friedrich: Walther Schmarje
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https://doi.org/10.11588/diglit.7137#0252

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WALTHER SCHMARJE-BERLIN.

» Zimmer-Brunnen «.

WALTHER SCHMARJE.

Edmond und Jules de Goncourtzogen 1866
in ihrem Tagebuch einen interessanten
Vergleich zwischen antiker und moderner
Skulptur. »Die Schönheit des antiken Ge-
sichtes war die Schönheit seiner Linien; die
Schönheit des modernen Antlitzes ist die
Physiognomie seiner Leidenschaft.« — Diese
Definition drückt sehr glücklich die Hoff-
nungen aus, die Kunstfreunde jener Zeit
auf die Entwicklung moderner Plastik
setzten. In Rodins leidenschaftdurchwühlten
Gestalten hat ihre Sehnsucht reiche Erfüllung
gefunden.

Bei aller Verehrung dieses Meisters werden
wir heute dennoch der Zweifel kaum Herr,
ob dieser moderne Michelangelo, diese aller-
dings nicht durch Massigkeit der Glieder,
sondern durch Gewalt der Empfindung
sprechende orkanartige Natur die allmählich
stiller gewordenen Wünsche unserer Zeit
völlig befriedigt. — Wir brauchen keine
anämischen und geschwächten Individuen zu
sein, wenn wir aus unserem häuslichen Leben
die Möglichkeit heftiger Nervenreize auszu-
schalten suchen. Zumal der Großstädter, der

1906. IV. 3.

täglich Erschütterungen meist recht banaler
Herkunft ausgesetzt ist, tritt über die Schwelle
seines Hauses mit der Hoffnung in ein Asyl
des Friedens eingelaufen zu sein, wo Schweigen
herrscht, wenn die den Lebensweg bestim-
menden Kräfte: die guten Gedanken, Zwie-
sprache halten.

Haben die antiken Völker in ihrer Innen-
architektur, zu denen die ruhevollen Statuen
des Atriums gehörten, diese Empfindung
nicht feiner geschont als die Männer des
Cinquecento? Ist es nicht Glück und höchste
Qual zugleich, heute in den Stanzen Raffaels
wohnen zu müssen, eingeschnürt von ge-
waltigen Begebnissen, die mit der Stimme
von Fanfaren zu uns reden und den be-
scheidensten Keim eines selbständigen Ge-
danken ersticken? Die überquellende Fülle
der Barockdekorationen, die leidenschaftlichen
Attitüden der Barockskulpturen erzählen von
Naturen, denen Lärm und Gewalttätigkeit
Daseinsbedingungen waren, von einer Un-
gebundenheit aller äusseren Verhältnisse, der
wir ebenso fremd gegenüberstehen wie bei-
spielsweise dem Gedanken an eine Übertrag-

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