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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Thoma, Hans: Ein offener Brief: von Hans Thoma an den Herausgeber
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0056

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EIN OFFENER BRIEF

VON HANS THOMA AN DEN HERAUSGEBER.

Hochverehrter Herr Hofrath!

Bei Ihrem neulichen Besuch — als Sie mir
die Auswahl und die Zusammenstellung
meiner in Ihrer Zeitschrift aufgenommenen Bil-
der vorlegten — kam ich auf die Vermuthung,
daß Sie, obgleich ich mit Ihrer Wahl und An-
ordnung sehr zufrieden bin, doch noch einige
Fragen — mehr auf dem Herzen als im Munde
— über einzelne dieser Bilder haben möchten.

Die Auskünfte, welche ich Ihnen gebe, so
gut es in diesem Rahmen geschehen kann, sind
vielleicht auch der Theilnahme der Freunde Ihrer
Zeitschrift sicher, und aus diesem Grunde über-
gebe ich Ihnen diesen Brief unverschlossen.

Es ist bekannt, daß ein Künstler viel gefragt
wird, wenn er sich in die Öffentlichkeit wagt
mit seinen Arbeiten. —■ Die Fragewörter: wa-
rum, wozu, wie, was, wann, wo, usw. — mit
all ihren reichen Verbindungen — thürmen sich
vor ihm auf, so daß es manchmal einem pein-
lichen Verhör gleichkommt, wo der arme Künst-
ler in die Enge getrieben wird, weil er gar
manche Frage nicht beantworten kann oder sich
auf den bekannten gewissen Unbekannten be-
rufen muß — da macht er sich aber geradezu
verdächtig —•, Wenn er dann noch die un-
durchdringliche Amtsmiene des geheimen Kunst-
gerichtsrathes Dr. Kritikus vor sich sieht, so
fühlt er sich wie verloren.

Doch was helfen die Ausflüchte! — Aus-
künfte will man haben, man möchte kurz und
bündig erfahren, wieso er dazu gekommen ist,
solche Bilder zu malen. Und doch muß der
Künstler vorsichtig sein, er weiß nicht, welches
Urtheil der Richter aus seinen Aussagen heraus-
drehen wird.

Freilich, wenn man das Recht hätte den
Richter zu fragen, wenn man verurtheilt wird:
warum? auf welches Gesetz sich sein Urtheil
gründet, so könnte auch er in Verlegenheit
kommen, wenn dies bei ihm möglich wäre. Es
giebt nun einmal kein allgemein gültiges Gesetz-
buch für die Malerei, da sogar auch Leonardo
da Vinci von vielen in seinen gründlichen
Äußerungen als ein alter Philister erklärt
wird. — Die wechselnde Tagesmeinung kann
doch nicht für ein Gesetz genommen werden;
so mag man daran zweifeln, daß dicker Farben-
auftrag auch als „dickere Begabung" zu gelten
hat; man darf auch nach dem Gesetz fragen,
welches Malern verbietet Zeichnungen zu
machen und sie nachher zu koloriren u. dergl.
mehr.

Auch in Kunstsachen bin ich von weitgehende1"
Duldsamkeit. — Unduldsam kann man eigent'
lieh nur da sein, wo ein festes Gesetz vorhanden
ist, das man anerkennen muß, weil es auf dein
Wesen des Menschen sich gründet.

Ein Gesetz für die Malerei ließe sich wohl
aus den Naturgesetzen des Auges, aus dem
Wesen der Farben begründen, aus einer Far-
benlehre, wie Goethe sie verkündet hat, die
jeder Maler begreift, weil sie von der Wahrheit
der Natur getragen ist. Der Maler weiß aus
täglicher Erfahrung, daß wenn er z. B. Roth mit
Grün, Violett mit Gelb, Blau mit Orange mischt,
also Komplementärfarben miteinander, daß sie
sich in die unendlichen Variationen eines Graus
umwandeln, in das wundervolle Spiel des Graus,
auf dem doch eigentlich der Reiz des Farben-
und Lichtreiches beruht. Aus dem Dreiklang
von Gelb, Roth und Blau bildet sich die Unend-
lichkeit dieses Reiches, ein fast mystisches Reich,
in welches diese drei uns einführen. Diese Far'
bendreieinigkeit beherrscht mit ihren Verbin-
dungen — fast wie ein geistiges Element —-
die ganze Licht- und Farbenwelt bis dorthin,
wo das Licht uns blendet, und für unsern Sinn
eins wird, mit dem Geheimniß der äußersten
Finsterniß, in das wir nicht eindringen können.
Unsern Sinnen ist nur ein Mittelding wahrzu-
nehmen erlaubt, denn die Farben gehen aus
der Vermählung von Licht und Finsterniß her-
vor, und Goethe spricht von der „schattigen
Natur der Farben." So könnte man wohl dazu
gelangen zu denken: auch die Malerei sei be-
rufen, ein großes Weltgesetz dem Sinne des
Auges klar zu machen — es sozusagen zu ver-
menschlichen. Leonardo daVinci nennt die
Malerei die Wissenschaft vom Sehen, Wissen-
schaft ist der Versuch, das Unerforschliche dem
Menschensein näher zu bringen — dem Ver-
stand zu formuliren. Doch ein Richter würde
hier sagen „das sind Ausflüchte, — nun end-
lich zur Sache! Was haben Sie uns über Ihre
Bilder zu sagen!"

Eigentlich fast nichts, ich vertraue darauf«
daß Bilder, wenn man sie genauer ansieht, von
selbst zu sprechen anfangen, ja, daß sie manches
erzählen können, was uns die Sprache nicht
sagen kann. Als allgemeine Bemerkung w$
ich noch sagen, daß meine Bilder eigentlich Ge-
legenheitsbilder sind, gewissermaßen vom Zu-
fall ins Dasein gerufen, bedingt durch gerade
vorliegende Lebensverhältnisse.

Theorien und Prinzipien hatten selten Ein'
 
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