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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Rosenhagen, Hans: Grosse Berliner Kunstausstellung 1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0161

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GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1915.

VON HANS ROSENHAGEN.

II.

Es wäre mehr als verkehrt, jetzt, in dem
Augenblicke, da das deutsche Volk in herr-
lichen Siegen die Vollkommenheit seiner Kraft
und die Zielsicherheit seines Willens erweist,
ein Klagelied über die Unzulänglichkeit der
deutschen Kunst, wie sie gegenwärtig in Aus-
stellungen erscheint, anzustimmen. Viel nötiger
ist es, der verirrten wieder auf den rechten
Weg zu helfen und ihr Mut zuzusprechen, da-
mit sie sich wieder auf sich selbst besinnt.
Denn darüber kann kein Zweifel sein: Niemals
hat eine ärgere Verwirrung über Aufgaben und
Ziele der Kunst geherrscht, als vor Ausbruch
des Krieges, niemals sind die deutschen Künstler
unter einander weniger einig über Anschauungs-
Weisen und Ausdrucksarten gewesen, und zu
keiner Zeit hat das Publikum ratloser oder auch
übelberatener dem Ringen der Künstler zuge-
schaut. Hier harrt derer, die helfen wollen,
eine schwere aber auch dankbare Pflicht. Es
handelt sich allerdings nicht darum — was
manchen freilich erwünscht wäre — die bisher
bemerkbar gewordenen Bestrebungen um eine
neue Kunst mit Stumpf und Stiel auszurotten,
sondern sie in gesunde Bahnen zu lenken, vor
allem dafür zu sorgen, daß die Ausstellungen
aufhören, die Tummelplätze für Leute zu sein,
die nichts zu geben haben als höchst fragwürdige
Versuche und niemals dazu gelangen, wirklich
Kunst zu machen! Es erscheint überaus nötig,
gerade für das Gebiet der Malerei, der Meinung
gegenüberzutreten, daß Zügellosigkeit gleich-
bedeutend sei mit Kraft, daß das Talent an sich
genüge, um Kunstleistungen hervorzubringen
und Anerkennung zu ernten. Wieviel wunder-
bare Ideen sind doch für die Kunst dadurch ver-
loren gegangen, daß die, die sie hatten, sich nicht
entschließen konnten, ihnen in ernsthafter Ar-
beit und in völliger Hingabe Form und Ausdruck
zu geben! Die Gesundung der deutschen Kunst-
zustände muß, wie die Sache jetzt liegt, von den
Ausstellungen aus ihren Anfang nehmen. Diese
spielen seit einem Vierteljahrhundert für den
Kunstbetrieb in allen Kulturländern eine sehr
viel wichtigere Rolle als die vielgeschmähten
Akademien und haben in letzter Zeit unendlich
mehr Schaden angerichtet, als diese je haben
verursachen können. Die falschen Genies, die
von gewissen Ausstellungen heran gezüchtet
worden sind, bedeuten sicherlich eine größere
Gefahr für die Kunst als die unbegabten Hand-

werker, die neben den gutgeschulten Talenten
von den Akademien kommen. Zum wirklichen
Genie gehört nicht nur das höhere Wollen,
sondern auch das höhere Können, und wenn
durch manche Ausstellungen der Anschein er-
weckt wird, als sei das handwerkliche Können,
die anständige Arbeit für die Kunst selbst etwas
durchaus Nebensächliches und Entbehrliches
geworden, so wird damit nur jenem fruchtbaren
Ehrgeiz entgegengearbeitet, der von jeher die
besten Künstler zu höchsten Kraftanstrengungen
getrieben hat und der darin gipfelte, die großen
Meister der Vergangenheit in ihren Leistungen
zu übertreffen. Man übertrifft aber niemanden,
wenn man nicht genug gelernt hat, und der
ehrgeizigste Künstler wird stumpf, wenn er sieht,
daß so unglaublich wenig dazu gehört, in den
Ausstellungenvonheutealsein Genie zu glänzen.

Diese Bemerkung ist natürlich nicht gegen
die fortschrittlichen Anschauungen gewisser
junger Maler gerichtet; denn das hieße den
frischen Wagemut des heranwachsenden Künst-
lergeschlechts kaltstellen und alle Entwicklung
unterbinden wollen. Aber es muß darauf ge-
drungen werden, daß die „Ausstellungsleitun-
gen" zum Wohle der deutschen Kunst wieder
auf eine bessere handwerkliche Vollendung hal-
ten und rücksichtslos alle nur zur Hälfte gelun-
genen Versuche zurückweisen. Man läßt ja auch
Musiker nicht aufs Podium, bei denen es mit
der Technik erkennbar hapert. Wer wirklich in
der Kunst etwas zu sagen hat, darf sich die Mühe
nicht verdrießen lassen, seine Sache in möglichst
vollkommener Weise vorzubringen. Die soge-
nannten „Anreger" können sich auch privatim
betätigen. Ebensowenig freilich gehören die
Leute in die Ausstellungen, die Bilder malen
ohne die Spur eines innerlichen Berufes, ohne
Ahnung von Kunst, nur weil sies gelernt haben
und um Geld zu verdienen; denn die Ausstel-
lungen sollen Achtung vor der Heiligkeit der
Kunst erwecken und nicht nur Unterhaltungs-
und Geschäftszwecken dienen.

Es ist leider von jeher das Verhängnis der
„Großen Berliner Kunstausstellung" gewesen,
daß geschäftliche Rücksichten oft genug ihren
Charakter bestimmt haben. Auch bei der Be-
schränkung, die ihre Veranstalter in diesem
Jahre sich auferlegen mußten, konnten sie nicht
ganz ausgeschaltet werden, weil die Not unter
denKünstlerngeringerenGradesbesondersgroß

XIX. November 1915
 
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