Der Kleidermacher und die Zeichnerin.
sion hat er sich aber auch dem Getriebe der
Werkstatt und der Geschäfte hingegeben, alles
ist am rechten Ende angefaßt und läuft einst-
weilen glatt und glücklich ab. Obwohl ich
keinem damit zur Nachfolge raten möchte, ist
Haas-Heye mit seinem Modehaus, seiner Kunst-
ausstellung, seinem Graphikverlag doch ein
zählendes Beispiel, daß unsere Künstler nicht
unbedingt so unpraktisch und geschäftsun-
tüchtig sein müssen, wie ihr angestammter Ruf
es wahr haben möchte.
Von den einzelnen Schöpfungen, die das
Signum „Alfred-Marie" tragen, kann hier nicht
gesprochen werden. Sie sind von einem Maler
entworfen, der die Würzen der jüngsten Stile
bis zum letzten Tropfen eingesogen. Aber die
malerischen Stilmerkmale, die spitzen Gesten,
die aus langen Kurven
greifen, die Fremdhei-
ten der Farbenkreise,
das ist alles restlos ins
Schneiderische über-
setzt, in neue Ge-
wandlinien, in uner-
hörte Stoffverbind-
ungen. Anders gesagt:
Die Kleider von „Al-
fred-Marie" haben
keine Spur verbotener
Graphik, trotzdem
entspricht ihr Stil dem
unserer jüngsten Gra-
phiker. — Die Über-
tragung in Holzschnitt
war darum ohne jede
Unduldsamkeit mög-
lich. Wenn man die
Blätter von Annie Off-
terdinger im Original
sieht, in ihrer kost-
baren Mappe aus
Goldkarton, der mit
blauem Chiffon voi-
liert, dazu Goldgaze-
bänder, innen gelb-
grau-grün gestreifte
Doppelklappen — so
erscheinen sie auf den
ersten Blick wie freie
Holzschnittfantasien.
So hemmungslos ver-
einigten sich hier die
Stile. Und man sagt,
die Modelle könnten
gar nicht anders als
in Holzschnitt darge-
stellt sein. Freilich
MODEHAUS »ALFRED-MARIE« HOI./.SCHN. A. OFFTERDINGER.
BLAUGRÜNES TAFTKLEID M. BREITEM GÜRTEL, SPITZENBLUSE.
weichen diese Drucke von den üblichen Mode-
zeichnungen erheblich ab. Diese waren in
all ihrer süßen Gefälligkeit doch nur ein Er-
zeugnis der Angst. Der Angst vor der Dame,
der angeblich jeder herzhafte Strich roh, jedes
eigenartige Gesicht häßlich erscheint, und der
Angst vor der Schneiderin, die sich beschwerte,
wenn sie nicht jede Naht, jede Spitze Stich um
Stich verfolgen konnte. Niemand fiel es daher
ein, daß das Problem ist, aus einem guten Kleid
gute Graphik zu machen. Wenn das Bild durch
künstlerische Qualitäten ein Wertgegenstand
wird, so kommt das ja auch dem Kleid zugute,
für das wir um Liebhaber werben. Niemand
glaube jedoch, in einem Blatt alle berechtigten
und halbberechtigten Ansprüche vereinigen zu
können, die Genauigkeit, die Gefälligkeit und
den künstlerischen
Wert. Vor allem das
Modehaus, das seine
Wunderwerke emp-
fehlen, auf seinen
künstlerischen Hoch-
stand hinwe is en möch-
te, wird einzig und
allein durch die Ver-
bindung mit dem
Künstler zum Ziele
kommen. Für unsere
Graphiker eröffnet
sich hier ein Arbeits-
feld von reizvollsten
Aussichten. Jahraus,
jahrein erfordert der
Wechsel der Mode
wechselnde Mode-
empfehlungen. Und
könnte es für den
Zeichner etwas Lok-
kenderes geben, als
unaufhörlich die Frau
zu schildern in ihren
unerschöpflichen Ver-
kleidungen? Der um-
gekehrte Weg, der
von der Graphik
zum Kleid, ist viel
weniger erfolgver-
sprechend. Das freie
Spiel mit Stift und
Farbe verführt leicht
zu modischen Fanta-
sien, die keine Schnei-
derkunst je zu einem
tragfähigen Kleid um-
dichten kann.......
ANTON JAUMANN.
sion hat er sich aber auch dem Getriebe der
Werkstatt und der Geschäfte hingegeben, alles
ist am rechten Ende angefaßt und läuft einst-
weilen glatt und glücklich ab. Obwohl ich
keinem damit zur Nachfolge raten möchte, ist
Haas-Heye mit seinem Modehaus, seiner Kunst-
ausstellung, seinem Graphikverlag doch ein
zählendes Beispiel, daß unsere Künstler nicht
unbedingt so unpraktisch und geschäftsun-
tüchtig sein müssen, wie ihr angestammter Ruf
es wahr haben möchte.
Von den einzelnen Schöpfungen, die das
Signum „Alfred-Marie" tragen, kann hier nicht
gesprochen werden. Sie sind von einem Maler
entworfen, der die Würzen der jüngsten Stile
bis zum letzten Tropfen eingesogen. Aber die
malerischen Stilmerkmale, die spitzen Gesten,
die aus langen Kurven
greifen, die Fremdhei-
ten der Farbenkreise,
das ist alles restlos ins
Schneiderische über-
setzt, in neue Ge-
wandlinien, in uner-
hörte Stoffverbind-
ungen. Anders gesagt:
Die Kleider von „Al-
fred-Marie" haben
keine Spur verbotener
Graphik, trotzdem
entspricht ihr Stil dem
unserer jüngsten Gra-
phiker. — Die Über-
tragung in Holzschnitt
war darum ohne jede
Unduldsamkeit mög-
lich. Wenn man die
Blätter von Annie Off-
terdinger im Original
sieht, in ihrer kost-
baren Mappe aus
Goldkarton, der mit
blauem Chiffon voi-
liert, dazu Goldgaze-
bänder, innen gelb-
grau-grün gestreifte
Doppelklappen — so
erscheinen sie auf den
ersten Blick wie freie
Holzschnittfantasien.
So hemmungslos ver-
einigten sich hier die
Stile. Und man sagt,
die Modelle könnten
gar nicht anders als
in Holzschnitt darge-
stellt sein. Freilich
MODEHAUS »ALFRED-MARIE« HOI./.SCHN. A. OFFTERDINGER.
BLAUGRÜNES TAFTKLEID M. BREITEM GÜRTEL, SPITZENBLUSE.
weichen diese Drucke von den üblichen Mode-
zeichnungen erheblich ab. Diese waren in
all ihrer süßen Gefälligkeit doch nur ein Er-
zeugnis der Angst. Der Angst vor der Dame,
der angeblich jeder herzhafte Strich roh, jedes
eigenartige Gesicht häßlich erscheint, und der
Angst vor der Schneiderin, die sich beschwerte,
wenn sie nicht jede Naht, jede Spitze Stich um
Stich verfolgen konnte. Niemand fiel es daher
ein, daß das Problem ist, aus einem guten Kleid
gute Graphik zu machen. Wenn das Bild durch
künstlerische Qualitäten ein Wertgegenstand
wird, so kommt das ja auch dem Kleid zugute,
für das wir um Liebhaber werben. Niemand
glaube jedoch, in einem Blatt alle berechtigten
und halbberechtigten Ansprüche vereinigen zu
können, die Genauigkeit, die Gefälligkeit und
den künstlerischen
Wert. Vor allem das
Modehaus, das seine
Wunderwerke emp-
fehlen, auf seinen
künstlerischen Hoch-
stand hinwe is en möch-
te, wird einzig und
allein durch die Ver-
bindung mit dem
Künstler zum Ziele
kommen. Für unsere
Graphiker eröffnet
sich hier ein Arbeits-
feld von reizvollsten
Aussichten. Jahraus,
jahrein erfordert der
Wechsel der Mode
wechselnde Mode-
empfehlungen. Und
könnte es für den
Zeichner etwas Lok-
kenderes geben, als
unaufhörlich die Frau
zu schildern in ihren
unerschöpflichen Ver-
kleidungen? Der um-
gekehrte Weg, der
von der Graphik
zum Kleid, ist viel
weniger erfolgver-
sprechend. Das freie
Spiel mit Stift und
Farbe verführt leicht
zu modischen Fanta-
sien, die keine Schnei-
derkunst je zu einem
tragfähigen Kleid um-
dichten kann.......
ANTON JAUMANN.