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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 37.1915-1916

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Müller, Friedrich: Die Anfänge der Geschmacksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8533#0263

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PROFESSOR JOSEF HOFFMANN.

KÜCHE IM HAUSE IN HIETZ1NG.

DIE ANFÄNGE DER GESCHMACKSBILDUNG.

In einer Zeit, wo man die erste Ausbildung des
kindlichen Intellektes zur Hauptaufgabe
mütterlicher Erziehung machen möchte, kann
man wohlnicht oft genugbetonen, daß mindestens
neben dieser Aufgabe, meiner Ansicht nach vor
ihr und ü b e r ihr die Entwicklung anderer Eigen-
schaften zu beachten ist. Hier sei ausschließ-
lich von der Geschmacksbildung die Rede.

Die Bedeutung, die der Ausbildung des kind-
lichen Geschmackes in der Erziehung im allge-
meinen beigemessen wird, ist im Einklang mit
der Einschätzung des Geschmackes im Leben
überhaupt ziemlich gering. Wer viel weiß, wird
höher eingeschätzt, als wer guten Geschmack
verrät und der sogenannte Geschmack unserer
Gebildeten ist in Wirklichkeit ein auf Wissen
und Kenntnisse zurückgreifendes Urteil oder
Vorurteil, nicht aber ein ursprünglicher, untrüg-
licher Sinn. Daß die unverhältnismäßig geringe
Bewertung der Geschmacksbildung nicht der
großen tatsächlichen Bedeutung des Geschmak-
kes für die ganze Kultur entspricht, kann und

soll hier nicht begründet werden, es darf wohl
als eine immer allgemeiner anerkannte Wahr-
heit zugrunde gelegt werden.

Demgemäß finden wir auch in der modernen
Pädagogik weitgehende Bestrebungen, der Ge-
schmacksbildung mehr gerecht zu werden, als
das früher geschah. Ohne die Zulänglichkeit
der bis dahin in Schulen ergriffenen Maßnahmen
untersuchen zu wollen, möchte ich betonen, daß
selbst die besten Methoden fruchtlos bleiben
müssen, wenn der Geschmack des jungen Men-
schenkindes nicht schon vorher zu einer ge-
wissen Stufe entwickelt wurde. Denn man kann
sich leicht klar machen: wenn schon das biß-
chen Wissen, das die Schule mitgibt, so leicht
und schnell verfliegt, obwohl, sagen wir, wö-
chentlich 6 Stunden zur Einverleibung verwandt
worden sind, wie viel oberflächlicher mag erst
eine Geschmackskultur sitzen, die in 2—3
Stunden wöchentlicher Einwirkung erworben
werden sollte? Zudem verlangt der Geschmack
wohl noch eine viel eingehendere Pflege als
 
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