Kunstpatriotismus.
zum Nutzen der allge-
meinen Einsicht, mit
Deutlichkeit betont
werden, daß in allem
Kunstpatriotismus ein
intellektueller Mangel
steckt, weil er die Be-
ziehungen zwischen
Kunst und Vaterland
falsch auffaßt, weil er
überhaupt von dem
Verfahren im Haus-
halte der Kultur keine
angemessene Kenntnis
besitzt. Es ist eine der
Grundlehren der Kul-
turgeschichte, daß der
Genius eines Volkes
sich nicht zu gleicher
Zeit auf allen Gebie-
tenmenschlichen Schaf-
fens mit gleicher Mei-
sterschaft zu betäti-
gen pflegt. Es gibt
eine Art Stellvertre-
tung unter den einzel-
nen Gebieten. Und je
mehr sich das mensch-
liche Tun verästelt,
desto mehr zeigt uns
die Kulturgeschichte
einen farbenreichen
Wechsel in den Vor-
kämpferrollen der ein-
zelnen Völker. Wenn
Deutschland gegenwärtig auf den meisten Ge-
bieten des Organisierens, in der industriellen
Ausdehnung, in der Wappnung der Volks-
gemeinschaft, im kunstgewerblichen und ar-
chitektonischen Schaffen, auf sozialem und
erzieherischem Gebiet Führer und Lehrer ist,
so fehlen ihm dafür die großen Begabungen
in der Malerei und Plastik, im Drama und in
der Erzählung, so mußte es sich in den Gestal-
tungen der Mode und der Gesellschaftskultur
von seinem gegenwärtigen Feinde übertreffen
lassen. Ähnlich steht es mit der kulturellen
Ein- und Ausfuhr-Bilanz bei den anderen Völ-
kern. Eine solche Bilanz gilt aber immer nur
für einen knappen Zeitraum. Vor hundert Jah-
ren war, wie allgemein bekannt, das Bild ein
ganz anderes. Die ganze Welt stand im Banne
des glänzenden, unvergleichlichen Aufstiegs
deutscher Dichtung und Philosophie, dieser
stolzesten Darlebung europäischer Humanität ;
wogegen das materielle Leben, die staatliche
Entwicklung und so fort erst in ihren Anfängen
PROF. JOS. HOFFMANN WIEN. ARMSTUHL MIT STICKEREI.
standen. Es geht da-
raus hervor, daß kein
Volk sich dessen zu
schämen hat, wenn
es auf bestimmt abge-
grenzten Gebieten ein-
mal als Lernender auf-
zutreten gezwungen
ist; wie dies jetzt für
uns auf dem Gebiete
der Malerei gilt. Das
entspricht vielmehr ei-
nem allgemeinen Ge-
setze und ist nicht im
mindesten regelwidrig.
So wenig als im ein-
zelnen Menschen alle
menschlichen Fähigkei-
ten in gleicher Weise
entwickelt sein können,
so wenig darf dies vom
volklichen Individuum
erwartet werden. Man
sollte dies für reichlich
selbstverständlich hal-
ten. Aber wir erleben
den Widerspruch dage-
gen alle Tage. Wenn ein
Engländer sich weigert,
ein Wagner - Konzert
zu besuchen, was liegt
darin anderes als die
kindliche Behauptung,
England sei verpflich-
tet, seinen Bedarf an
Musik selbst zu decken? Und wenn man deut-
schen Malern zum Vorwurf macht, daß sie von
Frankreich lernten in einer Zeit, in welcher der
deutsche Genius aus uns nicht zugänglichen,
aber verehrungswürdigen Gründen es nun ein-
mal ablehnt, seine große Schöpferkraft auf dem
Gebiete der Kunst zu bewähren — was ist in
diesem Vorwurf anderes zu erblicken als wirk-
lichkeitsfremde Ideologie, törichte Auflehnung
gegen Naturgesetzliches?
Aber noch ein Anderes ist zu betonen: die
umwertende Kraft des Volksgeistes.
Selbst wenn auf einigen Gebieten Nahrung
und Anregung von außen bezogen werden
müssen, so werden sie doch im Haushalte des
Volksgeistes auf dessen spezifische Weise ver-
arbeitet und national umgewertet. Ein deut-
scher Maler, der sich an französischen Vor-
bildern schulte, wird eben schließlich doch wie-
der deutsche Malerei hervorbringen, und zwar
um so deutschere, je mehr er in sich erstarkt
und je wertvoller er selbst wird. Der leibliche
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zum Nutzen der allge-
meinen Einsicht, mit
Deutlichkeit betont
werden, daß in allem
Kunstpatriotismus ein
intellektueller Mangel
steckt, weil er die Be-
ziehungen zwischen
Kunst und Vaterland
falsch auffaßt, weil er
überhaupt von dem
Verfahren im Haus-
halte der Kultur keine
angemessene Kenntnis
besitzt. Es ist eine der
Grundlehren der Kul-
turgeschichte, daß der
Genius eines Volkes
sich nicht zu gleicher
Zeit auf allen Gebie-
tenmenschlichen Schaf-
fens mit gleicher Mei-
sterschaft zu betäti-
gen pflegt. Es gibt
eine Art Stellvertre-
tung unter den einzel-
nen Gebieten. Und je
mehr sich das mensch-
liche Tun verästelt,
desto mehr zeigt uns
die Kulturgeschichte
einen farbenreichen
Wechsel in den Vor-
kämpferrollen der ein-
zelnen Völker. Wenn
Deutschland gegenwärtig auf den meisten Ge-
bieten des Organisierens, in der industriellen
Ausdehnung, in der Wappnung der Volks-
gemeinschaft, im kunstgewerblichen und ar-
chitektonischen Schaffen, auf sozialem und
erzieherischem Gebiet Führer und Lehrer ist,
so fehlen ihm dafür die großen Begabungen
in der Malerei und Plastik, im Drama und in
der Erzählung, so mußte es sich in den Gestal-
tungen der Mode und der Gesellschaftskultur
von seinem gegenwärtigen Feinde übertreffen
lassen. Ähnlich steht es mit der kulturellen
Ein- und Ausfuhr-Bilanz bei den anderen Völ-
kern. Eine solche Bilanz gilt aber immer nur
für einen knappen Zeitraum. Vor hundert Jah-
ren war, wie allgemein bekannt, das Bild ein
ganz anderes. Die ganze Welt stand im Banne
des glänzenden, unvergleichlichen Aufstiegs
deutscher Dichtung und Philosophie, dieser
stolzesten Darlebung europäischer Humanität ;
wogegen das materielle Leben, die staatliche
Entwicklung und so fort erst in ihren Anfängen
PROF. JOS. HOFFMANN WIEN. ARMSTUHL MIT STICKEREI.
standen. Es geht da-
raus hervor, daß kein
Volk sich dessen zu
schämen hat, wenn
es auf bestimmt abge-
grenzten Gebieten ein-
mal als Lernender auf-
zutreten gezwungen
ist; wie dies jetzt für
uns auf dem Gebiete
der Malerei gilt. Das
entspricht vielmehr ei-
nem allgemeinen Ge-
setze und ist nicht im
mindesten regelwidrig.
So wenig als im ein-
zelnen Menschen alle
menschlichen Fähigkei-
ten in gleicher Weise
entwickelt sein können,
so wenig darf dies vom
volklichen Individuum
erwartet werden. Man
sollte dies für reichlich
selbstverständlich hal-
ten. Aber wir erleben
den Widerspruch dage-
gen alle Tage. Wenn ein
Engländer sich weigert,
ein Wagner - Konzert
zu besuchen, was liegt
darin anderes als die
kindliche Behauptung,
England sei verpflich-
tet, seinen Bedarf an
Musik selbst zu decken? Und wenn man deut-
schen Malern zum Vorwurf macht, daß sie von
Frankreich lernten in einer Zeit, in welcher der
deutsche Genius aus uns nicht zugänglichen,
aber verehrungswürdigen Gründen es nun ein-
mal ablehnt, seine große Schöpferkraft auf dem
Gebiete der Kunst zu bewähren — was ist in
diesem Vorwurf anderes zu erblicken als wirk-
lichkeitsfremde Ideologie, törichte Auflehnung
gegen Naturgesetzliches?
Aber noch ein Anderes ist zu betonen: die
umwertende Kraft des Volksgeistes.
Selbst wenn auf einigen Gebieten Nahrung
und Anregung von außen bezogen werden
müssen, so werden sie doch im Haushalte des
Volksgeistes auf dessen spezifische Weise ver-
arbeitet und national umgewertet. Ein deut-
scher Maler, der sich an französischen Vor-
bildern schulte, wird eben schließlich doch wie-
der deutsche Malerei hervorbringen, und zwar
um so deutschere, je mehr er in sich erstarkt
und je wertvoller er selbst wird. Der leibliche
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