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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Deutsche Schönheit: eine Betrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0026

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Deutsche Schönheit.

PROF. MAX LIEBERMANN—BERLIN.

GEMÄLDE »MEIN HAUS IN WANNSEE c

Beispiele hinweisen, aber aus ihren charakte-
ristischen Merkmalen sind leicht die Schlüsse
auf das Ganze zu ziehen. —

Noch vollständig von den Schönheitsbegriffen
des ausklingenden Altertums erfüllt, arbeiteten
die Künstler der romanischen Zeit, wenn sie
auch den deutschen Sinn für das Phantastische
und Fratzenhafte nicht verleugnen. Auf dem
alten Markt in Magdeburg steht ein Kaiser-
standbild aus dem Ende des 13. Jahrhunderts,
dessen einfach majestätische Form erkennen
läßt, was damals für ein Idealbild voll Kraft
und jugendlicher Männlichkeit gelten mochte.
Das Reiterstandbild Kaiser Ottos des Großen
gehört zu den schönsten Denkmälern des frühen
Mittelalters in Deutschland.

Es heute nachzuahmen wäre stillos und un-
künstlerisch, denn nicht nur das Land auch die
Zeit verlangt sichtbaren Ausdruck in ihren
Kunstwerken und gerade das Bestreben junger
Künstler, sich vom Nachmachen der Vergangen-
heit loszuringen, fordert Unterstützung, wenn
man auch warnen muß, mit einem Rucke von

den früheren Idealen abzurücken. Freude an
ihnen zu empfinden und sie richtig in die Zeit
zu stellen ist unsere Aufgabe der fremden, wie
der deutschen Schönheit gegenüber.

Zumeist finden wir das germanische Ideal
dargestellt in Gestalten, die gläubiger Erbauung
dienten — wie den Bildern von Madonnen,
Heiligen, oder allegorischen Figuren, oder den
idealistischen Bildnissen von weltlichen Großen,
wobei die Züge, auf die es dem Künstler an-
kam, hervorgehoben, gewissermaßen unterstri-
chen sind. Im gotischen Mittelalter führte die
unausgesetzte Beschäftigung der Gedanken mit
dem Tod und der Sünde kräftigere Naturen zu
einem grimmen Humor allem Schönen und Le-
bendigen gegenüber, wie es in den Skulpturen
der gotischen Münster vorzüglich zum Ausdruck
kommt. Ich sehe zwei Figuren vor mir, die
Welt und ihr Verführer, Portalfiguren einer
gotischen Kathedrale, realistisch, prächtig aus-
geführt. Wer dürfte heute die Welt und ihren
Verführer ebenso darstellen? Sein Werk wäre
nicht mehr künstlerisch, nicht mehr grotesk, es
 
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