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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Heckel, Karl: Die Kunst und das Unterbewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0095

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DIE KUNST UND DAS UNTERBEWUSSTSEIN.

us der Psychoanalyse eröff-
'neten sich uns Wege, die un-
sere Einsichten über das
Unterbewußtsein wesentlich
förderten. Noch hat man
diese Einsichten nur ver-
_einzelt zu einer grundsätz-
lichen Aufklärung über das Wesen des Kunst-
schaffens verwertet. Es konnte sich zunächst
Qur um Versuche in dieser Richtung han-
deln. — Besonders wertvolle Ergebnisse für
das Verständnis des Unterbewußten haben die
Erforschungen und Deutungen der Träume er-
geben. Mit Recht sagt Freud: „Der Traum
«t die Via regia zum Unbewußtsein ". Er unter-
schied beim Traum den offenkundigen (mani-
esten) Inhalt vom verborgenen (latenten) In-
halt und kam zum Schluß, daß der latente In-
nalt des Traumes immer eine Wunschtendenz
umfasse. — Ich will zur Verständlichung ein
ihm erzähltes einfaches Beispiel mitteilen,
«as humoristisch anmutet. Freud hatte einer
atientin seine Lehre vorgetragen, daß jeder
Iraum eine Wunscherfüllung einschließe. Sie
widersprach seiner Behauptung hartnäckig und
am andern Tag erzählte sie ihm, sie habe ihre
Schwiegermutter, die ihr bitter verhaßt war,
j111 Traum zu einer gemeinsamen Reise einge-
aden. Triumphierend fügte sie hinzu, dieser
J-raUm enthalte doch gewiß keine Wunscher-
tu|lung. Damit schien die Behauptung Freuds
allerdings widerlegt. Aber er konnte ihr sehr
"chtig antworten, eben aus diesem unbewußten
erlangen der Widerlegung sei ihr Traum ent-
standen, so daß er ganz im Gegenteil seine
Lehre der Wunscherfüllung bestätige.

Selten läßt sich ein Traum so einfach und
^tzig deuten. In der Regel verlangt die Deu-
Ung des verborgenen Inhalts als Auflösung
s.e»ner Dis

Aufklä,
danke

Dissonanzen eine viel kompliziertere
lärung, um zum eigentlichen Traumge-
"anken zu gelangen. Wenn uns auch bereits
?chopenhauer belehrte, daß auch im Traum
>eder in vollster Gemäßheit seines Charakters
^ andelt, so gelingt es den Wahrheitsbeweis zu
uhren doch erst, seitdem der Traum ein Gegen-
wand biologischer Forschung geworden ist.
B'U einen Traumgedanken nur in den wirren
^udern sucht, die offenkundig im Gedächtnis
ten, gelangt niemals zu dem verborgenen,
^steckten und verkleideten Inhalt. Er deutelt

und wörtert nur am Stoff. Nicht anders in der
Kunst, wenn wir nur das Erscheinungsbild der
Formen wahrnehmen und nicht die Idee er-
ahnen, von der sie erzeugt wurden.

Ein Einfall ist kein Zufall! Jeder konkrete
Vorgang ist für den Dichter, jedes Motiv ist
für den Bildner gleichsam nur ein Stein, der
auf den Grund seines Bewußtseins fällt und
dort eine Einbruchsstelle bewirkt, durch die
ein vorangegangenes seelisches Erlebnis aus
einem unerforschbaren Untergrund in das ge-
staltende Bewußtsein aufsteigt. Genau wie im
Traum. Selten wird sich ein Künstler über
dieses unterbewußte seelische Erlebnis bewußt
Rechenschaft nach Art der Psychoanalyse geben.
Das liegt nicht in seiner Aufgabe. Noch seltener
wird er es anderen gegenüber tun, es sei denn,
daß dieses seelische Erlebnis ihm vor der Aus-
führung seines Werkes bereits als künstlerisches
Erlebnis bewußt geworden sei und nunmehr
als bewußte Idee ihm bei seinem Schaffen vor-
schwebt. — Ich führe ein lehrreiches Beispiel
hierfür aus dem Leben Böcklins nach seinem
eigenen Zeugnis an.

Wer im „Künstlergütli" in Zürich bei Böck-
lins Gemälde „Die Gartenlaube" verweilt, hört
meistens verschiedene Betrachter von „Phile-
mon und Baucis" oder sonstigen literarischen
Assoziationen sprechen. Aber wir wissen von
Böcklin, daß er nicht entfernt von hier ausging.
Irgendwann einmal auf einem Spaziergang nach
Hirslanden in heißer, drückender Frühlingsluft
sah er in einem Garten aus dem dampfenden
rotbraunen Boden die Tulpen und Hyazinthen
hervorragen. Er schaute zu, wie vor seinen
Augen die Natur sich entwickelte, „die Pflanzen
gleichsam wuchsen". Dieser seelische Eindruck
wurde ihm zum künstlerischen Erlebnis, obwohl
er sich sagte, dies malerisch vorzuführen, sei
keine leichte Aufgabe. Es mochte seinem Ge-
dächtnis wieder entschwinden. Da begab es sich
später, daß er vor einem Hause einen Genesen-
den sah, der sich sonnte und in tiefen Zügen
die Frühlingsluft einsog. Das Gefühl der Ruhe,
des wohligen Behagens und Genießens ließ als
Kontrast jenen früher empfangenen Eindruck
aus dem Unterbewußtsein wieder aufsteigen.
Dieser Anblick der Ruhe führte ihn dann wei-
terhin zu der Vorstellung der beiden alten
Leutchen. Und als er in einem Nachbargarten,
nahe bei seinem Atelier, eine Gartenlaube hell

Oktober ms. ,

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