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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Stephani, Erich: Die Bildende Kunst nach dem Kriege, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0079

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DIE BILDENDE KUNST NACH DEM KRIEGE.

VON BILDHAUER ERICH STEPHANI.

inem unvermei dlichenübel
kann man auf die ver-
schiedenste Weise begeg-
nen, z. B. so, daß man
sich einredet, es könne
diese oder jene günstigen
.Begleit - Erscheinungen
(^hervorrufen. Und so
lange solche Tröstungen nicht den erlaubten
Grad einer Selbstsuggestion überschreiten, wie
sie selbst der Kräftigste im Leiden nicht ent-
behren kann, sind sie menschlich und liebens-
würdig. Der ferner Stehende freilich wird gleich-
wohl einen Zeitpunkt wahrnehmen, in dem jene
geistige Arzenei dem kranken Bruder anfängt,
schädlich zu werden und dem Fortgang seiner
Genesung, dem Übertritt in wieder normalere
Lebensbedingungen hinderlich zu sein. — In die-
sem Falle wird sich mancher Denkende denen
gegenüberbefinden, diedas nicht enden wollende
europäische Blutbad als den Kaufpreis einer
geistigen Erneuerung betrachtet wissen wollen,
die ohne dieses Ereignis nie oder wenigstens
nicht in absehbarer Zeit hätte eintreten können.
Je nach dem Weltbild, zu dem man fähig ist,
wiegt man sich in der Hoffnung auf neuerworbe-
ne, gestaltende Kräfte, die die Physiognomie der
Gesellschaft durchgreifend verändern, ihr mit
einem Schlage einen ganz neuen und unerwar-
teten Ausdruck verleihen sollen. Man spricht von
Cln.er.zu erwartenden Erneuerung des ethischen,
religiösen, des sozialen Zustandes, von einer Be-
reicherungderempirischenWissenschaftendurch
denKrieg. Man erhofft von ihm eine Befruchtung
der künstlerischen Produktion als dem sichtbaren
Niederschlag des „großen Erlebnisses".

ao sehr wir alle wünschen müssen, daß diese
Hoffnungen sich zum Segen der Allgemeinheit
und einer glücklicheren Zukunft der Menschheit
erfüllen mögen, so sind doch die Anzeichen,
die speziell für eine Förderung der bildenden
Jurist durch den Krieg sprechen, bis jetzt
äußerst gering. Was man bis heute zu sehen
bekommen hat, sind summa summarum mehr
oder weniger impressionistisch gehaltene, bei-
läufige Notierungen aus dem kriegerischen All-
er

tad 1 k ~»""gcu aus uera Knegeusuicu ^

doch-11' häufig nicht übel gelungen, die ab
w r m °er Mehrzahl in etwas schematischer
Q^lSe ^'e altbekannte Form an den neuen
kürTi?St.and herantragen und so weder das
s Ansehe Schaffen bereichern, noch auch

da, wo die kriegerische Note entschieden her-
vortritt, ein weiteres Publikum befriedigen, das
mit Recht aus erster Quelle schöpfen will und
die authentische Photographie bevorzugt. Nir-
gends, soweit uns bekannt geworden, begegnen
wir einem Bildwerk, in dem eine speziell krie-
gerische Emotion zu neuen Sichtbarkeiten und
fruchtbaren bildnerischen Ansätzen geführt
hätte. Auch die Karikatur hat nichts hervor-
gebracht, was man nicht schon in Friedenszeiten
gesehen oder zu sehen erwartet hätte.

Wenn der Krieg wirklich, wie man von allen
Seiten zu beteuern nicht müde wird, eine so
innige Herzensangelegenheit der beteiligten Völ-
ker ist, so muß es befremden, daß er auf ein
Geistesgebiet, das im Leben Aller von jeher
einen so großen Raum eingenommen hat, so
wenig evokatorisch zu wirken vermag, daß der
gegebene Indikator der großen und nachhaltigen
Bewegung der Kollektivseele mit dem Einsetzen
des behaupteten ethischen Massenerlebnisses
plötzlich nichts mehr registrieren will, daß uns
im Gegensatz zu allen früheren Kriegsepochen
kein Phidias, kein Michelangelo kein Velasquez
oder Rubens, kein Meissonnier, Wereschtscha-
gin, oder Menzel — und wenn auch nur dem
Grade nach — entstehen will. Es muß befrem-
den, daß die bildende Kunst dem kriegerischen
Ereignis im Grunde so vollkommen wesens-
fremd und uninteressiert gegenübersteht, daß
das „große Erlebnis" auch nicht eine bildne-
rische Seele zu kriegerischem Pathos größten
Stiles entzündet hat. —

Die mangelnde Bildhaftigkeit des modernen
Schlachtfeldes und das durch die Mechanisie-
rung der Kriegstechnik bedingte Unsichtbar-
werden der individuellen körperlichen Leistung
mögen viel zu dieser Teilnahmlosigkeit des
künstlerisch beobachtenden Auges beitragen.
Allein, es bliebe doch noch immer Außerordent-
liches genug, um den Jäger auf Kriegsmotive
auf seine Kosten kommen zu lassen, brennende
Dörfer, Kavallerieangriffe, Feldherrnzusammen-
künfte , Überschwemmungen, Verwüstungen,
Luft-, Licht- und Seekämpfe. An allen diesen
Dingen ist die bildende Kunst bis jetzt relativ
teilnahmlos vorübergegangen. Ein neues Be-
tätigungsgjebiet, oder wohl gar ein gewaltsamer
Anstoß zur Rückkehr in naturalistischere
Bahnen als sie sie vor dem Kriege wan-
delte, ist ihr, entgegen den Hoffnungen vieler,
 
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