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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Hirsching, August: Los vom Schema!
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0337

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LOS VOM SCHEMA!

VON AUGUST HIRSCHING—STUTTGART.

Ebensosehr wie den in Tradition und Kon-
vention, im Naturalismus und dem ihm so
nahe verwandten Impressionismus groß gewor-
denen Künstlern, gilt diese Mahnung heute auch
den Jüngern des sogenannten Expressionismus,
ja diesen sogar in ganz besonderem Maße.

Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß
der Fehler hier am System liege, im Gegenteil;
denn mit den Ausdrucksmitteln dieser neuen,
mit Expressionismus bezeichneten Kunstrich-
tung lassen sich wundervolle Wirkungen er-
zielen, vorausgesetzt, daß diese Ausdrucks-
mittel von zielsicher geführten Künstlerhänden
gemeistert werden.

Der von vielen selbst unserer begabtesten
Künstler immer wieder von neuem gemachte
Fehler liegt vielmehr darin, daß sie sich über
das mit künstlerischen Mitteln Erreichbare oder
überhaupt nur Erstrebenswerte nicht völlig im
klaren sind. Daß sie ferner auch da, wo an das
technische Können keine unmöglichen, über-
spannten Forderungen gestellt werden, wo die
Ausdrucksmittel sich dem künstlerisch Mög-
lichen anpassen, in der Wahl der Ausdrucks-
formen sehr einseitig sind und in eine durch
nichts gerechtfertigte Starrheit der künstleri-
schen Form verfallen. Daß so viele ernst zu
nehmende Künstler in völliger Verkennung der
letzten Ziele allen künstlerischen Schaffens über
dem Wie? das Wozu? ganz vergessen und fast
alle Energie in technischen Problemen ver-
puffen, in formalen Experimenten, die zudem
oft gänzlich unfruchtbar sind, ist eine betrü-
bende Tatsache. •

Hat dann irgend einer glücklich ein vermeint-
lich neues System, ein neues Schema der Aus-
drucksweise entdeckt, dann kommen gleich so
und so viele Dutzende von Mitläufern und
Nachäffern, manchmal auch Schüler genannt,
die dann in unheimlicher Geschäftigkeit über das
neu erfundene System herfallen und bestenfalls
mit einer eigenen, persönlichen Note, im großen
und ganzen aber doch in sklavischer Abhängig-
keit sich weiter in diese Schematisierung der
Kunst verrennen. So geht dann dieser circulus
vitiosus dauernd weiter, beginnt immer wieder

von neuem und zieht sich wie ein roter Faden
durch unser ganzes modernes Kunstleben und
Kunstschaffen hindurch. Das gibt dann diese
unselige, geist- und gehaltlose Rezeptmalerei,
die man nicht treffender kennzeichnen kann als
mit den (von dem Betreffenden allerdings bitter
ernst gemeinten) Worten eines schwäbischen
Malprofcssors: „Jedes Bätzle hat seinPlätzle".

Das gibt dann diese „Kunst", die an unseren
hohen Schulen so emsig gelehrt und leider auch
„gelernt" wird und die doch weiter gar nichts
ist als ein armseliges Schema, das man mit
einigem Talent und mit etwas Fleiß handwerk-
lich erlernen kann. Die Frucht davon ist die
große Öde, die unendliche innere Leere, die uns
dann aus den Massenaufgeboten von Bildern ent-
gegenstarrt, die man in München, Berlin, Düssel-
dorf oder sonstwo gelegentlich zusammenträgt.

Besitzt man im Besuch dieser Ausstellungen
einige Übung, so hat man dann auf Schritt und
Tritt immer wieder den Eindruck: aha, —
Schema X, — Rezept Y, — Schule Z — und
so weiter. Daß diese unerfreulichen Eindrücke
sich in den Sälen für expressionistische Kunst
unwillkürlich steigern, ist eine bittere Wahr-
nehmung. Während nämlich bei den natura-
listisch einzuschätzenden Kunstwerken die Na-
tur selbst immer eine gewisse Normallinie für
die Bewertung bildet und ein (wenn auch nicht
immer richtiges) Urteil des Laien dadurch viel
eher herbeizuführen ist, hört beim Expressio-
nismus für den Laien sofort jeder Maßstab für
Gut und Böse auf und ist der expressionistische
Künstler somit dem Laienbeschauer gegenüber
von vorneherein im Nachteil.

Aber auch der eingeweihte Beschauer kann
sich beim Durchwandern dieser Säle des Ein-
drucks häufig nicht erwehren, daß hier viel zu
viel Gewolltes und viel zu wenig Gekonntes
beieinander ist; daß hinter diesen „ornamen-
talisierten" und „stilisierten" Figuren, die oft
wie geometrische Schülerkonstruktionen an-
muten, manchmal ein gar bedenklicher Mangel
an künstlerischem Gefühl, an malerischem Emp-
finden sich verbirgt. „Man merkt die Absicht und
man wird verstimmt", das ist der Vorwurf, den
 
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