DOI Artikel:
Heimann, Moritz: Dekorative Radierungen von Emil Orlik
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0065
PROF. EMIL ORXIK-BERLIN. RADIERUNG >AUF ELEPHANT1NE« 191G.
DEKORATIVE RADIERUNGEN VON EMIL ORLIK.
Radierungen, sagt man, gehören in die Mappe,
doch nicht an die Wand. Wie sehr das
ein Vorurteil ist, mag unter anderm ein
Blick auf eines der großen Blätter von Orlik
•ehren, auf den Michel Angelo zum Beispiel
mit dem gewaltigen Sturz der Kontur von dem
erhabenen Haupte bergab. Aber freilich muß
der Künstler wissen, was er unternimmt, wenn
er mit Schwarz auf Weiß Bilderscheinungen
hervorbringen will, die über die Breite eines
Zimmers hin wirken und dem Auge unmittel-
bar als Einheit faßbar sein sollen. Der Begriff
des „Dekorativen" ist bei uns in Deutschland
zunächst als Widerspruch gegen einen aus Rand
und Band geratenen Naturalismus festgestellt
worden; er war also Tendenz, und als solche
mißverstand er sich im ersten Eifer selbst; er
mußte sich erst klären und mußte erkennen,
daß seine Prinzipien — der Schmückung, des
Gleichgewichts, der Einheit — nicht das Gesetz
einer neuen Kunst ausmachten, sondern jeder,
die den Namen verdient.
; Orlik hat diesen Prozeß in fast exemplari-
scher Weise mit- und durchgelebt. Er gehört
nicht zu den Künstlern, die, nach einem grimm-
lächelnden Wort des alten Schadow, „sich det
Malen anjewöhnt haben"; ihm sind Stift und
Pinsel so natürlich wie seine Finger, und künst-
lerisch zu produzieren, ist ihm so mitgeboren
wie das Atmen. Und also lernt er schaffend,
schafft lernend, und lernt und schafft auch noch,
wenn er irrt. Er war, wie denn sein Name mit
den ersten Plakaten, mit der Erneuerung des
Holzschnitts, der Lithographie, der Radierung
verknüpft ist, auch unter den Ersten, die eine
dekorative Kunst versuchten. Die Japaner und
die Chinesen, vorher aber schon, zugleich Gift
und Gegengift, der große Brueghel hatten ihn
die dekorative Fläche gelehrt. Seine echte
Produktivität indessen half ihm, auszuscheiden,
" Oktobor 1918. 6»
51
DEKORATIVE RADIERUNGEN VON EMIL ORLIK.
Radierungen, sagt man, gehören in die Mappe,
doch nicht an die Wand. Wie sehr das
ein Vorurteil ist, mag unter anderm ein
Blick auf eines der großen Blätter von Orlik
•ehren, auf den Michel Angelo zum Beispiel
mit dem gewaltigen Sturz der Kontur von dem
erhabenen Haupte bergab. Aber freilich muß
der Künstler wissen, was er unternimmt, wenn
er mit Schwarz auf Weiß Bilderscheinungen
hervorbringen will, die über die Breite eines
Zimmers hin wirken und dem Auge unmittel-
bar als Einheit faßbar sein sollen. Der Begriff
des „Dekorativen" ist bei uns in Deutschland
zunächst als Widerspruch gegen einen aus Rand
und Band geratenen Naturalismus festgestellt
worden; er war also Tendenz, und als solche
mißverstand er sich im ersten Eifer selbst; er
mußte sich erst klären und mußte erkennen,
daß seine Prinzipien — der Schmückung, des
Gleichgewichts, der Einheit — nicht das Gesetz
einer neuen Kunst ausmachten, sondern jeder,
die den Namen verdient.
; Orlik hat diesen Prozeß in fast exemplari-
scher Weise mit- und durchgelebt. Er gehört
nicht zu den Künstlern, die, nach einem grimm-
lächelnden Wort des alten Schadow, „sich det
Malen anjewöhnt haben"; ihm sind Stift und
Pinsel so natürlich wie seine Finger, und künst-
lerisch zu produzieren, ist ihm so mitgeboren
wie das Atmen. Und also lernt er schaffend,
schafft lernend, und lernt und schafft auch noch,
wenn er irrt. Er war, wie denn sein Name mit
den ersten Plakaten, mit der Erneuerung des
Holzschnitts, der Lithographie, der Radierung
verknüpft ist, auch unter den Ersten, die eine
dekorative Kunst versuchten. Die Japaner und
die Chinesen, vorher aber schon, zugleich Gift
und Gegengift, der große Brueghel hatten ihn
die dekorative Fläche gelehrt. Seine echte
Produktivität indessen half ihm, auszuscheiden,
" Oktobor 1918. 6»
51