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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Heckel, Karl: Die Kunst und das Unterbewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0096

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Die Kunst und das Unterbewußtsein.

LUCIAN BERNHARD BERLIN.

durchs Laub blitzen sah, da gewann er plötz-
lich jene Bildwirkung, die es ermöglichte, jenes
zuerst genannte frühere Erlebnis der sich ent-
wickelnden Natur künstlerisch wiederzugeben.
Alles Genrehafte des Gemäldes gehört dem
manifesten Künstlertraum an, der latente Inhalt
aber, als die wesentliche künstlerische Idee,
liegt in dem Gefühl „die Pflanzen gleichsam
wachsen zu sehen". Nur wer sich in diesen
Eindruck einfühlt, hat den wesentlichen Gehalt
des Bildes erfaßt.

In dem früher erzählten Traumbeispiel der
gemeinsamen Reise kommt der eigentliche
Traumgedanken, nämlich die Absicht der Wider-
legung , gar nicht vor. Dieser Fall tritt öfter
ein und Freud sagt mit Recht: „Was in den
Traumgedanken offenbar der wesentliche Inhalt
ist, braucht im Traum gar nicht vertreten zu
sein". Auch in der Kunst kann sich der mani-
feste Inhalt um einen anderen Mittelpunkt
gruppieren, statt sich hierfür den latenten Inhalt
zu wählen. Ich führe wiederum ein Beispiel
aus Böcklins Kunstschaffen an.

Heimweh hatte seine Seele ergriffen. Aber
nicht in irgend einer in die Ferne ausschauen-

»EMPFANGSZIMHER IM HAUSE HENKELL«

den Person stellte er dieses Gefühl dar, son-
dern es veranlaßte ihn ganz im Gegenteil das
bekannte Gemälde „Heimkehr" auszuführen.
Der ergraute Krieger, der sinnend am Wasser
sitzt, ist Böcklin selbst. Der Maler hatte sich
die Aufgabe gestellt, das Gefühl zu erzeugen,
daß das Wasser, in dem sich die Wolken spie-
geln, ruhig ist und tief. Luft und Ferne mußte
in das Bild hineingebracht werden, damit Sehn-
sucht daraus spreche. Nicht die Freude über
die Heimkehr bildet trotz des treffend gewähl-
ten Titels den verborgenen wesentlichen Inhalt
des Bildes, sondern Otto Lasius schreibt mit
Recht von Böcklins Gemälde : „Man fühlt beim
Betrachten des Bildes in der Tat, daß der
Wanderer Heimweh gehabt hat nach seinem
Vaterhaus".

Wollten wir dieses Bild wie einen Traum
deuten, so ergäbe es ein vortreffliches Schul-
beispiel der Wunscherfüllung. Heimkehr als
Traumantwort auf die Sehnsucht des Heimwehs.

Immer wieder ergab sich in der Ästhetik
Streit darüber, wie weit das künstlerische
Schaffen bewußt oder unbewußt erfolge. Setzt
es nicht die volle Anspannung aller geistigen

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