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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Heckel, Karl: Die Kunst und das Unterbewusstsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0098

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Die Kunst und das Unterbewußtsein.

archit. lucian bernhard—berlin.

»damenzimmer im hause henkell«

eindringen, um seinen latenten Inhalt zu heben,
oder wenn die Einfühlung in ein Kunstwerk uns
die Idee enthüllt, aus der es erzeugt wurde.
Der offenkundige Traum gibt uns in chaotischem
Wirrwarr gewissermaßen Bilderrätsel auf, aus
denen wir durch Analyse den geheimen Sinn,
nämlich den verborgenen Traumgedanken, zu
erfahren streben. Das Kunstwerk dagegen will
kein Bilderrätsel sein, auch kein Formen- oder
Farbenrätsel, überhaupt kein dem Scharfsinn
sich darbietendes Rätsel, sondern ein dem Ge-
fühl sich offenbarendes Geheimnis.

Daß trotzdem Träume und künstlerisches
Schaffen sich in der Tiefe des Unterbewußtseins
begegnen, darauf weist auch die Beobachtung
hin, daß tags unterdrückte künstlerische Betäti-
gung, sich nachts einen Ausweg im Gestalten
von Träumen sucht, wie uns eine Tagebuch-
notiz Gottfried Kellers bestätigt: „Wenn ich
am Tage nichts arbeite, so schafft die Phantasie
im Schlafe auf eigene Faust, aber das neckische,
liebe Gespenst nimmt seine Schöpfungen mit
sich hinweg und verwischt sorgfältig alle Spuren
seines spukhaften Wirkens".

Wer im Expressionismus ein endgültiges Ziel
sucht, wird bei unbefangener Prüfung zur Ver-
urteilung seiner Einseitigkeit gelangen. Wer
dagegen in ihm einen Versuch sieht, das Unterbe-

wußte des künstlerischen Schaffens eindringlich
zur Erscheinung zu bringen, darf hoffen, daß es
auf diesem Wege gelingt, die Ausdrucksfähig-
keit für die Unmittelbarkeit des Erlebnisses
zu verfeinern. Er steigert unser Gefühl für die
Vibrationen der Seele und erweitert das Gebiet
der Gefühlsassoziationen. Die Vollendung aber
werden wir immer nur dort erhoffen, wo sich
das dyonisische unserer unbewußten Natur in
der apollinischen Gestaltung des künstlerischen
Schaffens offenbart. Unterbewußtsein und Be-
wußtsein vereinend. So war es bei den Griechen.
Inhalt und Form wechseln mit den Zeiten. Aber
die Urgesetze der Kunst bestehen. Nur in der
manifesten Erscheinung, die an die Gesetzmäßig-
keit des Wirklichen in der Natur gebunden ist,
kann sich symbolisch offenbaren, was aus der
nächtlichen Tiefe des Unterbewußtseins ans
Licht des Tages drängt........karl heckel.

£

Jeder Mensch hat mehrmals in seinem Leben die
Gewalt der Zauberei gefühlt, die den Künstler all-
gegenwärtig faßt, dadurch ihm die Welt rings umher
belebt wird. Wer ist nicht einmal beim Eintritt in
einen heiligen Wald von Schauer überfallen worden?
Wen hat die umfangende Nacht nicht mit einem
unheimlichen Grausen geschüttelt? Wem hat nicht
in Gegenwart seines Mädchens die ganze Welt gol-
den geschienen?...............GOETHE.

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