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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Ammann, Gustav: Wie sehen wir den Garten?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0189

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Wie sehen wir den Garten f

den wir zu schaffen haben, vor allem der Ab-
schluß nach oben, die Decke. Wohl ist dieser
Abschluß etwa angedeutet durch Bäume, die
ihre Kronen über den Gartenraum ausbreiten,
oder bei Laubengängen, die sich über einen
breiten Weg wölben. Wir können uns aber
eine absolute Geschlossenheit nach oben in
einem größeren Gartenraume gar nicht denken.
Er verlangt direkt eine Öffnung gegen das Him-
melsgewölbe. Ist der Garten größer, so werden
die seitlichen Begrenzungen einzelner Garten-
räume notgedrungen niedriger und meistens
reduziert auf eine Höhe, die den Blick über die
Begrenzung gestattet. Der Gartenraum ist heute
weniger gebunden. Zwischen seiner gewalt-
samen und vollkommensten Beherrschung im
Barock liegt eine Entwicklung, die durch ihre
absolute Freiheit noch so nachdrücklich auf uns
einwirkt, daß wir jene heute als zu starr emp-
finden müssen, ob wir wollen oder nicht. So
ist unser Verhalten gegenüber der Natur nicht
mehr das des absoluten Herrschers, sondern
mehr das eines gütigen Lenkers, der durch
weises Ordnen den uns wohlgefälligen Aus-
druck findet. Aus der üppigen Fülle der Natur
nehmen wir das lebendige Wesen der Pflanze
und pflanzen es um unsere Bauwerke, damit
ein geordnetes Ganzes entstehe, ihr die Frei-
heit vollauf belassend und doch ihre Grenzen
bestimmend, die sie nicht überschreiten soll,
ohne uns in unserer gewollten Absicht zu be-
einträchtigen. So ist die Pflanze unserem Wil-
len Untertan und behält doch ihr Recht, sich
ausleben zu können. „Die Natur ist ein Kosmos
und die Schönheit ist das geoffenbarte Gesetz,"
sagt Wölfflin in seinem Buch über kunstge-
schichtliche Grundbegriffe.

Zum Beispiel: Unser Garten im sonnigen
Süden mit der üppigen Vegetation des geseg-
neten Fleckens Erde, mit Kamelien und Mag-
nolien, mit gelben Mimosen- und duftenden
Osmanthusblüten und wie sie alle heißen, wer
kann sich etwas Schöneres denken ! Und doch,
im alten Garten war dies alles und noch mehr
vorhanden und es war trotzdem ein kleinliches
Durcheinander, ein Überwuchern und Beengen
der krummen Wege und nierenförmigen Plätze,
ein Unterdrücken von zarten Pflanzen durch
verwilderte Bäume und Lianen, kurz, man
konnte sich all der schönen Sachen nicht recht

freuen. Da mußten eben Axt und Säge ihr
Werk verrichten. Vor dem Hotel wurde außer
den herrlichen Magnolien, einem Ginkgo und
einer riesigen Buche alles entfernt und zum Teil
verpflanzt, was den geplanten Hof beeinträch-
tigt hätte. Mit Heckenbuchs und Granitplatten
sind dann die Grenzen des Platzes neu gebildet
worden und es entstand so der Gartenraum,
der die Gäste aufzunehmen hat. Der neue Hof
war auf der Bergseite bereits von einer zitronen-
bewachsenen Mauer begrenzt. Das Blumen-
band davor wird durch farbig getönte Bänke
und Vasen, breitblättrige Musa und rotbraune
Coleus gegliedert. Im Mittelpunkt des Hofes
plätschert der alte Springbrunnen, den gleich-
falls ein Band von Plattenfliesen umzieht. Hin-
ten im Schatten einer immergrünen Magnolie
bildet eine vasengekrönte Mauernische mit einer
blaugetönten Bank den erwünschten Abschluß.

Über der Mauer an der Seeseite zieht sich
an weißrispigen Kastanien, an Azaleen und
Kamelien vorbei ein sonniger Promenadenweg,
den schlanke Zypressen auf der andern Seite
rhythmisch begleiten. Er führt zu einem Garten-
pavillon. Üppiges Rebenlaub berankt die Ba-
lustraden. Von hier schweift der Blick zwi-
schen rotblühenden Kamelienbüschen hindurch
hinüber zum sonnigen Monte Bre, der dem
blauen See entsteigt.

So entstand unter Berücksichtigung der be-
stehenden Vegetation aus dem Chaos die Ord-
nung. Durch richtiges Verteilen von Pflanzen,
Mauern, Wegen und Plätzen ist der alte Garten
in seinem Ausdruck gesteigert und der Über-
gang vom Haus zum Hof und Park erst ge-
schaffen worden. —

Der Garten beim Schlößli in Zollikon, der
für einen ausgesprochenen Pflanzenliebhaber
gebaut wurde, zeigt trotz der Mannigfaltigkeit
der Vegetation das Bestreben, Gartenräume
zu schaffen. In einzelnen seiner Teile ist der
Begriff jedoch bis zur Auflösung gelockert. Mit
Erde aufgeschichtetes Mauerwerk, Rasenbösch-
ungen geben Andeutungen des Raumes, feste
Mauern und Gartenhäuser das Gerippe, um das
sich üppiges Pflanzenleben rankt.

Um mit Wölfflin zu schließen: „Wo immer
ein neues Formensystem kommt, ist es selbst-
verständlich, daß die Einzelheit zunächst eine
etwas vordringliche Sprache spricht." g. ammann.

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