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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Utitz, Emil: Über dekorative Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0328

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Über dekorative Kunst.

Komposition, architektonischer Aufbau, Be-
tonung des Wesenhaften unter Ausschaltung
alles nur Mit-Bestimmenden usw. Das sind
Züge, die zur Monumentalität aufzugipfeln ver-
mögen, die aber auch leicht im Dekorativen
sich ausleben oder gar im Kunstgewerblich-
Plakathaften. Die straffe Komposition wandelt
sich in die konventionelle Formel, der architek-
tonische Aufbau in das dekorative Gertist, und
die Betonung des Wesenhaften in jene Flächig-
keit oder Umrißzeichnung, welche die schmtik-
kende Kunst braucht.

Ich will damitgewiß nicht den Expressionismus
herabdrücken zu einer Kunstweise zweiten
Ranges. Denn seine genialen Vertreter erobern
sicherlich den Weg ins Monumentale und jenen
zum reinen Bild, das in sich webt und atmet.
Aber die Menge der auf diesen Bahnen Stre-
benden und Ringenden wird keineswegs be-
leidigt, wenn man sie dem Begriff einer erwei-
terten dekorativen Kunst einreiht. Jasiegewinnt
in dem Maße, als sie sich selbst bewußt in diesen
Zusammenhang einstellt. Denn jene „Dekora-
tionen" braucht unser soziales und kulturelles
Leben. An seiner Formung und Prägung arbeitet
jeder, der diese Aufgaben tibernimmt.

Was stört und verwirrt, ist die unklare meta-
physisch-transzendentale Tunke, die so modern
ist, daß sie über alles ausgeschüttet wird. Aber
damit wird jede Schmackhaftigkeit verdorben,
und es bleiben einigefade Abstraktionen. Gewiß
ist fast alles unser Tun mehr oder minder Zeichen
unserer Lebens- und Weltanschauung: die Art,
wie wir gehen und speisen, die Weise unserer
Geselligkeit, die Zeiteinteilung unseres Daseins,

unsere Kleidung usw. Aber das geschieht doch
nicht alles im Hinblick darauf, unsere letzten
Überzeugungen anschaulich auszuprägen. Nur
mittelbar und nicht immer eindeutig können
sie aus den verschiedenen Gegebenheiten ent-
ziffert werden. Der Hintergrund, von dem sich
die Fülle der Erscheinungen abhebt, darf nicht
in diese selbst hineingerissen werden, ohne alles
perspektivisch zu verzerren. Die prallen hol-
ländischen Stilleben waren zweifellos ein glän-
zendes Zeichen einer bestimmten Lebensform,
aber darum doch nicht „metaphysische" Kunst,
sondern Kunst, abgestellt auf ganz bestimmte
Forderungen und diesen in glänzender Technik
Genüge leistend. Und diese Technik ist nichts
Äußerliches, das zu irgendeiner Innerlichkeit als
Handwerkszeug sich hinzugesellt, sondern sie
ist der künstlerische Charakter und Ernst. Wir
verkennen die Werke, wenn wir Metaphysik
in sie hineindeuten, und der Künstler, der sich
mit jenen Sachverhalten herumschlägt, ver-
schleudert sein Handwerk. Denn entweder
belastet er sich mit Aufgaben, denen er nicht
gewachsen ist, oder er überbietet sich in Tief sinn
und vergewaltigt sich und seine Arbeit. Religiöse
Kunst kann man so wenig fordern wie patrio-
tische. Sind diese Grundstimmungen da, so
gewinnen sie auch ihre Erfüllung. Alles andere
führt nur zu Krampf und Äußerlichkeit. Der
tief Gläubige ist gewiß willkommen. Aber eine
allgemeine metaphysische Kunst in unseren
Tagen ist ein Unding! Denn ihr entspricht kein
Bedürfnis. Wir verlangen gar nicht unsere Reli-
giosität überall drastisch in Bildern ausgedrückt,
was doch nur Oberfläche wäre. Und schließlich:
 
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