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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Volbehr, Theodor: Die Farbe grün, Goethe und Kandinsky
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0397

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Die Farbe Grün, Goethe und Kandinsky.

das Grün nicht liebte. Kann aber wirklich
dieser Grund auch für den Türken von heute,
für den Türken in einer Großstadt gelten, der
niemals eine Wüste, der niemals Oasen zu
Gesicht bekommt? — Man weiß auch, daß die
Deutschen des Mittelalters Grün liebten. Man
sagt: weil das Grün
der Natur für sie die
Befreiung aus der
winterlichen Enge
des Hauses bedeu-
tete, weil Frühling
und Sommer dem
Menschen des Nor-
dens wie Grüße aus
den schönenReichen
des Südens erschie-
nen. Grün sei ihnen
gleichbedeutend mit
Auferstehung aus je-
der irdischen Trüb-
sal erschienen. —
Seltsam allerdings,
daß man in der glei-
chen Zeit auch den
Teufel grün dar-
stellte. Herrad von
Landsberg, die Dich-
ter-Malerin des 12.
Jahrh., streicht ihn
ebenso laubgrün an
wie Lucas Cranach
im 16. Jahrhundert
es tut. Aber abge-
sehen davon, glaubt
man wirklich, daß
in Goethe, dem klu-
gen Beobachter der
menschlichen Psy-
che, noch solche Ein-
drücke der Vorzeit
nachwirkten? Oder
gar in Kandinsky,
der doch sonst wahr-
lich eher die Neig-
ung zeigt, jede Ver-
gangenheit als Men-
tor der Gegenwart
schroff abzulehnen ?

Nein, solche Vorzeitsbeziehungen können für
das Urteil der Beiden über die Wirkung des
Grün wirklich nicht herangezogen werden. So
bleibt nur die Möglichkeit, daß sich dies Urteil
aus Beobachtungen an der eigenen Psyche er-
klärt. In der Tat: Goethe betont immer und
immer wieder, daß alle seine Untersuchungen
über das Farbenproblem auf Experimental-

PROFESSOR JOSEF HOFFMANN. »POKAL IN SILBER«

Psychologie beruhten und Kandinsky sagt das
Gleiche. Kandinsky behauptet sogar, die Tat-
sache, daß Grün wirke beruhigend, „längst
nicht nur den Ärzten (speziell Augenärzten),
sondern allgemein bekannt" sei. — Dann aber
muß jedes Auge eines gesunden Menschen

u. dementsprechend
jede Seele im Grün
eine besänftigende
Kraft fühlen, dann
sprechen der Ex-
pressionist von heu-
te und der Klassizist
von der Wende des
18. und 19. Jahr-
hunderts nur das
aus, was alle Men-
schen — wenn auch
unbewußt — emp-
finden und in ver-
gangenen Jahrhun-
derten empfunden
haben. — Daraus
aber ergibt sich als
notwendige Konse-
quenz, daß auch die
Wirkungen der an-
deren Farben bei
allen gesunden Men-
schen übereinstim-
men müssen. Denn
es ist nicht einzu-
sehen , warum die
Farbe Grün eine be-
sondere Stellung un-
ter den Farben des
Spektrums einneh-
men sollte. — So
irren also diejenigen,
die behaupten, daß
das Verhältnis zur
Farbe eine höchst
persönliche Ange-
legenheit des Ein-
zelnen sei ? — Ja
und nein. — Sie ir-
ren, sofern sie be-
haupten , daß die
Farben auf der Ta-
statur der Seele der verschiedenen Menschen
verschiedene Töne anschlagen. Sie irren aber
nicht, wenn sie nur behaupten wollen, daß
die angeschlagenen Töne dem einen Lust, dem
anderen Unlust verursachen.

Man sieht das in den obigen Ausführungen
Goethes und Kandinskys aufs klarste bestä-
tigt. Denn obgleich Beide erklären, daß Grün
 
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