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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 43.1918-1919

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Volbehr, Theodor: Die Farbe grün, Goethe und Kandinsky
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https://doi.org/10.11588/diglit.9119#0400

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Die Farbe Grün, Goethe und Kandinsky,

professor josef hoffmann—wien. ausführung: wiener werkstätte. »adressenkassette in silberc

tiefste Ruhe ausströme, fühlt man deutlich,
daß diese Ruhe dem 63 jährigen Goethe ein
höchst erfreulicher Zustand ist, dem leiden-
schaftlichen Kandinsky aber ein Gegenstand
des Spottes. Am drastischsten macht sich dieser
Spott in der Parallele bemerkbar, die Kan-
dinsky zu der Farbe Grün zieht, in der „dicken,
sehr gesunden, unbeweglichen Kuh, die nur
zum Wiederkauen fähig, mit blöden, stumpfen
Augen die Welt betrachtet".

Wenn Goethe auch nur referierend bemerkt,
daß man die grüne Farbe meistens für Tapeten
derjenigen Zimmer wähle, in denen man sich
ständig aufhält, so fühlt man doch, daß Goethe
selbst nichts gegen solch ein grünes Gemach
ruhigen Behagens einzuwenden haben würde.
Sicherlich aber würde Kandinsky aus einem
Zimmer, das ihm dauernd zum Wohnraum die-
nen sollte, eine grüne Tapete so schnell wie
möglich entfernen lassen.

Aus dem Allen geht hervor, daß die Äuße-
rungen Goethes und Kandinskys über die Farbe
Grün ein Doppeltes lehren. Erstens einmal,
daß es für die Menschen in ihren Beziehungen
zur Farbe allgemein-gültige Gesetze gibt, denen
sie alle ohne Ausnahme unterworfen sind, zwei-
tens aber, daß jeder Einzelne trotz dieses
Menschheitsgesetzes sein Quentchen Freiheit
solcher Gebundenheit gegenüber hat. Wir spü-
ren etwas von dem Recht der Persönlichkeit

und auch von dem Einfluß der Zeit und des
Ortes auf den Menschen.

Jeder Menschenkörper empfindet heiß als
heiß, kalt als kalt. Dem einzelnen Körper aber
kann ein bestimmter Grad von Wärme oder
Kälte noch wohltuend sein, der anderen Men-
schen unerträglich ist.

Wenn man von diesem Standpunkt aus das
Verhalten der Künstler der umgebenden Welt
gegenüber, zumal das Schaffen der Maler be-
trachtet, wenn man sucht, sich in ihren Werken
das Zusammenhaltende und das Sondernde in
Bezug auf die Arbeiten anderer Künstler, an-
derer Zeiten klar zu machen, dann wird man
unzweifelhaft höchst interessante Entdeckungen
machen und in der alten und in der neuesten
Kunst das Gesetzmäßige alles Künstlerischen
gleichermaßen finden. So bringt uns das Grün
Goethes und das Grün Kandinskys nicht nur
Klarheit über Goethes und Kandinskys persön-
liche und überpersönliche Empfindungen, son-
dern auch über das tiefste Problem alles künst-
lerischen Schaffens....... theodor volbehr.

£

Im allgemeinen wissen wir recht gut, daß die grüne
Farbe durch eine Mischung des Gelben und Blauen
entsteht; allein bis einer sagen kann, er begreife das
Grün des Kegenbogens oder das Grün des Laubes,
oder das Grün des Meerwassers, dieses erfordert ein
so allseitiges Durchschreiten des Farbenreiches und
eine daraus entspringende solche Höhe von Einsicht,
zu welcher bis jetjt kaum jemand gelangt ist. goethe.
 
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