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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Döring, Wolfgang H.: Papierpuppen von Erna Muth
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0138

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PAPIERPUPPEN

VON ERNA MUTH.

Es gehören in dieser stark bewegten Zeit
schon allerlei Persönlichkeitswerte dazu,
wenn ein Künstler, vor allem ein werktätiger,
im Rahmen einer großen Ausstellung vorzugs-
weise gewertet werden will. Naturgemäß ist
es dann ganz besonders schwierig, wenn eine
solche Ausstellung werktätige Werbearbeit ver-
richten soll, wie es bei der Ausstellung des
„Wirtschaftsbundes deutscher Kunsthandwer-
ker" auf der Leipziger Frühjahrsmesse der Fall
war. Denn in diesem Falle und in allen ähn-
lichen ist es selbstverständliche Norm, daß nur
das Wesentlichste aller besten Erzeugnisse dar-
getan werden kann. Daß damit eine gewisse
puritanische Ängstlichkeit bei der Auswahl der
Ausstellungsstücke verbunden sein muß, ist
ebenso verständlich wie entschuldbar.

Schon um dieser immer wiederkehrenden
Erkenntnis willen soll ganz besonders anerkannt
werden, daß die diesjährige Frühjahrsmesse-
Ausstellung des „Wirtschaftsbundes" uns die
Bekanntschaft mit einer bisher völlig unbe-
kannten Künstlerin vermittelt hat, deren Schaf-
fen nicht unbedingt in den Rahmen dieses Un-
ternehmens gehört; bedingt aber doch insofern,
als sie neben dem rein künstlerischen Erlebnis
gewisse Realitätsmöglichkeiten bietet.

Da standen in großen Vitrinen ganz eigen-
artige, farbige Gebilde —■ Papierpüppchen von
Erna Muth-Klotzsche (Dresden), von denen
einige in diesem Hefte wiedergegeben sind;
Puppen aus billigstem Material, Seidenpapier
und Draht, und doch so herrisch fesselnd, daß
sie zum Ereignis wurden.

Zitternd und fieberhaft, schon Form im Au-
genblick der künstlerisch intuitiven Befruch-
tung geworden, leben diese Figürchen auf.

Eine Kunst sensibler Fingerspitzen, die neuer-
lich den Beweis erbringt, daß das verblüffend

*

Einfache stets den Sieg über das Komplizierte
haben wird, weil es — nichts voraussetzt.

Lotte Pritzel schwelgt im kapriziösesten
Ästhetentum, Rieh. Teschner in hinreißender
Phantastik und Erna Muth bringt im Strome der
Zeit, förmlich in Sieghaftigkeit über lähmende
Materialknappheit, Rhythmen über Seiden-,
Krepp-Papier und Eisendraht. Gerade in dieser
Gegenüberstellung wird es ganz klar, wie banal
die Materialien Erna Muths sind, umso wert-
voller aber auch die Sicherheit des erfreulichen
Gewinnes, daß eben dieses Material in den
Händen der Künstlerin so gestaltungsfähig ist.

Die Biegsamkeit des inneren Aufbaues ver-
langt nach reichen Gesten; so sind auch die
stark bewegten Gestalten die wohlgelungensten.
Die Tänzerinnen und der torkelnde Pierrot sind
überzeugende Beispiele, die wirksam genug
sind, um Beweise hinfällig zu machen. Der
Übergang aus einer Stellung in die andere, der
die begriffliche Fassung der „Bewegung" er-
gründet, ist in den Muthschen Arbeiten restlos
soweit erfaßt, daß das Puppenhafte fast ver-
drängt wird. Letzten Endes gelangt man dahin,
in diesen Schöpfungen nur noch die über-
raschende plastische Initiative zu bewundern
und darüber den — praktischen — Sinn des
Puppendaseins zu vergessen.

Doch auch dazu sind ein paar Worte zu
sagen, schon um der Rechtfertigung willen, daß
diese Dinge auf der Messe und bei den Kunst-
handwerkern erschienen. Praktische Verwer-
tungsabsichten liegen in der Möglichkeit, die
farbig sehr gut abgestimmten Figürchen, natür-
lich immer in Originalarbeiten, als Tischkarten-
ständer zum Tafelschmuck zu nehmen. . . Das
mag den Verkauf beleben, für mich ist das
aber gleichbedeutend mit Verballhornung eines
wertvollen Erlebnisses. . . wolfgang h. Döring.

*

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