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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Heckel, Karl: Impressionismus und Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0200

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IMPRESSIONISMUS UND EXPRESSIONISMUS.

VON KARL HECKKL.

Wie entsteht ein Kunstwerk? Antwort:
Es entsteht aus der Wirkung der Außen-
welt auf unser Ich und der Reaktion unserer
Innenwelt auf diese sinnlichen Eindrücke. Wir
können aber ebensogut sagen: es entsteht aus
unserem schöpferischen Innenleben und der
Reaktion unseres Sinnenlebens auf diese inner-
liche Tätigkeit. Denn Innen- und Sinnenleben
ergänzen sich gleichwertig.

Jedes organische Kunstwerk ist zugleich ex-
pressionistisch und impressionistisch. Nur in-
sofern als der eine Schaffende mehr den Ton
auf das legt, was er seinem Innenleben, der
andere aber auf das, was er seinen Sinnesein-
drücken verdankt, ist eine Gegenüberstellung
von Expressionismus und Impressionismus statt-
haft. Gemeinsam ist beiden Künstlern der
Wert, den sie der intuitiven Anschauung bei-
messen im Gegensatz zu der mehr intellek-
tuellen, von bloßer Geschicklichkeit beglei-
teten, Denktätigkeit. Beide sind bestrebt die
gedanklichen Assoziationen nach Möglichkeit
auszuschalten und nur der Intuition zu folgen.

Kunst entsteht sowohl aus einem er-innern
dessen, was von außen kommt, als einem er-
äußern dessen, was von innen kommt. Kontra-
diktorische Gegensätze bestehen zwischen dem
Impressionismus und dem Expressionismus
nicht, sondern sie sind Correlata. Allem Streit
zwischen den beiden Kunstrichtungen kommt
somit nur die Bedeutung eines Parteihaders zu.
Letzten Endes besteht zwischen ihnen eine
„Sternenfreundschaft", das heißt eine über
allen Gegensätzen sich ergänzende Gemein-
samkeit, sobald wir einen genügend hohen
Standpunkt einnehmen.

Mag der schaffende Künstler vor sich selbst
immerhin den relativen Gegensatz überbetonen,
um sich in der konsequenten Befolgung seines
Weges zu bestärken: den Kunstgenießenden
in diesen Hader hineinzuziehen — wie es leider
in unserer Zeit geschieht — scheint mir durch-
aus verwerflich. Niemals wäre der Kunst da-

mit gedient, daß eine der Parteien einen end-
gültigen Sieg erränge; denn es würde für den
Sieger zugleich eine Verblutung bedeuten.

Ausschließlicher Impressionismus wäre ge-
haltlos, ausschließender Expressionismus wäre
gestaltlos. Nur daß trotz den entgegengesetzten
Ausgangspunkten beim Impressionisten auch
das Innenleben, beim Expressionisten auch das
Sinnenleben ergänzend in die Darstellung ge-
langt, schaffen beide, allen fanatischen Theorien
zum Trotz, echte Kunstwerke. Gelänge es
ihnen wirklich, ihren Gegensatz vollständig aus-
zuschalten, so würden sie damit dem eigenen
Werk sein künstlerisches Leben töten.

Nicht nach einem Kompromiß zwischen zwei
Parteien strebt meine Betrachtung, sondern sie
betont gegen beide die organische Einheit
des Kunstwerks. Betont sie vor allem für den
Kunstgenießenden. Nicht darauf kommt es für
diesen an, sich zu entscheiden, ob er zu einem
Werk sagen soll: du bist gut oder schlecht, je
nachdem du expressionistisch oder impressio-
nistisch bist, denn es kommt überhaupt sehr
wenig darauf an, was er zu ihm sagt, sondern
was das Kunstwerk zu ihm sagt. Sein letztes
und bestes kann es aber immer nur sagen, wenn
es synthetisch Innen- und Sinnenleben umfaßt
und seine organische Einheit dem Gefühlsver-
ständnis offenbart.

Wenn daher heute immerwieder sichdieFrage
vordrängt: bedeutet die Überwindung des Im-
pressionismus durch den Expressionismus einen
Aufstieg oder einen Niedergang der Kunst, so
wollen wir in aller Gelassenheit die Antwort
geben: einen Auf stieg bedeutet es, wenn solche
Gegensätzlichkeiten zu ihrem relativen Unwert
zurücksinken und die organische Einheit zur
ungetrübten Schätzung gelangt. Denn nicht
ein künstlerisches Gesetz heischt, ob das Innen-
oder das Sinnenleben die Tonart bestimmt, son-
dern darüber entscheidet einzig die Eigenart
der künstlerischen Persönlichkeit.

Alles andere ist Parteihader und Modesache.
 
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