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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

DOI Artikel:
Ritter, Heinrich: Die Kunst und ihr Publikum, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0369

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»KOPF DER

NEBENSTEH.

PUPPE«

DIE KUNST UND IHR PUBLIKUM.

"N Jeue Wendungen in der Kunst bringen den
J.\| Künstler immer mit dem Publikum in Zwie-
spalt. Das erleben wir heute mit besonderer
Schärfe. Es war genau so in der Vergangenheit.
Die Nazarener wurden affektiert und manieriert
gescholten, die ersten Realisten galten als Zer-
störer ewiger Ideale, die Naturalisten als Ge-
schmack verderber, die Impressionisten als Auf-
löser aller Grundlagen der Kunst, die Expressio-
nisten als unklare Schwärmer oder als Bluffer
oder als klinische Erscheinungen.

Es geht nicht an, diesen Widerstand des
Publikums, selbst des geistig vorbereiteten und
durchaus gutwilligen und kunstbegierigen, gegen
das künstlerische Wollen einer neuen Zeit mit
Hohn und Überhebung abzutun. Es sollte wirk-
lich mehr Liebe und gegenseitige Achtung in
das Verhältnis zwischen Künstler und Kunst-
publikum kommen. Es ist Tatsache, daß viele
ernste Menschen es als einen Schmerz empfin-
den, vor neuer Kunst ratlos und ohne Zugang
stehen zu müssen. Sie sind von Herzen bereit,
die Kunst, jede Kunst in jeder neuen Wendung

zum Gefährten ihres Lebens zu machen. Sie
brennen darauf, Freunde der Künstler auch bei
deren rüstigstem Fortschritt zu bleiben. Und
vieles von der Härte in den Urteilen gegen
neueste Kunst kommt fraglos aus Bitternis der
Enttäuschung, aus dem peinlichen Gefühl, in
die Rolle des Banausen gedrängt zu sein, wo
man lieben und verstehen möchte. Von da aus
erwacht ein gewisser Trotz und aus ihm die
Ungerechtigkeit, das große Müssen abzustreiten,
das die Künstler auf ihrer dunklen, abenteuer-
lichen Bahn vorantreibt. Das Publikum emp-
findet in der präsentierenden Bewegung, mit
der ihm das Kunstwerk in Ausstellungen und
Kunstzeitschriften vorgeführt wird, mit Recht
eine gewisse Herausforderung. Es empfindet
diese Herausforderung erst recht in dem oft
stolzen, hie und da anmaßenden, immer aber
selbstbewußten und überzeugten Ton, in dem
Künstler und Schriftsteller ihm von neuer Kunst
sprechen. Es beugt sich dieser Herausforderung
sehr gerne, wo es irgendwelche Werte im Werk
erkennt. Aber es reagiert bitter und ablehnend,
 
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