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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Frank, Rudolf: Junge Bühnenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0267

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II x H Z II O I O I I II II I / I ■■ II II S I M

ENTWURF: PAUL GERD GUDERIAN.

»FIGURINEN ZU JUDITH«

JUNGE BÜHNENKUNST.

Sicher und wegbewußt schreitet heute die
Malerei, scharf konturiert von Theorie und
Gesinnung, im Willen unerschütterlich. Un-
sicher tastend, folgt ihr die Kunst der Bühnen-
malerei und hört in schwankender Gesinnung
auf die undeutlichen Einflüsterungen von „la-
teinischen" Regisseuren — lateinischen? nein!
schon mehr Sanskrittregisseuren, dieweil heute
bereits Schauspieler „lateinisch" werden —
hört mit halbem Ohr, während ihr Auge, allzu
geblendet von Berliner Reflexen, die Totalität
eines dichterischen Werks, einer dichterischen
Persönlichkeit schon nicht mehr überschaut.
Zahlreich finden sich hier Mitläufer und Zwangs-
arbeiter des Expressionismus, deren heftigem
Schaffen doch das Wichtigste fehlt: das starke,
nach Ausdruck rufende unbezwingliche Erleb-
nis. Ratlos stehen die „künstlerischen Beiräte"
im Sturm der neuen Seelenrufe vor ihrem Thea-
ter. Nicht bei ihnen, bei den Jungen, den Un-
genannten, die das Theater noch sehnsüchtig
gläubig umkreisen, müssen wir suchen, wenn
wir die Umrisse der Bühnenmalerei kommender
Jahre erkennen wollen. Es sind nicht viele,
aber sie sind. Einer von ihnen, eine zarte junge
Gestalt, betritt, eine Mappe unter dem Arm,
mein Zimmer. Er ist dreiundzwanzfg Jahre und
heißt Paul Gerd Guderian............

Ich betrachte die rasch ausgebreiteten Ent-
würfe. Die Wahl der Stücke scheint ein unbe-
wußtes Programm. Georg Büchners geschleu-
dertes, gestammeltes und doch bis zum letzten
vollendetes Fragment „Wozzeck", in der
Zeichnung noch etwas zaghaft angegriffen, wie
überwältigt von dem unabsehbaren überhän-
genden Volum der Büchnerschen Seele, dann
Hebbels glühendstes, inkommensurables Früh-
weik „Judith" mit roten, violetten und gelben
Tinten in unwirklich einfache Räume geteilt
und klar gegliedert, die animalische Masken-
haftigkeit des Orients metaphysisch durch-
tränkt; Schwarzweiß-Zeichnungen zur „Wup-
per" von Else Lasker-Schüler folgen. Zwei
grundverschiedene Temperamente scheinen auf
einmal irgendwie verwandt: Naturalismus, über-
groß zur Vision gesteigert, das Wort eines heu-
tigen Autors belegend, der da sagt: Impressio-
nismus in höchster Potenz gibt Expressionis-
mus, un coin de nature vue ä travers un tem-
perament, wobei der Ton mit Vehemenz auf
das letzte Wort zu legen wäre. Dem entspre-
chend muß der Bühnenmaler die Weltsegmente
durch die Synthese zweier Temperamente
sehen, wobei das zweite das immer wechselnde
der Dichtung ist. So bringen Clavigo-Ent-
würfe Guderians weiche pastellhafte Töne, wie
 
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