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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Michel, Wilhelm: Erste Ausstellung der „Darmstädter Sezession“
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0145

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ERSTE AUSSTELLUNG DER „DARMSTÄDTER SEZESSION"

15. SEPTEMBER—MITTE OKTOBER 1919.

Die „Darmstädter Sezession" entstand im
Frühjahr 1919. Die vorhandenen kunst-
pflegerischen Verbände der Stadt hatten keinen
klaren modernen kunstpolitischen Entschluß
gefaßt. Man glaubte mit einer bloß vermitteln-
den Ausstellungstätigkeit den kunststädtischen
Ruf der Stadt wieder beleben zu können. Man
war nicht geneigt, der jungen Kunst diejenige
Bevorzugung vor unschöpferischem Epigonen-
tum zu geben, die sie als alleinige Erzeugerin
zeitgeborener und vorantreibender Werte mit
höchstem Recht beansprucht. Sie kam zwar auch
in der Ausstellung auf der Mathildenhöhe zu
Wort; doch nur in einer Auswahl, die von einer
immerhin beschränkten Einladungsliste abhängig
war. Das junge Schaffen Darmstadts empfand
gegenüber dieser Entschlußlosigkeit der offi-
ziellen Kunstpflege das dringende Bedürfnis,
sich zusammenzuschließen und sein Gesicht zu
zeigen. Indem es sich als Sezession organi-
sierte, leistete es auch der Stadt selbst einen
wesentlichen Dienst. Sollte die Marke „Darm-
stadt" nicht ein Warenzeichen für ausgespro-
chen epigonische Produktion bleiben, dann war
zu zeigen, daß auch im Umkreis dieser behag-
lichen und doch dem Geiste nicht unzugäng-
lichen Stadt am Werden neuer Form gear-
beitet wird. Darmstadts kunststädtischer Ruf
geht auf die ersten Taten der von Ernst Ludwig
ins Leben gerufenen „Künstlerkolonie" zurück.
Es waren revolutionäre Taten. Aber man ver-
stand nicht, auf der Höhe der Anfänge zu blei-
ben. Die Sezession knüpft an die unterbrochene
revolutionäre Überlieferung wieder an. Ihr Auf-
treten wirkt wesentlich auch als ein Schritt zur
Rettung des künstlerischen Rufes der Stadt.

Die junge Organisation erweiterte sich gleich
im Anfang durch Aufnahme einer Reihe von
Schriftstellern. Der neue Geist ist der Mittel-
punkt, von dem alle Regungen in den einzelnen
Künsten ausgehen. Er ist nicht in Bilderrahmen
gespannt, er lebt im Buch, er braust durch die
Parlamente, er greift rüstig und mit ungeheurem
Vertrauen die Riesenaufgabe an, Erde und
Menschen umzubilden. Der ethische Trieb steht
stark im Vordergrund. Und während der Im-
pressionismus die Tendenz hatte, den Künstler
im Atelier zu isolieren, gibt die junge Kunst
dem Künstler die ganze Welt des Geistes und
Lebens zum Werkplatz. Der Expressionismus
hat die Kunst wieder in die Zusammenhänge
eingereiht. So verbinden sich hier mit den
Malern die Männer des Wortes, um zunächst
am Orte selbst den Geist rüstig auszuwirken,
das geistige Klima zu schaffen, in dem junges
Schaffen atmen kann. Kasimir Edschmid ragt in
diesem Kreise als bedeutendste Gestalt hervor.

Außerdem zog die Darmstädter Sezession,
als einziger Kristallisationspunkt in künstlerisch
unorganisiertem Gebiet, aus der Nähe alles
junge Schaffen heran, das erreichbar war. Neben
sechzehn Darmstädtern und Hessen zählt sie
neun auswärtige Mitglieder. Es befinden sich
darunter starke und längst gewertete Expo-
nenten moderner Form, wie Beckmann, Meid-
ner, Babberger; vertreten sind die beiden zu-
letzt Genannten noch nicht, behindert durch
Umstände der Zeit oder erschöpft durch kurz
vorhergegangene große Kollektivausstellungen.
Vielleicht ist dies nur vom Standpunkt der all-
gemeinen Qualität aus ein Nachteil. Die künst-
lerische Geschlossenheit des Eindrucks ist so

*XHI. Dezember 1919. 1
 
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