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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Däubler, Theodor: Zur Entstehung der Modernen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0164

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Zur Entstehung der modernen Kunst.

die Errungenschaften des Kubismus. Die mei-
sten Kubisten wußten gewiß niemals, daß sie
Geheimnisse gestalteten. Ich zitiere aus dem
Buch eines holländischen Esoterikers (er nennt
sich Libra): „Johannes sah die „heilige Stadt"
in der Form eines Kubus. Warum gerade die
Form eines Kubus? Weil sich ein Kubus aus
dem Kreuz durch Auffalten entwickelt. Das
Kreuz stellt den ungeläuterten physischen Kör-
per dar, der sich also durch Auffalten zum
Kubus, dem geläuterten Körper entwickelt.
So lange der Mensch noch tief im Stoff ist,
bleibt sein Symbol das Kreuz; und durch Re-
generation — also nicht durch Generation —
entwickelt sich daraus der Kubus, — der höhere
Mensch —■ das Ebenbild Gottes (die reine Re-
flexion des Kosmos.)". Picasso konnte so etwas
nicht wissen, er hatte keine okulten Schriften
gelesen: sein Empfinden sagte ihm jedoch, als
er den Satz ins Abgründige machen mußte: so
schaffe ich Seele! Eine innerste Kunst! Eigent-
lich handelt es sich beim Kubismus um Radi-
kalisierung der Formforderung von Cezanne.
Des Meisters Bewunderung vor Poussin durfte
nicht zur Akademie zurückführen. Die Jungen:
Picasso, Braque, Gleizes, Leger, Metzinger
stürzten sich mit dem Erbe Cezannes in große
unerhörte Gefahren. (Derain hatte es gewußt,

auf den Bahnen Cezannes, ruhiger zu wandeln,
und dabei doch ganz spontan junge Weike zu
schaffen.) Die unabweisbare Notwendigkeit
einer Rückkehr, aus dem auflösenden Impressio-
nismus, zum Bild, zur geschlossenen Form,
sollte aber doch, trotz der Mäßigkeit von Derain
oder Marquet, Manguin, auf revolutionäre Art
und Weise erbracht werden. Das Resultat ist
der Kubismus.

Der größte Wurf zu einem neuen Stil war
aber bereits im vorigen Jahrhundert, dem immer
noch nicht genug geschätzten Georges Seurat
gelungen. Nicht nurder Vater des Neoimpressio-
nismus, sondern der Anbahner moderner Zucht,
jüngsten Stilgefühls ist er gewesen. Wie später
der Futurismus die Eile, so hat Seurat das
träge Tempo, die Denkfaulheit des Bürgertums,
dazu das Trutzige an unsern Gasometern, auch
das Stupide einer grotesk verquälten Bauweise
stilistisch zu dauerndem Ausdruck, in einer
starren Formel, gebracht. Auch über ihn ist
bald die Welle des Tages hinweggegangen. So-
gar seine Nachfolger Signac, Croß (sie waren es
bloß durch ihre Maltechnik) scheinen keine
eigentliche Schule hinterlassen zu können.

Odilon Redon war ein Visionär: folglich Stil-
bringer. Leider aber auch nur auf ganz per-
sönliche Art. Das Gespenstische bei ihm und
 
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