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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Frank, Willy: Alte Kunst als Schlüssel zur neuen: zu den Bildern aus dem Staedelschen Institut
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0175

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CLAUDE GELEE, GEN. LE LOKRAIN.

»CHRISTUS ERSCHEINT DER MAGDALENA«

ALTE KUNST ALS SCHLÜSSEL ZUR NEUEN.

(ZU DEN BILDERN AUS DEM STAEDELSCHEN INSTITUT.)

Begegnung zwischen alter und neuer Kunst
gibt ein erhabenes und tragisches Gefühl.
Erhaben, weil über Zeiten und Länder hinweg
das ewige Bemühen der Menschheit um Form
hervortritt. Tragisch, weil bei aller sichtbaren
Gleichheit der Antriebe und des Ziels die hoff-
nungslose zeitliche Gebundenheit fühlbar wird,
die uns zwingt, in immer anderen Zungen das
Ewige zu verkünden.

Form ist ewig. Ewig ist die besondere Ein-
stellung des Künstlers zur inneren und äußeren
Welt, sein Trieb zur Erlösung der Zeitalter im
Glück der Form. Aber dieses Mühen verläuft
in der Zeit. Das Ewige im Auge haltend, wer-
den wir in berauschter Flucht der Momente
dahingerissen. Wir umkreisen das Wunschziel
der Form in ungeheuren planetarischen Bahnen.
Unausgesetzt wechselt der Abstand, der uns
von dem einen Ziel trennt, die Art und Dichte
der Stoffe, die diesen Abstand erfüllen. Unter
den Händen werden uns liebgewordene Mate-
rien des Ausdrucks weggerissen. Kaum sind
die Zungen geschmeidigt in einer Sprache, müs-
sen sie eine neue, rauh klingende erlernen.
Aus Meistern werden wir Lehrlinge, aus Lehr-
lingen Nachahmer, aus Nachahmern Barbaren,
aus Barbaren Meister. Vor allem: unsere gei-
stigen Voraussetzungen der Form gegenüber

wechseln unaufhörlich. Von Epoche zu Epoche
glühen wir in anderem Weltgefühl. Probleme
erhitzen uns, die von Vorfahren nicht gesehen
wurden und die den Nachkommen gleichgültig
werden, als hätten sie nie bestanden. Wir
sehen in früheren Zeitaltern erreicht, was wir
kaum noch als Aufnehmende erfassen, ge-
schweige denn als Schaffende verwirklichen
können. Sehr fühlbar wird aus jedem Vergleich
alter und neuer Kunst, daß es niemals einen
dauernden Formbesitz gab noch geben kann,
einen Formbesitz, der als festes Ding zu ver-
erben wäre. Neu und wild steht jede junge
Generation vor unbegreiflicher Pracht und Fülle
der Welt. Sie besitzt an Form nur das, was
sie aus ihrem Blut erzeugt. Nichts sonst. Den
Gott, den wir nicht erlebt und geboren haben,
besitzen wir nicht, trotz des Katechismus. Form,
die wir nicht aus dem Geheimnis unseres eige-
nen Lebens hervortrieben, hat keine Beziehung
auf uns, trotz Ästhetik und Kunstgeschichte.
Die Befangenheit des Künstlers in seinen zeit-
lichen und kulturellen Voraussetzungen ist das
Unzerbrechliche. Sie bestimmt das Heroische
und Tragische seiner Situation, die ihn be-
grenzt und bewaffnet.

Eine Einschränkung: Form, ward gesagt, die
wir nicht selbst aus dem Geheimnis unseres

*XlU. Diumbtr 1919. 4
 
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