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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Frank, Willy: Neue Medaillen und Figuren von Ludwig Gies
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0243

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NEUE MEDAILLEN UND FIGUREN VON LUDWIG GIES.

Man blättert in den Illustrationen, die hier
das Werk eines liebenswürdigen Künst-
lers umreißen, wie in einem Bilderbuch. Es
geht heiter zu, wie auf einer geblümten Wiese,
geschmackvoll wie in einem gebildeten Salon,
poetisch wie bei Jean Paul — wenn das nicht
schon zuviel gesagt ist — aber sicher wie bei
Robert Walser, dem Dichter der raffinierten
Naivität, hie und da wie bei Max Jungnickel —
und das ist die Grenze, die man nicht gerade
gern gestreift sieht. Assoziationen stellen sich
in Fülle ein. Man sieht Linien, die zum Kunst-
gewerbe eines Pfeiffer hinüberführen, andere,
die in primitive Kunst weisen, viele, die Ver-
bindungen zu alter Volkskunst, zu antikem
Stein- und Münzenschnitt herstellen. Die Linie
dieser Kunst geht manchmal in der eklekti-
zistischen Reinheit und preziösen Stille, in der
sie sich Ende des 18., Anfangs des 19. Jahrhun-
derts zu bewegen pflegte. Formen und Gesin-
nungen aus dem Empire, selbst aus dem Bieder-
maier klingen an. Alles ist sehr gehalten, ge-
schmackvoll, grenzenbewußt, stilfest bis zur
Manier, aber immer durchaus lyrisch, dichterisch
mit der Gefühlsbetonung des Zarten, Schmach-
tenden, Schäferlich-Idyllischen, mit aufgesetzten
Lichtern eines harmlosen, gebundenen Humors
aus der Sphäre einer heiteren, bürgerlichen
Romantik: echte Stimmung des Biedermaier.

Kunst innerlich kleinen Ausmaßes, darüber
gilt es sich klar zu sein. Kunst, die durch Ver-
drängung aller großen Schwingung und durch
geschmackvolle Ausschaltung des Chaotischen
sich selbst zum Kunstgewerbe gedämpft hat.
Innerhalb dieser Grenze aber sicher und ge-
konnt. Eine gewisse Unmittelbarkeit und Frische
des Auftretens haftet ihr an; Eigenschaften, die
man gewiß nicht als Ausfluß naturburschen-
hafter Naivität zu nehmen hat, sondern eben
als bewußt gepflegte stilistische Eigenart. In
pikanter Schlichtheit steckt hier erstaunlich viel
zünftiges Können, gerissene Beherrschung der
allgemeinen Gesetze der Gestaltung wie der
besonderen Gesetze der Formate und Objekte,
die hier bearbeitet werden.

Dieser Künstler versteht zu „geben", was er
bringt. Er hat eine sprudelnde Fülle von Ein-
fällen. Der Bildgedanke ist bei ihm fabelhaft
„fertig" und rund, sehr literarisch und plauder-
haft. Erzählerischer, fast illustrativer Instinkt
liegt vor, dem sprachlichen Ausdruck sehr nahe
stehend. Einfälle wie die Gruppe auf dem ge-
triebenen Messinggefäß lesen sich ab wie sen-
timentalische Sinngedichte des Rokoko. Epi-
grammatische, witzige Zuspitzung, lächerlich
faßbar und einschmeichelnd. Dem geistigen
Gehalt nach eine unproblematische Welt, im
Ausdruck keineswegs frei von jener Selbstnach-

XXIII. Januar 1920. t
 
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