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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Georgi, Walter: Kunst- und Kulturströmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0251

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Kunst- und Kulturströmungen.

kommenen Ausbildung
der Staatsmaschinerie,
der ins Höchste gestei-
gerten und organisier-
ten wirtschaftlichen
Produktion, in den bei-
spiellosen Erfolgender
Wissenschaft und Tech-
nik. Wohin man sah,
stieß man auf wohl-
durchdachte vortreff-
liche Organisation, in-
nerhalb welcher der
Einzelne seine Kräfte
entfalten konnte. Aber
es war eine Zeit, in der
das im religiösen Welt-
gefühl verankerte Gei-
stige hinter dem Ge-
genständlichen und Ver-
standesmäßigen zu-
rücktrat, in der der
Mannigfaltigkeit des
Lebens der Naturalis-
mus und Materialismus
als Symbole beschert
wurden. — In der
Kunst fand diese Zeit,
die von jenen bis in die
letzten Folgen entwik-
kelten kulturellen Idea-
len der Renaissance
getragen wird, ihren
letzten sichtbaren Nie-
derschlag im Impres-
sionismus. Zwar hatte

er bereits
Form der
liermalerei

Farbe und
alten Ate-
gesprengt,

zwar klang die Welt
für ihn unter den Strah-
len des Lichts in einem jubelnden Pantheismus
zusammen, aber als das Wesentliche blieb ihm,
wie der gesamten Kulturepoche, das Gegen-
ständliche, an das er sich noch mit allen Fasern
seines Herzens klammerte. Die Sehnsucht, das
Stoffliche zu überwinden, war noch nicht stark
genug, um die schöpferischen Kräfte der Seele
zu erwecken. So blieb man in der Vorhalle
pantheistischer Verzückung stehen, ohne in
den Tempel einzutreten.

Es bedurfte erst noch eines neuen Anstoßes,
um die im Impressionismus noch nicht zur Ent-
faltung gekommenen Fähigkeiten, die sich aber
bereits unter der Oberfläche regten, folgerichtig
weiter zu entwickeln. Eine neue Macht kam
ihm hierbei zu Hilfe, eine Macht, die aus dem

LUDWIG GIES. »FIGURCHEN IN SILBER«

Schöße der Völker ge-
boren und von den
Massen wie das Heilig-
tum der Zeit verehrt
wurde, der Sozialis-
mus. Es ist dies nicht
jener Sozialismus, der
Anfang und Ende al-
lein in der Erfüllung
materieller Forderun-
gen sieht, sondern die
geistige Idee von
der Gemeinschaft
allerLebenden, von
der inneren Ver-
knüpfung aller Ge-
schöpfe in einer
höherenWesensge-
meinschaft, in der
bewußten sinnge-
mäßen Einordnung
des Einzelnen in
die Schöpfung, in
das All. Maeterlinck
war einer der ersten,
der sich mit seinen
traumschweren Dich-
tungen in jene Gesetze
hineinfühlte, die über
den Dualismus hinweg
den Menschen mit dem
Göttlichen vereinen.
Münch, Cezanne, van
Gogh, Hodler, alle er-
kennen mit einem Male
den Zwiespalt zwischen
Geist und Materie und
suchen jeder auf seine
Weise die Brücke, die
sie nach der Ausein-
andersetzung mit dem
zur Einheit mit dem
Wie der politische So-
die Staatsformen nach

eigenen Ich wieder
Kosmos führen soll,
zialismus bestrebt ist,
den Lebensnotwendigkeiten der Massen um-
zubilden, so brachen jene Künstler mit der
überlieferten Herrschaft des Gegenständlichen
in der Kunst, indem sie es in der Umgestaltung
überwanden. Der neue Geist schafft sich
wie einst die altchristliche Kunst die notwen-
digen Lebens- und Kunstformen. Der
Überdruß an der Überschätzung des Gegen-
ständlichen wird zum Hebel. Ohne es völlig zu
beseitigen, erhebt man es in seiner Beschränkung
als Mittel des geistigen Ausdrucks aus der er-
starrten Materie heraus in die Atmosphäre
eines fühlbaren Lebensrhythmus. Jene neuen

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