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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Corwegh, Robert: Hermann Lismann
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0285

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HERMANN

I.1SMANN.

»SELBSTBILD«

HERMANN LISMANN—FRANKFURT.

Nur wenige glückliche Zeiten der mensch-
lichen Kultur empfanden und genossen
das ihr von der Gegenwart Gebotene, sei es
Kunst, sei es Wissenschaft als wesenhaft not-
wendig. Meist fehlt den Kulturen das Ver-
ständnis für die Gegenwart und alles aus ihr
Entsprossene, weil der Mensch keinen Sinn
für das Werdende besitzt. Instinkt und Intellekt
der Menge sind eingestellt auf das Gewordene.
Das Gewohnte mit seinen geprägten Werten ist
Maßstab, scheinbar ein Wert an sich. Aber
damit läßt sich noch nicht die Leidenschaftlich-
keit erklären, mit der gerade die Kämpfe um
alles Irrationale ausgefochten werden. Auf
keinem Gebiet ist der Mensch unduldsamer.

An Kants Formulierung des Wesens eines
Genies glauben die Meisten: „Genie ist das
Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel
gibt", tritt aber so ein Genie in Erscheinung,
dann empören sich die Zeitgenossen gegen seine
neue Regel. — Diese Einstellung, deren Ge-

gebenheit man hinnehmen muß, macht die
Einführung jeder neuen Künstlerpersönlichkeit
in die Kunstbetrachtung so schwer.

Will man also in die Kunstgeschichte einen
neuen Künstler einführen, müßte man um der
Gerechtigkeit willen seinen ganzen Werdegang
vorführen können. Er müßte für den Augen-
blick im Mittelpunkt der kreisenden Zeiten
stehen, und von ihm müßten die Linien und
Verbindungen zu Vergangenem und Zukünftigem
geschlagen werden. Das ist aber nur in der
Werkstatt des Künstlers selbst möglich. Hier
gibt oft eine kleine, scheinbar belanglose Skizze
Aufschluß, hier verrät eine Photographie an der
Wand, welcher Vergangenheit der Künstler sich
verbunden fühlt, Bücher enträtseln seine Neig-
ungen. Wenn nicht ästhetisches Spiel zur Kunst
wurde, zu einer Kunst, die immer nur an der
Oberfläche rührt, muß der ganze Mensch hinter
seinem Werk stehen. Damit ist nicht gesagt, daß
jede einzelne Leistung die ganze Persönlichkeit
 
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