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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 45.1919-1920

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Ritter, William: Nikolaus Roerich
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https://doi.org/10.11588/diglit.9121#0302

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Nikolaus Roerich.

gedient als das Zusammensuchen von schwer
erreichbaren Bibliothekdokumenten.

In Paris befindet er sich gerade zur Zeit, als
man die Werke Gauguins aus Tahiti zurück-
bringt, als man Cezanne rehabilitiert. Er braucht
nicht lange, um die Sehnsucht zu begreifen, die
diese des modernen Lebens überdrüssiger ge-
wordenen Zivilisierten nach primitivem Emp-
finden, nach barbarischer Jugendlichkeit drängt.
Und von dem, was sie so unbeholfen gesucht
haben, — dieser in seiner dürren, steinichten
Provence, jener bis nach Ozeanien, — merkt
er sofort, daß es für die Künstler seines Landes
das tägliche Brod sein könnte. So findet er in
Paris selbst die Aufmunterung, sich dem noch
mehr zuzuwenden, was ihn schon vorher anzog.
Die Vereinfachheit und Rauheit der Ausdrucks-
mittel, verbunden mit der Pracht einer bar-
barischen Kostbarkeit, werden nunmehr zu den
Grundmerkmalen seiner Kunst.

Wie keiner hat Roerich in seinen Bildern von
den altertümlichen, in der Wüste der horizont-
losen Gebieten verlassenen orthodoxen Kirchen,
von den noch unversehrten Winkeln der uralten
in den wellenförmigen Schollen des „Tscherno
Zion" liegenden Klöster, von den noch be-
stehenden Türmen und Bollwerken der ge-
festigten Städten, damaligen Republiken, die
Großartigkeit und ergreifende Tragik wieder-
gegeben. Alles Wesentliche, was noch in seinem
Lande zu sammeln war, hat er in einer Folge
von Werken festgehalten, die fast ohne Aus-
nahme den ewigen Weg nach Amerika gewan-
dert sind. Dann fing er an, auf dieser Grund-
lage auch das Treiben ehemaliger klösterlicher
und kriegerischer Städte aufleben zu lassen.
Die Turm- und Schiffbaumeister, die sich in
Eroberungsflotten verwandelnden Werften, be-
geistern ihn zu heute ebenso berühmten Bildern
als die feindlichen Einfälle vareghischer Piraten
in russische Länder, die Handlungen der finni-
schen Zauberer in den steinernen, moorichten
Landschaften, wohin sie ihre Renntiere treiben,
als ihre mit Auerochs- und Elenschädeln be-
setzten Pfahlhecken, ihre aus Geröllsteinen auf
dem kläglichen Rasen der „tundras" hergestell-
ten, sozusagen kabbalistischen Zeichnungen.
Er schildert das Wandeln und Treiben an den
Seen und Strömen zur Palaf fittenzeit, das Fahren
der Kähne auf den mit Holzbrettern gepflasterten
Straßen, welche von den Pech und Teer liefer-
den Flußhäfen des Kaspischen Meeres zum

Weißen Meere, vom Schwarzen Meere zur
Ostsee führen. Dann kommt auch die alte
russische Legende zu Wort. Nicht wie bei Bilibin
in wenigen Gestalten des Volksmärchens, son-
dern in einem ganzen Volke von leibhaftigen
Fischern, Jägern, Kriegern, Siegern und Be-
siegten verkörpert. Je weiter der Künstler
schreitet, desto fester hält er denselben, ein-
heitlichen Weg; um so heftiger wird auch sein
Streben näch kräftig summarischer Ausführung,
nach wuchtigem Erfassen des entscheidenden
Effektes, nach äußerster Vereinfachung, um mit
einem Schlage dem völlig verwirklichten Motive
die denkbar stärkste Wirkung zu sichern. Und
immer sind seine Motive, selbst wenn sie sich
mit allen Reizen des frühen, herben, slavischen
Frühlings schmücken, von einer düstren, epi-
schen Herrlichkeit. Hierin will es mir scheinen,
als ob eine nach Italien unternommene Reise
nicht ohne Einfluß auf die neuere Orientierung
der Roerich'schen Kunst geblieben wäre, denn
die hellblauen und rosa Farben der Fresken von
Tienna und San Gemignano haben sich in die-
jenige seiner Kompositionen übertragen, wo
zwischen Birken und Primeln oder längs der
trüben See an den Esthländischenund Finnischen
Meerbusen, ein junges Mädchen mit blonden
Zöpfen und schweren, goldgeschmiedeten, an-
tikem Diadem umherirrt. Früher oder später, —
es war eben früh, — mußte dieser Künstler
auch fürs Theater arbeiten; insbesondere schuf
er für die russischen Opern und Ballett die
packendsten, prächtigsten Dekorationen. Ge-
rade diese Seite seines Schaffens kommt in
unseren Abbildungen am meisten zur Geltung.
Man weiß aber seit lange, daß auch Wagners
Opern in Rußland mit Dekorationen von Roerich
ausgestattet wurden; was er dort z. B. fürs
Zauberfeuer ermalte, ist noch nirgends er-
reicht worden. Die Alpen kennt er aus mehreren
Schweizerreisen, er brachte auch davon sehens-
werte Studien mit; wenn er sie jedoch darstellen
will, so tut er es auf eine Weise, die zu uns
mehr vom Ural oder ganz besonders vom Kau-
kasus spricht, — einem Ural oder Kaukasus
gewiß so fabelhaft wie der Odenwald eines
Shakespeare, den aber unser Geist ohne jeg-
liches Bedenken für den einzig wahren, für den
der Dichtung von Lermontov und der Musik
von Rimsky-Korsarkov oder Balakirev und der
Großtaten ihrer Helden einzig würdigen er-
kennt........................ w. R.
 
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